Als Erich H. die Schule schwänzte. Hans-Georg Schumann
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Sie konnte sich nicht durchsetzen, bei ihr war es oft laut. Aber sie ging mit jedem Schüler aus der Klasse sehr fair um. Zu fair – und das meinte nicht nur Hülya. Aber als Klassenlehrerin war sie spitze. Kümmerte sich um ihre Schüler, wo sie konnte, traf sich sogar nachmittags mit ihnen außerhalb der Schule. Dann unternahmen sie etwas, und Frau Schreyhals machte bei jedem Spaß mit. Bei fast jedem. Natürlich nicht bei Alkohol. Da war sie völlig dagegen.
Ihr zuliebe wurde nur Alkoholfreies getrunken, und geraucht wurde auch nicht, solange Frau Schreyhals da war. Hülya selbst trank auch nie Alkoholisches und rauchte auch nicht. Deshalb hatte sie damit keine Probleme. Und wenn Frau Schreyhals ging, gingen die meisten Mädchen auch, weil dann viele Jungs und auch ein paar Mädchen zu saufen anfingen.
Nur einmal hatte Hülya das miterlebt. Da hatte sie keine Ahnung, sah eben nur, wie mit der Zeit immer mehr aus der Klasse herumtorkelten. Schließlich mussten sogar einige kotzen. Sie fand das abstoßend. Und seitdem hatte sie keine Lust mehr, zu lange zu bleiben, wenn mal wieder gefeiert wurde.
Da konnte sie ihren Vater Mahsun verstehen. Der meinte, dass hier in Deutschland die Sitten heruntergekommen waren, weil schon die Jugendlichen sich so gehen ließen. In diesem Punkt war sie mit ihm einer Meinung. Ihre Mutter war sowieso immer der Meinung ihres Mannes.
Nur machte sich Hülyas Vater viel zu viele Sorgen, dass ihr etwas passieren würde, wenn sie so schlechten Umgang hatte, wie Mahsun das nannte.
Immerhin hatte er nichts dagegen, wenn sie in die Schule ging. Sogar am Sportunterricht durfte sie teilnehmen. Und auf Klassenfahrt war sie auch schon. Wobei sich da Frau Schreyhals wirklich größte Mühe geben musste, ihren Vater zu überreden. Sie bot ihm sogar an, mal vorbeizukommen, um zu sehen, wo Hülya wohnte und mit welchen anderen Mädchen sie zusammen war. Das Angebot hatte ihr Vater die ganze Fahrtwoche dann doch nicht angenommen.
Aber Hülya musste jeden Abend zu Hause anrufen und kurz vom Tagesgeschehen berichten. Dabei blieben natürlich Fragen nach anderen Personen nicht aus, mit denen Hülya zusammen war. Auch wollte ihr Vater immer genau wissen, wann sie abends ins Bett gegangen war. Doch Hülya wäre nicht Hülya, wenn es ihr nicht gelungen wäre, Ängste ihres Vaters weitgehend zu zerstreuen.
Das galt auch für die Sorgen, die sich Hülyas Vater wegen der Jungs machte. Besonders interessiert an ihnen war Hülya bisher nicht. Auch hatten ihre Eltern ihr immer wieder eingeschärft, sich von diesen Kerlen fernzuhalten. »Sie taugen nichts«, hatte ihr Vater stets betont, und wenn sie die Jungs in ihrer Klasse betrachtete, schien ihr Vater recht zu haben.
Die waren entweder noch zu kindisch oder spielten sich auf wie Machos. Warum aber türkische Jungs besser sein sollten als deutsche, wie ihr Vater meinte, konnte sie nicht nachvollziehen. Die waren meistens auch nicht nach Hülyas Geschmack, benahmen sich oft sogar schlimmer als deutsche Jungs.
An Sex dachte Hülya ohnehin noch nicht. Auch wenn die anderen Mädchen ebenso wie viele der Jungs von nichts anderem zu reden schienen. Sie wusste nur, dass das wohl dazugehörte, wenn man mit einem Jungen befreundet war.
Hülya war gerade 15 geworden, da sprach ihr Vater zum ersten Mal davon, dass es für sie bald an der Zeit sei zu heiraten. Er habe auch schon jemanden für sie ausgesucht. Zuerst war Hülya so betroffen, dass sie einfach aufstand und die Wohnung verließ. Dann lief sie draußen herum und kam erst spät abends wieder.
Ihr Vater war sehr besorgt. Sie hatte eher damit gerechnet, dass er wütend sein würde. Aber er machte ein kummervolles Gesicht, als er Hülya die Tür öffnete. »Geh in dein Zimmer«, sagte er nur.
