Die Erziehung der Gefühle. Gustave Flaubert

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Die Erziehung der Gefühle - Gustave Flaubert

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schob und keuchend in seinem Asthma mit ruhigen Schritten daherkam, um seine Vorlesung zu halten. Dieser Mann war einer der Sterne der Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts, ein Rivale von Zachariae und Ruhdorff. Die neue Würde eines Pair von Frankreich hatte nichts in seinem Wesen verändert. Man wußte, daß er arm war, und zollte ihm große Ehrfurcht.

      Indessen riefen einige hinten vom Platz:

      »Nieder mit Guizot!«

      »Nieder mit Pritchard!«

      »Nieder mit den Verkauften!«

      »Nieder mit Louis-Philippe!«

      Die Menge drängte sich gegen das geschlossene Tor des Hofes und verhinderte so den Professor am Weitergehen. Er blieb an der Treppe stehen. Bald wurde er auf der letzten der drei Stufen bemerkt. Er sprach; ein Murren übertönte seine Stimme. So sehr man ihn eben noch geliebt hatte, jetzt haßte man ihn, denn er repräsentierte die Obrigkeit. Bei jedem Versuch, sich Gehör zu verschaffen, begannen die Rufe von neuem. Mit einer großen Geberde forderte er die Studenten auf, ihm zu folgen. Allgemeines Geschrei antwortete ihm. Verächtlich zuckte er die Achseln und verschwand in den Gang. Martinon hatte die Gelegenheit benutzt, um gleichzeitig zu verschwinden.

      »Dieser Feigling!« sagte Frédéric.

      »Er ist vorsichtig!« erwiderte der andere.

      Die Menge brach in Beifallsbezeugungen aus, denn dieser Rückzug des Professors war ein Sieg für sie. Aus allen Fenstern schauten Neugierige. Einige stimmten die Marseillaise an; andere machten den Vorschlag, zu Béranger zu gehen.

      »Zu Laffite!«

      »Zu Chateaubriand!«

      »Zu Voltaire!« brüllte der junge Mann mit dem blonden Schnurrbart.

      Die Polizisten versuchten einzugreifen, indem sie so sanft wie möglich sagten:

      »Gehen Sie, meine Herren, gehen Sie auseinander, ziehen Sie sich zurück!«

      Einer schrie: »Nieder mit den Totschlägern!«

      Das war seit den September-Unruhen die gewöhnliche Drohung. Alle wiederholten sie. Man verspottete die Wächter der öffentlichen Ordnung und pfiff sie aus; sie entfärbten sich; einer von ihnen konnte nicht widerstehen, einen jungen Mann, der ihm zu nahe kam und ihm ins Gesicht lachte, so grob zurückzustoßen, daß er fünf Schritt weiter vor dem Laden des Weinhändlers auf den Rücken fiel. Alle stoben auseinander; aber fast unmittelbar darauf rollte er ebenfalls, von einem wahren Herkules zu Boden geschlagen, dessen Haarschopf wie ein Bündel Werg unter einer Wachstuchmütze hervorquoll.

      Einige Minuten an der Ecke der Rue Saint-Jacques aufgehalten, hatte er sich einer Schachtel, die er trug, schnell entledigt, sich auf den Polizisten gestürzt, und ihn unter sich festhaltend, bearbeitete er sein Gesicht mit heftigen Faustschlägen. Die andern Polizisten eilten herbei, allein der schreckliche Bursche war so stark, daß mindestens vier nötig waren, ihn zu bändigen. Zwei schüttelten ihn am Kragen, zwei andere zogen ihn an den Armen, ein fünfter versetzte ihm Rippenstöße mit dem Knie, und alle nannten ihn Brigant, Mörder, Aufrührer. Mit nackter Brust, die Kleider in Fetzen, beteuerte er seine Unschuld; mit kaltem Blut könne er kein Kind schlagen sehen.

      »Ich heiße Dussardier! Bei Gebr. Valinçart, Spitzen- und Modeneuheiten, Rue de Cléry. Wo ist mein Karton?« Er wiederholte: »Dussardier!… Rue de Cléry. Mein Karton!«

      Aber er beruhigte sich und ließ sich mit stoischer Miene auf die Wache in der Rue Descartes führen. Eine Flut von Leuten folgte ihm. Frédéric und der junge Mann mit dem Schnurrbart gingen, voll Bewunderung für den Kommis und empört über die Gewalttätigkeit der Obrigkeit, dicht hinter ihm. Je weiter man vorwärts schritt, desto geringer wurde die Menge.

