Der Rote Kolibri. Alexander Jordis-Lohausen

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Der Rote Kolibri - Alexander Jordis-Lohausen

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      „Mutter sagt, du hättest gut gearbeitet. Dann darfst du heute auch mit auf den Markt kommen. Du bist jetzt groß genug.“ Bisher war ich nie mitgenommen worden. Ich war sehr stolz, denn der Fischverkauf auf dem Markt in Marseille war nur erfahrenen Männern vorbehalten. Und nun würde auch ich zu dieser auserlesenen Gruppe gehören.

       Vom Dorf führte ein Karrenweg durch die Felsen hinauf ins Hinterland. Die Körbe wurden auf mehrere Maulesel geladen und langsam bewegte sich der kleine Zug nach oben. Dort wo man einen weiten Blick nach beiden Seiten über die Steilküste hatte, erreichten wir die Landstraße, die zur Stadt Marseille führte. Die älteren Männer gingen voraus, die Jüngeren führten die Maultiere. Bis in die Stadt war es nicht weit. Wir nahmen den Weg hurtig unter die Füße und eine knappe halbe Stunde später waren wir am gewaltigen Stadttor. Durch den Tumult, der dort herrschte, drängte sich unsere kleine Schar ins Innere. Ich war noch nie in der Stadt gewesen und staunte über die rege Tätigkeit. In den engen Gassen schoben sich vollbeladene Pferdefuhrwerke durch eine dichte Menge, dazwischen Händler mit Handkarren, aber auch Kühe und Schafe – alles strebte dem Markte zu. Kutscher fluchten, Mädchen in bunten Röcken und weißen Blusen, mit Körben am Arm, lachten und spotteten. Machtlose Wachtleute brüllten. Mehr als einmal, stürzte aus der Sicherheit eines offenen Fensters schmutziges Wasser auf die erregten Gemüter hinunter. Das wirkte wie Öl auf brennendes Feuer. Und schließlich der Marktplatz – eine unübersehbare Anzahl von bunten Verkaufsständen und dahinter die überdachte Markthalle. Vater und die anderen Fischer näherten sich zögernd und ich sollte bald erfahren warum.

       Ein schmalschulteriger Mann, der Zeck hieß, mit dickem Bauch und klobigem, rotem Gesicht und mit kleinen, bösen Augen trat ihnen mit zwei Knechten entgegen.

      „Da bin ich heute sogar selbst auf den Markt gekommen und ihr lasst mich zum Dank hier in der Hitze warten!“ schnaubte Zeck. Die Fischer schwiegen.

      „Zeigt mal her, was ihr da bringt!“ fuhr er fort und untersuchte die Körbe. „Immer dieselbe minderwertige Ware. Könnt ihr denn keine Hummer fangen, keine Langusten?“

      „Schaut, hier sind die Hummer!“ rief ich und zeigte auf den Korb, in dem sich schwere Scheren träge spreizten. Vater bedeutete mir den Mund zu halten. „Mickriges Kleinzeug!“ erwiderte der dicke Mann verächtlich, wobei ich bis heute nicht weiß, ob er mich damit gemeint hat oder die Hummer.

       Da trat der Dorf-Älteste vor. „Wir sind Fischer und keine Krämer. Entweder du nimmst uns die Fische zu einem angemessenen Preis ab, oder wir verkaufen sie woanders. Unsere Ware ist frisch und von guter Qualität wie jedes Mal.“

      “Versucht doch woanders zu verkaufen!“ lachte das Scheusal höhnisch. „Ihr werdet nicht weit kommen. Immer wieder werdet ihr auf mich stoßen, nicht wahr?“

      “Wir werden hier unseren eigenen Stand aufmachen!“ rief ein junger Fischer.

      “Versuch’ es doch, du Grünschnabel! Wer wird dir denn die behördliche Genehmigung dazu geben? Eh?“

      „Der Bürgermeister wird sie uns geben. Wir werden uns diesmal wirklich beim Bürgermeister beschweren!“ Da lachte das Scheusal so schallend, dass sein Gesicht noch röter wurde und er schrecklich husten musste.

      „Schluss jetzt mit dem Spaß!“ sagte er streng, als er sich wieder erholt hatte.“ Kommen wir zur Sache, ich habe genug Zeit verloren. Ihr seid vernünftig und haltet Euch an die Regeln, dann wird alles gut gehen, nicht wahr? Ich bestimme den Preis, Ihr liefert die Ware! Vergeßt nicht, ich bin euer Schuldherr für die beiden neuen Fischerboote. Und vergeßt auch die Zinsen nicht! Also ich gebe Euch....“, er schaute rasch über die Körbe „ich gebe Euch dreißig Kupfermünzen für Euren Fang. Und das ist ein guter Preis, nicht wahr?“ Mein Vater sprang vor und stand mit geballten Fäusten vor Zeck.

