Die Midgard-Saga - Muspelheim. Alexandra Bauer
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Mithilfe der Gedankensprache nahm sie Kontakt zur Walküre auf: „Er hat alles gestanden. Ich habe es dir in Jötunheim gesagt: Odin hat damit angefangen, alles durcheinanderzubringen. Wenn er sich nicht die Zukunft hätte voraussagen lassen, wäre all das nicht geschehen. Er hätte Fenrir nicht gefesselt und er hätte nicht gewusst, dass Balder sterben würde. Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen. Womöglich würde Balder noch leben!“
„Die Nornen legen unser aller Schicksal mit unserer Geburt fest, Thea. Wann begreifst du das endlich?“, erwiderte Wal-Freya.
„Du versuchst doch auch in das Schicksal einzugreifen. Zuletzt mit unserem Vorhaben Balder aus Hel zu holen“, erinnerte Thea.
„Ich wollte die Dinge nur in Ordnung bringen, indem wir die Weissagungen wieder wahrmachen. Nur weil wir Loki keinen Einhalt gebieten können, habe ich mich auf die Sache in Hel eingelassen, aus keinem anderen Grund.“
„Verstehst du nicht? Odin hat lange vor alledem hier versucht Ragnarök zu verhindern. Damit hat er es selbst vorangetrieben.“
Die Wanin nickte. „Da es vorausgesagt war, ist alles gekommen, wie es kommen sollte. Loki hingegen ist nicht an seinem Platz. Er wandelt frei durch die Welten und schmiedet Pläne gegen uns. Ich will, dass sich mein Schicksal erfüllt, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Loki hat die Ordnung durcheinandergebracht. Ich weigere mich, das zu akzeptieren!“
Mutig erhob sich Thea. „Odin, Frigg, ihr alle, bitte hört mich an! Vielleicht kann ich das große Gefüge der Welt nicht verstehen. Ich bin nur ein Mensch. Ich begreife nicht, warum ein Vater seinen Sohn opfert, um dessen Schicksal zu erfüllen, obwohl er damit all das auslöst, was wir jetzt verhindern wollen. Ihr habt mich vor langer Zeit aufgesucht, damit ich Kyndill für euch finde und dafür sorge, dass Loki Ragnarök nicht schneller über die Welt bringt, als es vorherbestimmt ist. Euer Ziel war es stets, ihn wieder an seinen Platz zu bringen. Dann kam Fenrir frei. Wir haben ihn vergebens versucht zu fangen. Als letzten Ausweg sind wir nach Hel aufgebrochen, um Balder zu befreien – wir sind gescheitert. Wir haben alles getan, um Ragnarök zu verhindern und die Fehler der Vergangenheit zu revidieren. Doch es scheint unmöglich. Loki ist uns stets einen Schritt voraus. Aber nicht er hat Ragnarök heraufbeschworen, du warst es, Odin. Durch deine Handlungen ist es so weit gekommen. Indem du den Wolf gefesselt hast, brachtest du ihn gegen dich auf. Da du Balders Tod zugelassen hast, wurde Ragnarök eingeläutet. Wäre all das nicht geschehen, würde Loki wahrscheinlich noch immer an eurer Tafel sitzen und Scherze mit euch treiben. Alle Versuche, das wieder gerade zu biegen, sind gescheitert. Vielleicht ist es an der Zeit, die Dinge einfach geschehen zu lassen, sie sind doch ohnehin von den Nornen bestimmt ...“
Bei ihren letzten Worten schnappten alle Anwesenden gleichzeitig nach Luft. Tyr sprang auf, ebenso Thor, Gefjon und Saga. Der Tisch war mit einem Mal erfüllt von aufgebrachten Stimmengewirr. Sif packte ihren Mann und zog ihn zurück auf seinen Stuhl. Während Juli Thea entgeistert anblickte, traf Wal-Freyas Blick sie kalt und unerbittlich.
„Was erlaubst du dir, Thea?“, knirschte Wal-Freya.
Es war Frigg, die nachdrücklich Gehör forderte und die Versammelten zum Schweigen brachte. Gebannt richteten sich alle Augen auf sie, auch die von Thea.
