Die Erziehung der Gefühle. Gustave Flaubert

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Die Erziehung der Gefühle - Gustave Flaubert

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zu ihm zu fassen. Er lehrte ihn die Kunst, Weine zu prüfen, Punsch abzubrennen und Schnepfenragout zu bereiten; Frédéric befolgte gelehrig seine Ratschläge, – er liebte alles, was in Zusammenhang mit Madame Arnoux stand, ihre Möbel, ihre Dienstboten, ihr Haus und ihre Straße.

      Er sprach nicht viel während dieser Diners; er betrachtete sie nur. Sie hatte rechts, an der Schläfe, ein kleines Schönheitsfleckchen; ihre tiefen Scheitel waren schwärzer als ihr übriges Haar und immer wie ein wenig feucht am Rande; sie strich bisweilen nur mit zwei Fingern darüber hin. Er kannte die Form eines jeden ihrer Nägel, es war ihm ein Genuß, das Rauschen ihres Seidenkleides zu hören, wenn sie durch die Türen schritt, er sog verstohlen den Duft ihres Taschentuchs ein; ihr Kamm, ihre Handschuhe, ihre Ringe waren für ihn merkwürdige Dinge, bedeutend wie Kunstwerke, fast beseelt wie Personen; alles fesselte sein Herz und vermehrte seine Leidenschaft.

      Er hatte nicht die Kraft gehabt, sie vor Deslauriers zu verbergen. Wenn er von Madame Arnoux kam, weckte er ihn wie aus Versehen, um von ihr reden zu können.

      Deslauriers, der in der kleinen Kammer schlief, gähnte laut. Frédéric setzte sich ans Fußende seines Bettes. Erst sprach er vom Diner, darauf erzählte er tausend unbedeutende Einzelheiten, in denen er Zeichen von Verachtung oder Zuneigung sah. Einmal zum Beispiel hatte sie seinen Arm zurückgewiesen, um den Dittmers’ zu nehmen, und Frédéric war untröstlich.

      »Ach! was für Dummheiten!«

      Oder sie hatte ihn einmal ihren »Freund« genannt.

      »So gehe doch hin und sei vergnügt!«

      »Aber ich wage es nicht,« sagte Frédéric.

      »Schön, dann denke nicht mehr daran! Gute Nacht!«

      Deslauriers kehrte sich zur Wand und schlief ein. Er begriff nichts von dieser Liebe, die er als letzte Jugendtorheit ansah; und da Frédéric seine Freundschaft offenbar nicht mehr genügte, nahm er sich vor, ihre gemeinsamen Freunde einmal in der Woche einzuladen.

      Sie kamen am Sonnabend gegen neun Uhr. Die drei algerischen Vorhänge waren sorgfältig vorgezogen; die Lampe und vier Kerzen brannten; mitten auf dem Tisch stand der Tabakskasten voll Pfeifen zwischen Bierflaschen, dem Teegeschirr, einer Flasche Rum und kleinem Gebäck. Man diskutierte über die Unsterblichkeit der Seele, zog Vergleiche zwischen den Professoren.

      Hussonnet führte eines Abends einen großen jungen Mann in einem viel zu kurzärmeligen Überrock und verlegener Haltung ein. Es war der Bursche, gegen dessen Verhaftung sie im vorigen Jahre auf der Wache Einspruch erhoben hatten.

      Da er seinem Meister den im Getümmel verlorenen Karton mit Spitzen nicht hatte wiedergeben können, hatte dieser ihn des Diebstahls bezichtigt und mit den Gerichten bedroht; jetzt war er Angestellter in einem Fuhrgeschäft. Hussonnet war ihm morgens an einer Straßenecke begegnet und führte ihn her, denn Dussardier wollte aus Dankbarkeit gern den »andern« sehen.

      Er reichte Frédéric die noch gefüllte Zigarrentasche, die er, in der Hoffnung, sie wiederzugeben, gewissenhaft bewahrt hatte. Die jungen Leute forderten ihn auf, wiederzukommen. Er versäumte es nicht.

      Alle sympathisierten miteinander. Vor allem stand ihr Haß gegen die Regierung als unbestrittenes Dogma obenan. Martinon allein versuchte Louis Philippe zu verteidigen. Man stürmte mit Gemeinplätzen aus den Zeitungen auf ihn ein: die Befestigung von Paris, die Septembergesetze, Pritchard, Lord Guizot – so daß Martinon in der Furcht, jemand zu verletzen, verstummte. In den sieben Jahren auf dem Gymnasium hatte er keine Strafarbeit bekommen, und auf der Universität wußte er den Professoren zu gefallen. Er trug meist einen groben Überrock von Mastixfarbe und Gummischuhe; aber eines Abends erschien er wie zu einer Hochzeit gekleidet in langer Samtweste, weißer Kravatte und Goldkette.

