Die Erziehung der Gefühle. Gustave Flaubert
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Читать онлайн книгу Die Erziehung der Gefühle - Gustave Flaubert страница 18
»Wann führst du mich dort ein?« fragte er. Arnoux wäre mit Geschäften überladen, oder er befinde sich auf Reisen, erwiderte Frédéric, darum sei es nicht der Mühe wert, denn die Diners würden jetzt eingestellt.
Wenn er für seinen Freund das Leben hätte aufs Spiel setzen müssen, würde Frédéric es getan haben, aber da ihm daran lag, sich so vorteilhaft wie möglich zu zeigen, er soviel auf seine Sprache, seine Manieren, seine Kleidung gab, daß er immer mit tadellosen Handschuhen in der Kunsthandlung erschien, fürchtete er, daß Deslauriers mit seinem alten, schwarzen Anzug, seiner Haltung eines kleinen Beamten und seinen vermessenen Reden Madame Arnoux mißfallen könnte, was ihn selber kompromittieren und ihn in ihren Augen herabsetzen würde. Er ließ alle anderen gelten, aber gerade er hätte ihn ungemein geniert. Der Schreiber merkte, daß er sein Versprechen nicht halten wollte, und Frédérics Schweigen schien ihm umso beleidigender.
Er wollte ihn unbedingt leiten, ihn sich nach dem Ideal ihrer Jugend entwickeln sehen, und sein Müßiggang empörte ihn wie ein Ungehorsam oder ein Verrat. Außerdem sprach Frédéric, voll von Gedanken an Madame Arnoux, oft von ihrem Mann; und Deslauriers verfiel auf eine unerträgliche Neckerei, die darin bestand, seinen Namen hundertmal des Tages am Schluß jedes Satzes auszusprechen, wie in einer idiotischen Manier. Klopfte es an seine Tür, antwortete er: »Herein, Arnoux!« Im Restaurant forderte er einen Fromage de Brie »à la Arnoux!« und nachts tat er, als ob ein Alb ihn bedrücke und weckte seinen Gefährten mit dem Gebrüll: »Arnoux! Arnoux!« Schließlich sagte Frédéric eines Tages mit kläglicher Stimme:
»Aber laß mich doch in Ruhe mit Arnoux.«
»Niemals,« erwiderte der Schreiber.
»Immer er! immerzu!… Das Bild von Arnoux…«
»So schweige doch!« rief Frédéric und hob die Faust. Dann fuhr er leise fort:
»Es ist mir peinlich, das weißt du doch!«
»O! Pardon, mein Lieber,« erwiderte Deslauriers und verneigte sich sehr tief, »die Nerven von Mademoiselle sollen hinfort geschont werden. Bitte nochmals um Verzeihung; tausendmal um Entschuldigung!«
So nahm der Scherz ein Ende.
Aber drei Wochen später sagte er eines Abends zu ihm:
»Nun habe ich Madame Arnoux aber gesehen.«
»Wo denn?«
»Im Justizpalast, mit Balandard, dem Rechtsanwalt; eine brünette Frau, nicht wahr, von mittelgroßer Figur?«
Frédéric machte ein Zeichen der Zustimmung. Er wartete, daß Deslauriers spreche. Bei dem kleinsten Wort der Bewunderung hätte er sein Herz ganz ausgeschüttet, wäre bereit gewesen, ihn innig zu lieben; der andere schwieg noch immer; schließlich hielt er es nicht mehr aus und fragte ihn, was er von ihr denke.
Deslauriers fand sie »nicht übel, ohne doch etwas Besonderes zu haben«.
»Findest du?« sagte Frédéric.
Es kam der Monat August, die Zeit seines zweiten Examens. Nach der allgemeinen Ansicht sollten vierzehn Tage genügen, um sich dazu vorzubereiten. Frédéric, der an seiner Fähigkeit nicht zweifelte, verschlang gleich im Anfang die vier ersten Bände der Prozeßordnung, die drei ersten des Strafgesetzbuches, mehrere Stücke Strafprozeßordnung und einen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches mit den Erläuterungen von Poncelet. Am Abend vorher ging Deslauriers noch einmal alles mit ihm durch, was sich bis zum Morgen hinzog, und um die letzte Viertelstunde noch auszunutzen, fuhr er fort, unterwegs im Gehen Fragen an ihn zu stellen.