„Bevor ihr das Mädchen verurteilt, solltet ihr wissen, dass ich ihrer Meinung bin.“ Sie hob energisch die Hand, als erneut Stimmen laut wurden. „Odin hat die Dinge vorangetrieben. Es war ein schrecklicher Fehler zu glauben, mit der Erfüllung von Balders Schicksal würde er helfen das Fortbestehen seiner Schöpfung zu sichern. Statt all dies in Gang zu setzen, hätte er mich nur bei dem Versuch Balder unsterblich zu machen, aufhalten müssen. Er hat es nicht getan.“ Ihr Blick traf auf Gefjon. Verbitterung war aus ihm zu lesen. „Auch ich habe vorausgesehen, dass es Balder nicht helfen wird. Doch das Wissen um die Zukunft zu gebrauchen, ist falsch. Auf diese Weise geschehen Dinge schneller, oder sie tragen dazu bei, dass man das Schicksal herausfordert und es aus den Fugen gerät. Ihr werft all dies Loki vor und habt doch genauso gehandelt. Unsere Bestimmung wurde verändert, weil die Sehenden ihr Wissen nicht für sich behielten.“ Sie ließ den Blick über jeden Einzelnen schweifen. „Doch die Dinge sind geschehen und es führt zu nichts, wenn wir nun nach einem Schuldigen suchen ...“ Ihre Augen blieben auf Thea haften. „Oder wir aufgeben, die Ordnung wieder herzustellen.“
Beschämt senkte Thea den Kopf.
Frigg sah zu Odin. „Alles was du getan hast, war vorherbestimmt. Ragnarök lag fern, doch seit Loki in sein Schicksal eingriff, rückt es unaufhaltbar näher. Ich spüre die wachsende Feindschaft zwischen den Menschen. Noch versuchen sie, sich dagegen zu wehren, aber das Chaos wabert langsam aus den Tiefen der Erde und umschmeichelt sie, so wie Jörmungand arglistig ihre Bahnen um Midgard zieht. Die Schlange lauert, sie spürt ihre Zeit, ebenso wie die Jöten. Das Totenschiff liegt nicht mehr still, seichte Wellen schlagen an seinen Bug und bringen es kaum merklich zum Schaukeln. Wir haben Hel verärgert. Ihr werdet gleich verstehen, wie sehr ...“
Thea lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Frigg war in der Lage, in die Zukunft zu sehen, aber niemals machte sie von ihrem Wissen Gebrauch. Nun schwieg sie nicht länger. Die Göttin malte eine Zeit, die bis vor wenigen Minuten noch weit entfernt für Thea lag. Sie hob den Kopf und suchte Friggs Blick, doch Odins Frau hatte ihn in Richtung des Eingangs gerichtet, in dem zeitgleich Heimdall erschien. In seiner Begleitung befand sich ein Wikinger. Die Haut des Mannes schien ungewöhnlich blass. Mit dem Erscheinen des Kriegers sprang die Fylgja fauchend auf. Ein Schwert steckte in seinem Gürtel, an der gleichen Seite hielt er einen Schild. Der Blick hinter seinem Brillenhelm wirkte leer, obwohl er diesen zielgerichtet über die Anwesenden schweifen ließ. Auf dem Allvater blieb er ruhen. Rasch legte Wal-Freya eine Hand auf die von Thea. Diese ahnte Übles, doch sie wagte den Gedanken nicht auszuführen.
Stirnrunzelnd betrachtete Odin den Fremden.
„Hel schickt mich“, sprach der Fremde mit fester Stimme und bestätigte Theas Verdacht, dass es sich bei ihm um einen von Hels Wardonen handelte.
Mit dem Gesandten der Totengöttin wehte jäh die Kälte der Unterwelt in die Halle. Thea fröstelte. Ebenso wie ihr schien es Juli zu ergehen, denn ihre Freundin schlug mit einem unheilvollen Blick zu Thea die Arme um den Körper.
„Ich soll euch ausrichten, dass Hel euren Verrat nicht verzeiht. Lange hat sie dem Wunsch ihres Vaters widersprochen, nun gibt sie seiner Bitte nach. Loki sammelt Getreue auf Naglfar. Einst starben wir tapfer auf dem Schlachtfeld, doch die Walküren haben uns nicht ausersehen, ihnen nach Walhall zu folgen. Es wird die Zeit kommen, an dem sie ihre Wahl bereuen. Der Tag der Abrechnung rückt näher.“
Es war Odin, der aufsprang und Thors Arm ergriff, in dessen Hand bereits Mjölnir lag, um der Respektlosigkeit des Wardonen ein Ende zu setzen.
„Halte ein, Junge! Asgard ist eine heilige Stätte!“
Die Adern unter der Haut des Donnergottes schwollen an, als er gegen seinen Zorn und den Griff seines Vaters ankämpfte. Mit einem Poltern, das im dichten Umkreis Teller und Speisen zur Seite fegte, schlug er Mjölnir auf den Tisch.
Odin wandte sich an den Nachrichtenüberbringer. „Hel sollte ihren Entschluss noch einmal überdenken.“
„Ihre Wut