      Das Erstaunen verdoppelte sich, als man erfuhr, daß er von Monsieur Dambreuse kam. Die Sache war die, daß der Bankier Dambreuse von dem Vater Martinons einen beträchtlichen Posten Holz gekauft hatte; und als der gute Mann ihm seinen Sohn vorstellte, hatte er sie beide zum Diner eingeladen.

      »Gab es viele Trüffeln?« fragte Deslauriers, »und hast du zwischen zwei Türen seine Frau um die Taille gefaßt, sicut decet?«

      Dann drehte sich die Unterhaltung um die Frauen. Pellerin bestritt, daß es schöne Frauen gebe, (er zog die Tiger vor); überdies sei der weibliche Mensch ein inferiores Geschöpf in der ästhetischen Rangordnung.

      »Was euch betört, ist hauptsächlich das, was sie als Begriff degradiert; ich meine den Busen, das Haar…«

      »Indessen,« warf Frédéric ein, »langes schwarzes Haar und große schwarze Augen…«

      »Ah! kennt man!« rief Hussonnet. »Genug von Spanien und Kastanien! Das Antike? Ich danke! Denn schließlich, Scherz beiseite! eine Lorette ist amüsanter als die Venus von Milo! Laßt uns doch Gallier sein, zum Donnerwetter, und flott, wenn wir können!

      Fließe, guter Wein, ein Lächeln, ihr Frauen!

      Man muß von den Braunen zu den Blonden übergehen! – Wie denken Sie darüber, alter Dussardier?«

      Dussardier antwortete nicht. Alle drängten ihn, um seinen Geschmack kennen zu lernen.

      »Wohlan!« sagte er errötend, »ich, ich würde immer dieselbe lieben!«

      Es wurde in solcher Weise gesagt, daß einen Moment Schweigen entstand; die einen waren überrascht von dieser Treuherzigkeit, die anderen entdeckten darin vielleicht das geheime Verlangen ihrer Seele.

      Sénécal stellte seinen Bierschoppen auf das Fensterbrett und erklärte lehrhaft, daß, da die Prostitution eine Tyrannei und die Ehe eine Unsittlichkeit sei, die Enthaltsamkeit das beste wäre. Deslauriers betrachtete die Frauen als eine Zerstreuung, nichts weiter. Monsieur de Cisy hatte in bezug auf sie allerlei Befürchtungen.

      Unter den Augen einer frommen Großmutter erzogen, fand er die Gesellschaft dieser jungen Leute lockend wie einen verrufenen Ort und lehrreich wie die Sorbonne. Man sparte nicht mit Lehren für ihn, und er zeigte sich voll Eifer, so daß er sogar rauchen wollte trotz der Übelkeit, die ihn regelmäßig danach quälte. Frédéric überhäufte ihn mit Aufmerksamkeiten. Er bewunderte die Nüance seiner Kravatte, das Futter seines Paletots und besonders seine Stiefel, die dünn wie Handschuhe waren und unverschämt sauber und fein; sein Wagen wartete unten auf der Straße.

      Eines Abends, als er eben gegangen war und es zu schneien begann, fing Sénécal an, seinen Kutscher zu bemitleiden. Darauf zog er gegen die gelben Handschuhe her, gegen den Jockeyklub. Ein Arbeiter sei mehr wert als diese Herren.

      »Ich arbeite wenigstens! ich bin arm!«

      »Das sieht man,« sagte Frédéric endlich ungeduldig.

      Der Lehrer trug ihm für dieses Wort seinen Groll nach.

      Als aber Regimbart einmal sagte, daß er Sénécal ein wenig kenne, und Frédéric einem Freunde Arnoux’ eine Aufmerksamkeit erweisen wollte, bat er ihn, zu den Sonnabend-Vereinigungen zu kommen, und die Begegnung war beiden Patrioten willkommen.

      Indessen, ihre Meinungen gingen auseinander.

      Sénécal – der ein spitzfindiger Kopf war – zog nur Systeme in Betracht. Regimbart dagegen sah in den Tatsachen nichts als Tatsachen. Was ihn hauptsächlich beunruhigte, war die Rheingrenze. Er behauptete, sich auf Geschütze zu verstehen, und ließ sich seine Anzüge bei dem Schneider der Polytechnischen Hochschule machen.

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