Die Erziehung der Gefühle. Gustave Flaubert

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Erziehung der Gefühle - Gustave Flaubert страница 23

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Erziehung der Gefühle - Gustave Flaubert

Скачать книгу

er den ganzen Rummel stumpfsinnig finde.

      »Und wer hat Schuld? Wenn du uns nicht um deinen Arnoux im Stich gelassen hättest!«

      »Ach was! alles, was ich hätte tun können, wäre nutzlos gewesen!«

      Aber der Schreiber hatte Theorien. Um Dinge zu erlangen, genüge es, sie nachdrücklichst zu wünschen.

      »Und du selber hast doch eben…«

      »Ich mache mir nichts daraus!« entgegnete Deslauriers, der klaren Anspielung ausweichend. »Soll ich mich mit Weibern einlassen?«

      Und er zog gegen ihre Ziererei, ihre Dummheiten los; kurz, sie mißfielen ihm.

      »Verstelle dich doch nicht!« sagte Frédéric.

      Deslauriers schwieg. Dann plötzlich sagte er:

      »Willst du hundert Francs wetten, daß ich die erste, die vorübergeht, ›stelle‹?«

      »Ja, angenommen!«

      Als erste ging eine häßliche Bettlerin vorüber, und sie gaben die Hoffnung auf eine Gelegenheit auf, als sie mitten in der Rue de Rivoli ein großes Mädchen mit einem kleinen Karton in der Hand bemerkten.

      Deslauriers sprach sie unter den Arkaden an. Sie wandte sich rasch nach der Seite der Tuilerien, bald hatte sie die Place du Caroussel erreicht und blickte nach allen Seiten. Sie lief hinter einer Droschke her, Deslauriers holte sie ein. Er ging neben ihr und sprach mit ausdrucksvollen Geberden auf sie ein. Endlich nahm sie seinen Arm, und sie gingen am Quai entlang weiter. Dann, auf der Höhe des Châtelet, spazierten sie wenigstens zwanzig Minuten auf dem Trottoir auf und ab wie zwei Seeleute, die Wache haben. Allein plötzlich überschritten sie den Pont au Change, den Blumenmarkt, den Quai Napoléon. Frédéric kam hinter ihnen her. Deslauriers gab ihm zu verstehen, daß er sie stören würde und nur ihrem Beispiel zu folgen brauche.

      »Wieviel hast du noch?«

      »Zwei Goldstücke und hundert Sous.«

      »Das genügt! Gute Nacht!«

      Frédéric war erstaunt, wie man es ist, wenn man einen Spaß gelingen sieht: »Er macht sich über mich lustig,« dachte er. »Ob ich hinaufgehe?« Glaubte Deslauriers etwa, daß er ihn um diese Liebe beneide? »Als ob ich nicht eine hätte, eine, die hundertmal seltener, edler, stärker ist!« Eine Art Zorn trieb ihn vorwärts. Er langte vor der Tür von Madame Arnoux an.

      Keines der äußeren Fenster gehörte zu ihrer Wohnung. Indessen blieb er stehen, die Augen auf die Fassade geheftet, – als glaube er durch diese Blicke die Mauern zu spalten. Jetzt ruhte sie ohne Zweifel still wie eine schlafende Blume mit ihrem schönen, schwarzen Haar, die Lippen halb geöffnet, das Haupt auf dem Arm, in den Spitzen ihres Kissens.

      Er sah Arnoux’ Kopf vor sich. Dieser Vision zu entfliehen, entfernte er sich.

      Deslauriers’ Rat kam ihm in Erinnerung; er fürchtete sich davor. Da wanderte er ziellos in den Straßen umher.

      Kam ihm ein Fußgänger entgegen, so versuchte er seine Züge zu unterscheiden. Von Zeit zu Zeit fiel ihm ein Lichtstrahl zwischen die Beine und beschrieb einen immensen Viertelkreis am Rande der Straße; und aus dem Dunkel tauchte ein Mann mit seiner Kiepe und Laterne auf. An einigen Stellen rüttelte der Wind an dem Rohr eines Schornsteins; von fern erklangen Töne, die sich mit dem Dröhnen in seinem Kopf mischten, und er glaubte in den Lüften die vagen Klänge des Kontretanzes zu hören. In der Bewegung des Gehens hielt dieser Rausch an; er befand sich auf dem Pont de la Concorde.

      Da erinnerte er sich wieder jenes Abends im vergangenen Winter, – wo er zum erstenmal von ihr gekommen war und hier hatte stehen bleiben müssen, so schnell schlug damals das Herz unter dem Bann seiner Hoffnungen. Jetzt waren sie alle tot.