      Die Polizisten drehten sich von Zeit zu Zeit wütend um; und da es für die Lärmer nichts mehr zu tun, für die Neugierigen nichts mehr zu sehen gab, entfernten sich nach und nach alle. Passanten, denen man begegnete, betrachteten Dussardier und machten laut boshafte, beleidigende Bemerkungen. Eine alte Frau rief sogar an ihrer Tür, daß er ein Brot gestohlen habe; diese Ungerechtigkeit steigerte die Erbitterung der beiden Freunde. Endlich langte man vor der Wache an. Es waren nur noch etwa zwanzig Personen da. Der Anblick der Soldaten genügte, sie zu zerstreuen.

      Frédéric und sein Kamerad forderten kühn die Herausgabe des soeben Verhafteten. Die Schildwache drohte, sie selber einzustecken, wenn sie noch weiter davon redeten. Sie fragten nach dem Wachthauptmann, nannten ihre Namen, stellten sich vor als Studenten der Rechte und beteuerten, daß der Gefangene ihr Kollege sei.

      Man ließ sie in einen völlig kahlen Raum eintreten, in dem sich vier Bänke längs der verräucherten, gemauerten Wände hinzogen. Im Hintergrunde öffnete sich ein Schiebefenster. Darauf erschien das robuste Gesicht Dussardiers, der mit seinem zerzausten Haarschopf, den kleinen, freimütigen Augen und der Stumpfnase dunkel an die Physiognomie eines treuen Hundes erinnerte.

      »Du erkennst uns nicht?« sagte Hussonnet.

      Das war der Name des jungen Mannes mit dem Schnurrbart.

      »Aber…,« stammelte Dussardier.

      »Stell dich nicht länger einfältig,« entgegnete der andere, »man weiß, daß du wie wir Student der Rechte bist.«

      Trotz ihres Augenzwinkerns begriff Dussardier nichts. Er schien sich zu sammeln und rief dann plötzlich:

      »Ist mein Karton gefunden?«

      Frédéric blickte entmutigt auf. Hussonnet erwiderte:

      »Ach, dein Karton, in dem du deine Vorlesungsnotizen aufhebst? Ja, ja, beruhige dich.«

      Sie verstärkten ihr Mienenspiel. Dussardier verstand endlich, daß sie gekommen waren, um ihm zu helfen, und er schwieg in der Furcht, sie zu kompromittieren. Überdies empfand er eine Art Scham, sich zum sozialen Rang eines Studenten und zum Gefährten dieser jungen Leute erhoben zu sehen, die so weiße Hände hatten.

      »Willst du jemand eine Nachricht geben?« fragte Frédéric.

      »Nein, danke, niemand.«

      »Aber deiner Familie?«

      Er senkte den Kopf, ohne zu antworten; der arme Bursche war ein uneheliches Kind. Die beiden Freunde wunderten sich über sein Schweigen.

      »Hast du etwas zu rauchen?« fragte Frédéric.

      Er betastete sich und zog dann tief aus seiner Tasche die Bruchstücke einer Pfeife hervor, – einer schönen Meerschaumpfeife mit schwarzem Holzrohr, silbernem Deckel und Bernsteinmundstück.

      Seit drei Jähren arbeitete er, daraus ein Meisterstück zu machen. Er hatte den Kopf stets sorgfältig in einem Futteral von Gemsleder bewahrt, so langsam wie möglich daraus geraucht, sie niemals auf Marmor gelegt und sie jeden Abend am Kopfende seines Bettes aufgehängt. Jetzt schüttete er die Stücke in seine Hand, deren Nägel bluteten, und mit gesenktem Kopf, die Augen starr und weit offen, betrachtete er die Trümmer seiner Freude mit einem Blick unaussprechlicher Trauer.

      »Ob wir ihm Zigarren geben, wie?« sagte Hussonnet ganz leise und machte Miene, sie herauszunehmen. Frédéric hatte bereits eine gefüllte Zigarrentasche auf den Fensterrand gelegt.

      »Nimm doch! Lebwohl, nur Mut!«

      Dussardier

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