Dann wurde über das Thema Heirat erst einmal einige Wochen nicht gesprochen. Eines Tages kam Hülya nach Hause, und am Tisch in der Küche saß ein junger Mann. Artig stand er auf, als Hülya eintrat, nickte und gab ihr die Hand.
»Das ist er«, strahlte ihre Mutter sie an. »Was? Wer?«, konnte Hülya nur stammeln. Im selben Augenblick begriff sie. Das war der Mann, den sie heiraten sollte. Besser, der Junge. Ein bis zwei Jahre älter als sie schien er schon zu sein. Sah auch ganz nett aus, fand Hülya später.
Doch in dem Moment war sie nur wütend. Und stellte sich weiter dumm: »Wer ist das? Ein Lehrling aus Papas Betrieb?«
Während ihre Mutter nur stumm den Kopf schüttelte, stand ihr Vater auf, stellte sich hinter den Stuhl, auf dem der junge Mann saß. »Das ist Kemal. Er arbeitet in Bank. Macht noch Ausbildung, aber in einem Jahr er ist fertig. Dann er verdient gut Geld.«
Hülya tat weiterhin ahnungslos. »Hallo«, sagte sie nur und wollte sich umdrehen und in ihr Zimmer gehen.
»Warte«, sagte ihr Vater, »Er heiratet dich. Nächstes Jahr.«
Einen kurzen Augenblick blieb Hülya noch stehen. Dann wandte sie sich wortlos um und ging in ihr Zimmer. Sie hatte kein Interesse daran, mit diesem Typen auch nur ein Wort zu wechseln. Er sollte möglichst keinen guten Eindruck von ihr bekommen, damit er sich das mit der Heirat wieder aus dem Kopf schlug.
Inzwischen hatte sich das geändert. Hülya fand heraus, dass dieser Junge mit dem berühmten Vornamen Kemal ein harmloser Kerl war, der ebenfalls von seinen Eltern auserwählt wurde, sie zu heiraten. Wie es schien, hatte er auch nichts mit Sex im Sinn.
Er war sogar wirklich nett, sodass Hülya mit der Zeit immer weniger ein Problem darin sah, seine Frau zu werden. Sie hatte die Schule so satt, dass ihr das gerade recht kam.
Was hätte sie sonst tun sollen? Sich in der Schule abquälen, um einen Abschluss zu bekommen? Um dann zehn oder zwanzig oder noch mehr Bewerbungen zu schreiben, die alle abgelehnt wurden?
Sie wusste ja nicht einmal, welcher Beruf sie interessierte. Und wenn sie heiraten würde, dann wäre sie erst einmal dieses Problem los. Später konnte sie sich dann immer noch Gedanken darüber machen, was aus ihr werden sollte.
Dass ihr künftiger Mann bei der Bank arbeitete, klang vielversprechend. Da gab es ja genug Geld. Natürlich wusste Hülya, dass Kemal nicht einfach zum Tresor gehen und sich dort bedienen konnte. Aber wenn er mit Geld zu tun hatte, musste er auch einiges davon verstehen und abbekommen. Die Banken waren doch steinreich. Also würden ihre Mitarbeiter bestimmt auch eine ganze Menge verdienen.
So würde es Hülya schon in wenigen Jahren bei Kemal besser gehen als jetzt bei ihrem Vater. Und sie könnte sich endlich auch einiges von dem leisten, was viele ihrer Mitschülerinnen längst besaßen.
Eigentlich müsste sie überhaupt nicht mehr zur Schule gehen. Doch dann würde sie ihre Mitschüler vermissen. Und den ganzen Tag zu Hause verbringen, das wollte Hülya auch nicht. Also würde sie weiter ab und zu hingehen, ab und zu schwänzen, mal zu Hause bleiben, mal in der Stadt herumbummeln.
Auch jetzt war es früh genug noch einmal loszuziehen. Sie musste ja erst gegen neun Uhr wieder da sein. »Ich muss nochmal weg!«, rief sie ihrer Mutter zu. Die nickte stumm und dachte daran, dass all das bald vorbei sein würde, wenn Hülya erst einmal unter der Haube war.
08
Er erschrak, als es klingelte. Zuerst glaubte Erich, er hätte sich verhört, dann ordnete er das Geräusch verwirrt dem Telefon zu. Schließlich realisierte er, dass es sich wirklich um die Türklingel handelte.
Er würde einfach nicht öffnen. Denn offiziell war Erich schließlich krank. Doch das Klingeln wollte nicht verstummen. Schließlich ging er zum Türspion und schaute hindurch. Er wollte es nicht glauben, aber draußen stand wirklich Hülya.