      Dunkle Wolken glitten über das Antlitz des Mondes. Er betrachtete sie und dachte an die Unendlichkeit des Raumes, das Elend des Lebens und seine Nichtigkeit. Der Tag erwachte, seine Zähne klapperten, und halb im Schlaf, vom Nebel durchnäßt und nahe am Weinen, fragte er sich: warum nicht ein Ende machen? Nichts als eine Bewegung war nötig! Die schwere Stirn zog ihn nieder, er sah sich als Leichnam auf dem Wasser schwimmen; Frédéric beugte sich hinab. Die Brüstung war ein wenig breit, und nur seine Müdigkeit hinderte ihn, hinunterzuspringen.

      Entsetzen ergriff ihn. Er ging auf die Boulevards zurück und sank auf eine Bank. Überzeugt, daß er »gebummelt« hatte, weckten ihn Polizisten.

      Er schickte sich wieder an, weiterzugehen. Aber da er großen Hunger verspürte und alle Restaurants geschlossen waren, ging er in eine Kneipe in der Halle, um etwas zu essen. Darauf schlenderte er, da er es noch für zu früh hielt, bis um ein Viertel nach acht in der Umgebung des Stadthauses umher. –

      Deslauriers hatte seine Schöne längst verabschiedet und schrieb am Tisch mitten im Zimmer. Gegen vier Uhr kam Cisy zu ihm.

      Auf Dussardiers Veranlassung hatte er sich am vorhergehenden Abend mit einer Dame verabredet und sie sogar mit ihrem Mann im Wagen bis an die Schwelle ihres Hauses begleitet, wo sie ein Rendezvous mit ihm verabredet hatte. Er kam daher. Man kannte dort ihren Namen gar nicht.

      »Was wollen Sie, daß ich dabei tue?« sagte Frédéric.

      Da begann der Junker von allem möglichen zu reden; er sprach von Mademoiselle Vatnaz, der Andalusierin und all den anderen. Schließlich, nach vielen Umschweifen erklärte er den Zweck seines Besuches: im Vertrauen auf die Verschwiegenheit seines Freundes bäte er ihn, ihm in einer Sache beizustehen, in der er sich entschieden als Mann zeigen würde, und Frédéric schlug es ihm nicht ab. Er erzählte dann Deslauriers die Geschichte, ohne zu verraten, was ihn persönlich dabei betraf.

      Der Schreiber fand, daß »er sich jetzt ganz gut mache«. Dies Annehmen seiner Ratschläge erhöhte noch seine gute Laune.

      Durch diese hatte er Mademoiselle Clémence Daviou, Goldstickerin für Militärausrüstungen, das süßeste Wesen von der Welt und schlank wie ein Schilfrohr, mit großen, immer verwunderten blauen Augen, vom ersten Tage ab bezaubert. Der Schreiber nutzte ihre Arglosigkeit so weit aus, sie glauben zu machen, er sei dekoriert; er schmückte seinen Überrock bei ihren Zusammenkünften mit einem roten Bande, versagte sich aber, es öffentlich zu tun, um seinen Vorgesetzten nicht zu demütigen, wie er sagte. Im übrigen hielt er sie sich fern, ließ sich liebkosen wie ein Pascha und nannte sie lachend »Tochter des Volkes«. Sie brachte ihm jedesmal kleine Veilchensträuße. Frédéric hätte eine solche Liebe nicht gemocht.

      Wenn sie aber Arm in Arm ausgingen, um bei Barillon oder Pinson zu essen, empfand er eine seltsame Traurigkeit. Frédéric wußte ja nicht, wie sehr Deslauriers seit einem Jahre jeden Donnerstag gelitten hatte, wenn er sich die Nägel bürstete, ehe er in die Rue Choiseul zum Diner ging.

      Eines Abends, als er sie eben von seinem Balkon oben hatte fortgehen sehen, gewahrte er Hussonnet von weitem auf dem Pont d’Arcole. Der Bohémien machte ihm Zeichen, herunterzukommen, und als Frédéric seine fünf Stockwerke herabkam, sagte er:

      »Die Sache ist nämlich die! Am nächsten Samstag, dem 24., ist der Namenstag von Madame Arnoux.«

      »Aber sie heißt doch Marie?«

      »Auch Angèle, was tut das übrigens? Er wird in ihrem Landhaus in Saint-Cloud gefeiert; ich bin beauftragt, Sie davon zu benachrichtigen. Sie finden um drei Uhr ein Fuhrwerk vor der Redaktion! Also abgemacht! Verzeihung, daß ich Sie herunter bemüht habe. Aber ich habe

Скачать книгу