Die Frau vom Schwarzen See. Anna-Irene Spindler

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Die Frau vom Schwarzen See - Anna-Irene Spindler

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um diese Uhrzeit. Also mussten es ohne Zweifel ihre zukünftigen Weggefährten sein.

      „Zumachen!“, rief eine erboste Stimme, als der Wind über ihren Kopf hinweg in den Schuppen fegte und die Lampe zum Flackern brachte. Sie zwängte sich durch den schmalen Spalt und schob das Scheunentor wieder hinter sich zu. Eine dick vermummte Gestalt sprang auf und eilte ihr entgegen.

      „Schön, dass du auch dabei bist!“ Mariele legte die Arme um sie. „Ich hatte schon Angst, du kommst nicht.“

      Agnes zog das dicke Wolltuch von ihrem Kopf. Glücklich presste sie ihr eisiges Gesicht an die Wange der Freundin.

      „Iiih! Du bist ja ein einziger Eisklumpen“, empörte sich Mariele und brachte ihr Gesicht in Sicherheit. Dann zog sie ihre Freundin in den Lichtkreis der Laterne.

      „Das ist die Agnes Pangerl vom Klausner-Hof. Sie wird sich uns anschließen.“

      Die fünf Männer, die auf der dünnen Strohunterlage hockten, brummten einen Willkommensgruß, ehe sie wieder die Köpfe zusammensteckten und sich leise weiter unterhielten. Agnes zog die wollenen Fäustlinge von ihren klammen Fingern. Sie hielt sie dicht an den Mund und versuchte sie mit ihrem Atem ein wenig zu wärmen.

      „Die Leni aus Olchowitz hat es sich anders überlegt. Die Krämerin, die gestern die Eier auf unserem Hof abgeholt hat, brachte eine kurze Nachricht von ihr mit. Die große, weite Welt wäre nichts für sie, ließe die Leni ausrichten. Sie würde lieber beim Havel-Bauern bleiben. Da wüsste sie wenigstens, was auf sie zu käme. Und ob die Hedwig Seidl vom Oettl-Hof morgen wirklich auftauchen wird, glaube ich erst, wenn sie da ist. Ich hatte wirklich Angst, ich müsste ganz alleine mit den Burschen losziehen.“

      Agnes schüttelte lächelnd den Kopf. „Keine zehn Pferde bringen mich wieder zurück zum Klausner-Bauern. Ganz egal was in der weiten Welt auf mich wartet, nichts kann so schlimm sein, wie das was wir hier tagein tagaus ertragen müssen. Ich will nicht so enden wie meine Mutter und meine Großmutter. Nach einem Leben voller Mühsal, Entbehrungen und Plagen in einer einfachen Holzkiste verscharrt zu werden, weil das Geld für einen ordentlichen Sarg nicht reicht. Nein, Mariele! Nicht mit uns! Wir haben etwas Besseres verdient, findest du nicht auch?“

      Mariele Leschinger nickte zustimmend. Ihr eigenes und das Schicksal ihrer Familie glichen aufs Haar dem von Agnes und ihren Vorfahren. Auch die Leschingers waren von jeher bettelarm gewesen. Der einzige Unterschied war, dass Mariele im Gegensatz zu Agnes keine Waise war. Ihr Vater lebte noch. Was Marieles Lage jedoch nicht wirklich besser machte. Franz Leschinger war die meiste Zeit so betrunken, dass er nicht einmal mehr wusste, welcher Wochentag gerade war. Geschweige denn den Monat kannte, in dem er Marieles kargen Lohn im Wirtshaus für Schnaps ausgab. Entgegen den üblichen Gepflogenheiten zahlte Marieles Dienstherr seinen Knechten und Mägden den Lohn monatlich aus. So hatten sie zwar immer ein bisschen Geld zur Verfügung. Aber auf die Art konnte er ihnen auch mitten im Jahr kündigen, nicht wie sonst üblich nur zu Lichtmess. Auch wenn Franz Leschinger sich sonst nichts mehr merken konnte, den Zahltag vergaß er nie. An diesem Tag wankte er regelmäßig von seiner halb verfallenen Kate am südlichen Ortsrand quer durch Deschenitz zum Anwesen des Gruber-Bauern. Dort wartete er auf Mariele, um ihr das sauer verdiente Geld abzunehmen. Anfänglich hatte sie noch versucht, das Geld vor ihrem Vater zu verstecken. Aber er hatte sie regelmäßig so windelweich geprügelt, dass sie es ihm irgendwann freiwillig gegeben hatte, nur um von ihm in Ruhe gelassen zu werden. Sobald er die paar Kreuzer in der Tasche hatte, wackelte er schnurstracks ins Wirtshaus und kam erst wieder heraus, wenn das Geld weg war. Nein, auch Mariele hatte genau wie Agnes Nichts zu verlieren, aber Alles zu gewinnen.

