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Dann blieb sie stehen und zögerte. Zog ihre Jacke aus, die Erich ihr abnahm und in der Garderobe aufhängte. Er zeigte auf die offene Wohnzimmertür. Und Hülya ging nickend hinein.
»Setz dich irgendwohin«, wollte er sagen, aber sie hatte bereits Platz genommen. Ausgerechnet in seinem Sessel. Den er eigentlich nur für sich beanspruchte. Normalerweise gelang es Erich immer, Besuch (der ohnehin selten war) aufs Sofa zu platzieren. Diesmal jedoch nicht.
Er ließ es geschehen und blieb einen Augenblick stehen. »Was führt dich zu mir?«, fragte er Hülya.
»Ich wollte nur mal vorbeischauen, wie's Ihnen geht«, erwiderte sie und grinste ihn an. »Wie man sieht, sind Sie wenigstens nicht todkrank.«
Erich sah sich kurz um, dann setzte er sich auf einen Sofaplatz. Nun saßen sich beide eine Weile schweigend gegenüber. Keiner wusste so recht, was er oder sie sagen sollte.
Schließlich hielt es Erich nicht mehr aus, stand ruckartig auf und fragte: »Willst du was trinken?« »Ne Cola, wenn Sie haben.«
Erich schüttelte den Kopf. »Ich habe Wasser und Saft.« »Was für Saft?« »Komm mit und such dir was aus«, forderte er sie auf.
Hülya erhob sich und folgte ihm in die Küche. Erich zeigte auf eine Ecke neben dem Büfett. Dort standen mehrere Getränkepackungen. Hülya ging in die Hocke, schaute einen Moment, und entschied sich dann für Apfelsaft.
»Ist zwar was ganz anderes als Cola, aber soll ja gesund sein«, sagte sie süßsauer lächelnd. Erich nahm eine Schere, schnitt die Packung auf, holte zwei Gläser aus der Anrichte und goss sie jeweils dreiviertel voll.
»Wir können uns auch hier in die Küche setzen, wenn du willst«, meinte er und schaute sie an. Hülya nickte kurz, trug die beiden Gläser zum Tisch und setzte sich auf einen der beiden Küchenstühle. Erich nahm ihr gegenüber Platz.
»Du willst wissen, wie es mir geht?«, fragte er. Und als sie nickte, sagte er: »Gut. Mir geht es gut.«
»Haben Sie inzwischen den Grund gefunden?«, fragte Hülya. »Für mein Schwänzen?« Erich lächelte: »Nein, aber es gibt bestimmt einen. Ich kann ihn bloß nicht entdecken.«
»Dann suchen Sie ihn«, meinte Hülya und Erich hörte auf zu lächeln. »Wieso«, fragte er, »ist es für dich wichtig zu wissen, warum ich nicht zur Schule gehe?«
Und als Hülya darauf nichts sagte, sondern nur mit den Schultern zuckte, gab er selbst eine Antwort: »Weil du selber keinen Grund für dein Fehlen hast.«
»Doch, hab ich«, entgegnete sie trotzig, »Ich brauche die Schule nicht. Ich bin jetzt über 15, und in nicht mal einem Jahr werde ich heiraten. Ich kenne den Typ, er ist nett, und er wird gut verdienen.«
»Und er wird für dich sorgen«, meinte Erich. Sie nickte.
»Und er wird für dich denken«, meinte er weiter. Diesmal nickte Hülya nicht. »Ich denke für mich selbst«, erwiderte sie.
Erich hob sein Glas, trank es leer, und behielt es dann in der Hand.
»Was wirst du nach deiner Heirat tun, all die Jahre?«, wollte er wissen. »Das weiß ich nicht«, gab Hülya zu, »Ich habe noch nicht drüber nachgedacht. Werd ich dann schon sehen.«
»Du hast dir keine Gedanken darüber gemacht, wie deine Zeit während der Ehe aussehen soll?«
Hülya schüttelte den Kopf. »Nein, warum? Interessiert mich jetzt nicht.« »Was interessiert dich denn jetzt?«, fragte Erich und setzte das leere Glas ab.
Hülya überlegte. Dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht: »Jetzt interessiert mich immer noch, warum Sie geschwänzt haben. Gestern und heute. Wollen Sie morgen auch aus der Schule wegbleiben?«
Erich nickte. »Ich werde bis zum Wochenende nicht zur Schule kommen. Was dann nächste Woche ist, weiß ich noch nicht.«
»Und wenn ich Sie verpetze?« »Dann hab ich Pech gehabt«, versetzte er.
Hülya sah ihn an: »Nein, nein. Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich werd Sie nicht verraten.«
Dann wurde sie nachdenklich: »Aber Sie als Lehrer müssten mich doch melden, wenn ich schwänze.«
Erich zuckte mit den Schultern: »Und wenn ichs nicht tue?« Hülya lachte. »Wir sind eben beide keine Verräter.«
Und Erich ließ sich von ihrem Lachen anstecken und lachte mit: »Nein, wirklich nicht.«
Dann wurde er wieder ernst: »Warst du heute in der Schule?«, fragte er.
»Ja«, sagte Hülya, »wir hatten die blöde Lippmann als Vertretung.« »Wieso blöd?«
»Die ist immer so streng. Achtet auf jedes bisschen. Und ihre Lieblingssätze sind ›A little bit louder, please‹ und ›A little bit clearer, please‹. Nie passt ihr unsere Aussprache.«
Erich musste loslachen. Er lachte über die Art, wie Hülya das Ganze erzählte. Und über ihre Mimik beim Erzählen.
»Warum lachen Sie?«, fragte sie. »Ich lache über dich. Über die Art, wie du erzählst. Es gefällt mir.«
»Sie machen sich über mich lustig?« Irritiert schaute Hülya ihn an. »Nein«, sagte er, »Ich finde es lustig. Aber ich mache mich nicht lustig.«
Als Erich sah, dass er ihre Verwirrung offenbar vergrößert hatte, versuchte er eine Erklärung: »Sich lustig machen heißt jemanden lächerlich finden. Ich finde dich nicht lächerlich.«
Er machte eine kurze Pause, ehe er weitersprach: »Im Gegenteil. Mir gefällt die Art, wie du erzählst. Ich finde es lustig, wie du über meine Kollegin sprichst. Obwohl ich als Kollege eigentlich nicht darüber lachen sollte.«
Hülya schien mit dieser Erklärung zufrieden. Aber sie führte sie zu einer neuen Frage: »Wieso dürfen Sie nicht über Kollegen lachen?«
»Darf ich schon. Aber manche Kollegen oder Kolleginnen verstehen eben keinen Spaß. Die haben dann das Gefühl, man macht sich über sie lustig.«
»So wie bei mir eben?« Erich nickte und lächelte sie an.
»Nicht ganz«, sagte er dann, »Es war eher ein Kompliment an dich.« Hülya schwieg dazu und lächelte nur zurück.
Nun entstand wieder eine längere Pause, in der beide sich schweigend gegenübersaßen.
»Eigentlich«, sagte Hülya auf einmal mehr zu sich als zu Erich, »bin ich ja wegen dem Schwänzen gekommen.«
»Dir geht das nicht aus dem Kopf«, meinte Erich, »Warum schwänzt man?« »Weil man etwas nicht will«, antwortete Hülya.
»Warum will man etwas nicht«, fuhr Erich nachdenklich fort, »das man schon so lange tut?«
»Warum fragen Sie mich das?«, fragte Hülya, »Müssen Lehrer das tun? Immerzu anderen Fragen stellen?«
Erich schaute sie verdutzt an. »Ich habe das