      „Dreißig Kupfermünzen? Du beutest uns aus, es ist eine Schande! Willst du uns denn zugrunde richten? Schau dir doch an, wie abgerissen wir aussehen, und unsere Kinder frieren im Winter! Wie sollen wir unsere Boote erhalten und neue Netze kaufen?!“ schrie er ihn an und trat drohend noch einen Schritt näher. So hatte ich meinen Vater noch nie erlebt. Zeck wich zurück und gab seinen beiden Knechten einen kurzen Wink. Als hätten sie nur darauf gewartet, packten diese meinen Vater an den Oberarmen, jeder von einer Seite, hoben ihn in die Höhe und warfen ihn zurück in unsere kleine Schar. Er stürzte rücklings und riss im Sturz zwei der Fischer mit zu Boden. Wir waren alle wie erstarrt vor Entsetzen. Ich selbst stand wie angewurzelt und blickte eine Weile fassungslos bald Zeck, bald meinen Vater an. Dann sprang ich Zeck an und gab ihm mit all meiner Kraft einen Fußtritt ins Schienbein. Doch der dicke Mann stieß mich mit dem Fuß weg, wie man einen lästigen Kater wegstößt.

      „Nochmals: Schluss jetzt mit dem Spaß! Dreißig Kupfermünzen, nicht wahr!“ sagte er gereizt. Er blieb hart, und die Fischer fügten sich. Es blieb ihnen wohl auch keine andere Wahl. Zeck zahlte ihnen aus seinem prallen Geldsäckel die dreißig Kupfermünzen aus.

       Ich hatte eine Gehässigkeit gespürt, die mir unbekannt war, und das Böse, das dieser Mann ausstrahlte, hatte tief in mir etwas ausgelöst. Ob es die Hitze war, die mich schwindlig machte, oder ob Zeck, den ich während des Streites um das Geld genau beobachtet hatte, sich tatsächlich hin und wieder merkwürdig veränderte, ich kann es nicht sagen. Jedes Mal, wenn er besonders ekelhaft war, schien er seine menschlichen Züge zu verlieren. Sein Kopf wurde kantig und er verwandelte sich in ein furchterregendes Insekt mit einem grauslichen Stechrüssel. Das erste Mal rieb ich mir die Augen, und das Bild war verschwunden, um aber gleich darauf wieder aufzutauchen. Ich konnte mir das nicht erklären, aber diese Verwandlung beruhigte mich ein wenig. Ich sagte mir, wenn dieser Zeck wirklich nur ein Insekt ist, so wird man mit ihm genauso fertig werden können wie mit Fliegen und Mücken. Man erschlägt ihn. Man müsste ihn nur erst als Geschmeiß entlarven.

       Als ich zu meinem Vater kam, war er schon wieder auf den Beinen, unverletzt, aber ich sah die Wut in seinen Augen. Er strich mir abwesend übers Haar, nahm meine Hand und hielt sie ganz fest in der seinen. Die Fischer teilten wortlos das wenige Geld, das sie erhalten hatten, unter sich auf und gingen dann auf dem Markt, um ihre bescheidenen Einkäufe zu machen: Teer für die Boote, Hanfseile, grobes Segeltuch, etwas Mehl, Salz, Zucker und Schmalz. Aber nicht einmal für das wenige, das sie brauchten, reichte es.

       Der Markt faszinierte mich. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Die Fülle von Schätzen ließ mich das Vorgefallene fast vergessen. So stellte ich mir die Höhle des Ali Baba vor, von der Mutter einmal erzählt hatte. Alles gab es dort: Fischereigeräte, Werkzeuge, ebenso wie Lebensmittel, Töpfe mit bunten Gewürzen, farbige Kleidungsstücke. Aber auch Dolche und Pistolen lagen auf den Ladentischen. Ein spitzer Dolch mit einem Elfenbeingriff hatte es mir besonders angetan.

      „Schau, Vater!“ sagte ich und zupfte ihn am Ärmel.

      „Ja, Sebastian, lass das, das sind teure Sachen!“ antwortete Vater, sichtlich mit seinen Gedanken woanders. Aber ich ließ mich nicht so leicht abschütteln.

      „Wenn ich das ganze Jahr den Backofen ordentlich anheize, schenkst du mir dann diesen Dolch?“ fragte ich ihn.

      „Nein, Sebastian, der ist dir zu nichts gut.“

      „Bitte, Vater! Schau doch, dann kann ich euch alle beschützen, wenn böse Räuber kommen.“

      „Lass ab, mein

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