      Eng aneinander gekuschelt hockten sie auf dem Boden der Scheune auf einer Unterlage aus Stroh. So fühlte sich der Boden wenigstens nicht gar so eisig an. Die Männer hatten sich zwischenzeitlich im Stroh zusammengerollt und schnarchten in unterschiedlichen Tonhöhen vor sich hin. Die beiden Frauen waren zum Schlafen jedoch viel zu aufgeregt. Flüsternd tauschten sie Neuigkeiten aus.

      „Hast du das von der Anna gehört?“

      Agnes schüttelte den Kopf. „Nein. Wieso, was ist denn mit ihr?“

      „Deine Klausner-Bäuerin hat sie doch auf einen Hof in Janowitz vermittelt. Als die Bäuerin dort bemerkte, dass sie schwanger ist, wurde sie gleich wieder entlassen. Anna ist dann nach Hause zu ihren Eltern. Aber ihr Vater wollte sie nicht daheim haben. In Schimpf und Schande hat er sie davon gejagt. Vor drei Tagen haben sie ihre Leiche aus der Angel gezogen. Die Gruber-Bäuerin hat uns Mägde zusammen gerufen und einen Vortrag gehalten, damit wir uns ja nichts zuschulden kommen lassen. Sonst würden wir genauso enden wie Anna. Als Selbstmörderin! Zu schlecht und verkommen, um von einem Pfarrer in geweihter Erde bestattet zu werden. Dazu verdammt ewig in der Hölle zu schmoren.“

      Agnes lief es kalt den Rücken hinunter. Und das hatte nichts mit der eisigen Luft in der Scheune zu tun. Wie oft hatten Anna und sie, Kleinmägde alle beide, Seite an Seite gemolken, Butter gedreht, Heu gewendet, Flachs gerauft und gesponnen. Sie hatten sich gegenseitig ihr Leid geklagt und von ihren Träumen erzählt. Nun lag Anna mit ihrem ungeborenen Kind irgendwo in einem hastig gebuddelten Loch. Vor der Kirchenmauer verscharrt wie ein räudiger Hund! Unbändige Wut gegen den Klausner-Bauern stieg in ihr hoch. Er räkelte sich bestimmt gerade in seinen warmen Kissen und träumte davon, zur nächsten Magd ins Bett zu steigen.

      „Die Franzosenkrankheit soll er kriegen, der geile alte Bock!“, zischte Agnes wutentbrannt. Sie legte ihren Arm um Marieles Schulter.

      „Danke, dass du mir von deinen Plänen erzählt hast! Dank dir habe ich die Chance ein neues Leben zu beginnen“, flüsterte sie der Freundin ins Ohr.

      „Danke, dass du mitkommst! Wir Beide werden es schaffen. Wir werden uns in Amerika ein neues Leben aufbauen. Du und ich, Agnes Pangerl und Mariele Leschinger! Zwei arme Mädchen aus dem Böhmerwald werden es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu etwas bringen, das weiß ich ganz genau.“

      Marieles Augen strahlten bei diesen Worten mit den Sternen um die Wette, die sie durch die kleine Dachluke am nächtlichen Himmel so verheißungsvoll funkeln sahen.

      Februar und März 1870

      Kurz nach Tagesanbruch trudelten nach und nach die anderen Auswanderer ein. Allesamt fröhliche, kraftstrotzende Burschen. Der jüngste von ihnen gerade einmal siebzehn Jahre alt. Zwei der Männer tauchten nicht auf. Ihnen war die Lust am Auswandern vergangen. Der eine war von der Leiter gestürzt und hatte sich beide Beine gebrochen. Der andere hatte die Frau fürs Leben gefunden und geheiratet. Als Letzte schlüpfte die Seidl Hedwig zum Tor herein. Damit waren sie komplett.

      Zehn Männer und drei Frauen verließen an diesem eisigen Februar Morgen Neuern und machten sich auf den langen Weg nach Hamburg. Da das Geld bei allen recht knapp war, würden sie die meiste Zeit zu Fuß unterwegs sein. Die Möglichkeit für die ganze Gruppe eine kostenlose Mitfahrgelegenheit auf einem Fuhrwerk zu finden, war nicht sonderlich groß. Aber trennen wollten sie sich auf keinen Fall. Gemeinsam wäre es viel leichter die abenteuerliche Reise über den Großen Teich zu meistern. Einer der Männer hatte einen Bruder, der in der Brauerei auf der Burg Klingenberg als Braubursche arbeitete. Von ihm wussten sie, dass es dort, am Zusammenfluss von Otava und Moldau eine Anlegestelle gab. Mit dem Schiff wollten sie Moldau abwärts über Prag bis zum Schloss Mĕlnik fahren. Die Fahrt mit einem der kleinen Moldau-Lastkähne war die bei Weitem günstigste Art des Reisens.

      Schloss Mĕlnik lag an der Mündung der Moldau in die Elbe. Auf der Elbe waren immer so viele Kähne unterwegs, dass es kein Problem sein sollte eine Fahrgelegenheit flussabwärts zu bekommen. Vielleicht konnten die Männer sogar beim Löschen der Ladung helfen oder beim Befeuern der Dampfkessel. So könnten sie das Fahrtgeld sparen

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