Da gleichzeitig mehrere Prüfungen stattfanden, waren viele Leute anwesend, unter anderen Hussonnet und de Cisy; man versäumte nicht, diesen Prüfungen beizuwohnen, wenn es sich um Kameraden handelte. Frédéric legte die traditionelle schwarze Robe an, darauf trat er, von der Menge gefolgt, mit drei anderen Studenten in einen großen Raum, der von gardinenlosen Fenstern erhellt und mit Bänken längs der Wände ausgestattet war. In der Mitte stand, von Lederstühlen umgeben, ein Tisch, mit grünem Tuch bekleidet. Er trennte die Kandidaten von den Herren Professoren in roten Roben; sie trugen alle Hermelinstreifen auf den Achseln und goldbetreßte Baretts.
Frédéric befand sich als vorletzter in der Reihe, ein schlechter Platz. Bei der ersten Frage über den Unterschied zwischen einer Übereinkunft und einem Kontrakt verwechselte er eins mit dem andern; und der Professor, ein freundlicher Mann, sagte zu ihm: – »Regen Sie sich nicht auf, mein Herr, fassen Sie sich!« dann, nachdem er noch zwei leichte Fragen gestellt hatte, auf die unbestimmte Antworten folgten, ging er endlich zum Vierten über. Frédéric wurde mutlos durch diesen kläglichen Anfang. Deslauriers machte ihm, gegenüber, unter dem Publikum Zeichen, daß noch nicht alles verloren sei; und bei der zweiten Frage über das Strafrecht zeigte er sich leidlich. Allein, nach der dritten, das testamentum mysticum betreffend, verdoppelte sich seine Angst, da der Examinator immer gleich kaltblütig geblieben war und Hussonnet die Hände zusammenlegte, wie um zu applaudieren, während Deslauriers die Achseln zuckte. Endlich kam der Moment, wo er über die Zivilprozeßordnung befragt wurde. Es handelte sich um den Einspruch eines Dritten. Der Professor, entrüstet über Theorien, die den seinen widersprachen, fragte ihn in barschem Ton:
»Und Sie, wie ist Ihre Ansicht darüber? Wie bringen Sie den Grundsatz von Artikel 1351 des Bürgerlichen Gesetzbuches mit diesem außerordentlichen Anklageverfahren in Einklang?«
Frédéric empfand heftiges Kopfweh, da er die Nacht ohne Schlaf verbracht hatte. Ein Sonnenstrahl, der durch die Ritze einer Jalousie fiel, traf sein Gesicht. Hinter seinem Stuhl stehend, wankte er hin und her und drehte an seinem Schnurrbart.
»Ich warte noch immer auf Ihre Antwort!« fing der Mann mit dem Goldbarett wieder an.
Und da Frédérics Geberde ihn offenbar reizte, fuhr er fort:
»In Ihrem Bart werden Sie sie nicht finden.«
Dieser Hohn brachte die Zuhörer zum Lachen; der Professor fühlte sich geschmeichelt und schmunzelte. Er richtete noch zwei Fragen über Vorladung und Zwangsverfahren an ihn und neigte dann den Kopf zum Zeichen der Zustimmung; der öffentliche Akt war beendet. Frédéric trat ins Vestibül zurück.
Während der Diener ihm die Robe abnahm, um sie unmittelbar darauf einem andern anzulegen, umringten ihn seine Freunde, die ihn vollends mit ihren widersprechenden Ansichten über das Resultat des Examens einschüchterten.
Am Eingang des Saals wurde bald mit sonorer Stimme ausgerufen: »Der Dritte ist – zurückgestellt!«
»Futsch!« sagte Hussonnet, »laßt uns gehen!«
Vor der Loge des Hausmeisters trafen sie Martinon, rot, bewegt, mit einem Lächeln in den Augen und dem Nimbus des Triumphs auf der Stirn. Er hatte eben ohne Hindernis sein letztes Examen bestanden. Nun blieb nur noch die Dissertation übrig. In vierzehn Tagen würde er Lizenziat sein. Seine Familie war bekannt mit einem Minister, eine schöne Karriere stand ihm