Das Zwillingsparadoxon. Ron Müller
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Читать онлайн книгу Das Zwillingsparadoxon - Ron Müller страница 7
»Ich würde das nicht tun!« Sein Ton wurde ruhiger.
»Komm schon, Jakob. Das wäre doch wirklich Quatsch.«
»Kurze Info an die unter Ihnen, die derzeit freie Mitarbeiter sind und auf eine Festanstellung bei uns warten«, rief er prollig in die Redaktion. »Eine Mitarbeiterin wägt heute ernsthaft ab, ob sie ihre Stelle freimacht. Wer Interesse hat und nachrücken will, kann sich gern in meinem Büro einfinden.«
Als er fertig war, stand er mit seinem Gesicht keine zwanzig Zentimeter vor Barbaras. »Du schwingst jetzt deinen kleinen Hintern in den Besprechungsraum.«
Zu diesem Zeitpunkt waren in der Redaktion sämtliche Augen auf Jakob gerichtet, auch die von den Mitarbeitern, die zu anderen Teams gehörten.
Den Grundgedanken habt ihr noch nicht verinnerlicht, oder? Um es noch mal zu verdeutlichen: Ihr seid nicht nur Redakteure.« Mit zu viel Adrenalin im Blut ging er an der Fensterfront auf und ab. Es erinnerte an eine der Großkatzen im Zoo, deren Gehege zu knapp bemessen war. »Ihr seid Netzwerker. Wenn euer Netzwerk nicht funktioniert, dann sind eure Schreibtalente überflüssig. Ist das endlich mal in den Köpfen angekommen?«
Es gab Mitarbeiter im Team, die deutlich länger im Geschäft waren als Jakob und über mehr Erfahrung verfügten, doch zu diesem Zeitpunkt konzentrierten sich alle auf das, was er zu sagen hatte.
»Also! Als ich von der Geigersache Wind bekam, hatte Martin Order, bei der Beerdigung aufzukreuzen. Da gab es nichts zu berichten. Gut, das passiert.« Das Blut in Jakobs Adern pochte. »Und dann gab es Vernehmungen der Polizei, noch am gleichen Abend.«
»An dem Tag war Redaktionsstammtisch«, wagte sich jemand aus der Deckung. Eines der älteren Semester.
»Aber das hindert ja wohl niemanden daran, Augen und Ohren offen zu halten. Sonst kann ich den Scheiß hier auch alleine machen!«, brüllte der leitende Redakteur.
Am Besprechungstisch verkniffen sich die fünf, die es betraf, eine Antwort. Wer ihn aufgebracht kannte, vermied in solchen Situationen direkten Augenkontakt – gerade jetzt, wo Jakob seit Monaten den Chefredakteur vertrat und an der Höhenluft Gefallen fand.
»Wollt ihr, dass die Informationen bei der Konkurrenz aufschlagen und der Pressespiegel eine Geschichte zum Thema schreibt? Wir sind die, die Geigers Nachrichten exklusiv veröffentlichen. Wann kapiert ihr das endlich?! Wie habt ihr euch das denn vorgestellt? Die Leser sehen am Kiosk in unserem Blatt eine neue Notiz vom Doktor und kaufen sich dann den Pressespiegel, um zu erfahren, was sie bedeutet oder welche Hintergrundgeschichten es dazu gibt?«
Wutschnaubend steckte sich Jakob eine Zigarette an.
»Und gerade eben bekomme ich einen Anruf von einem Wichtigtuer, der behauptet, Geiger hätte irgendwelche Versuche mit seinen Patienten gemacht? Warum kriegt ihr das nicht raus? Jetzt mal ohne Quatsch. Ist niemandem zu Ohren gekommen, dass in der Nacht nicht nur einer zu Tode kam? Es gab vier weitere Opfer und ausreichend Gerüchte, um dem Doktor das eine oder andere zu unterstellen. Allein damit hätte ich Seite eins gefüllt. Aber ihr schafft das ja nicht! Der Doktor hatte obendrein Hilfe. Sein Komplize wurde aufgegriffen und war eine Zeit lang im Polizeipräsidium. Ein gewisser Steiner. Kennt den jemand? … Nein? … War ja klar.«
Jakob sah nach und nach jedem Mitarbeiter in die Augen.
»Ich erwarte, dass die Sache höchste Priorität bekommt. Wenn es bei den Geigers Neues gibt, will ich das erfahren. Wenn die Ermittlungen vorangehen, dann will ich das verdammt noch mal auch wissen. Verabschiedet euch von dem Gedanken, dass ihr hier täglich eure acht, neun Stunden abreißt und danach wieder verschwindet. Ich erinnere nur daran, wie wackelig die Bilanz der Zeitung letztes Jahr aussah. Ich kann versprechen, sobald wir eine Nummer wie diese in den Sand setzen, wird im nächsten Stellenplan der Platz für einen von euch fehlen. So … und die Schlussredaktion, liebe Freunde …«
Jakob fuchtelte wütend mit dem Zeigefinger herum.
»Die Schlussredaktion wird heute und bis zum Ende der Woche sehr zeitig in den Feierabend gehen, weil ihr die Spätschicht übernehmt. Wer zu christlichen Zeiten keine Ergebnisse bringt, bekommt bei mir dazu abends Gelegenheit.«
8
Ich hätte etwas trinken sollen, dachte Henning, als er den von einem früheren Sturz zerkratzten Helm an den Spiegel des Motorrads hängte. Es parkte an der Hauswand. Hinter ihm die erkerähnliche Ausbuchtung mit den Küchenfenstern. Vor ihm nicht mehr als sechs Schritte bis zur Tür – vermutlich.
Eins, auf Höhe des Vorderrades.
Zwei, drei neben der schmalen Rabatte, in der die Pflanzen der Mutter nie etwas wurden, weil im Sommer die Mittagssonne die jungen Triebe verbrannte.
Vier, es würde eng werden. Er müsste Riesenschritte machen, um beim sechsten auf der Schwelle zu stehen – aber das könnte er nicht gelten lassen. Jedes Spiel hatte Regeln. Auch dieses.
Fünf. Einer seiner Schritte maß knapp einen Meter. Bis zur Tür waren es noch mindestens zwei davon und damit mehr als sechs.
Verschätzt.
Henning nahm das Ergebnis zur Kenntnis. Sonderbar, womit sich Gehirne befassten, wenn sie die Möglichkeit bekamen, unangenehme Situationen etwas hinauszuzögern.
Als er den Flur der Eltern hinunter ins Wohnzimmer ging, kam ihm Steve entgegen.
»Gut, dass du gekommen bist.«
Was soll das Gesülze?, dachte Henning und regte sich über die kriechende Art des kleinen Bruders auf. Klein war dieser mit einsachtundsechzig tatsächlich. In der Regel glich er das durch Schuhe mit höheren Sohlen aus, damit er die einssiebzig überschritt – für Männer geringerer Große ein Meilenstein.
»Was machen die Geschäfte?«
»Ach, das ist doch jetzt unwichtig«, antwortete Steve.
Genau. Henning sparte sich weitere Bemerkungen. Die drohende Privatinsolvenz des Bruders war bekannt, lediglich Steve glaubte, dass das Thema noch als Verschlusssache galt. Aber eigentlich hatte er nichts gegen ihn. Mit seinem schlecht laufenden Internethandel und dem licht gewordenen Haar war der Zweitgeborene gut für sein Ego, in mehrfacher Hinsicht.
»Inge«, begrüßte Henning seine Mutter.
»Und …« Sie lockerte die Umarmung. »Wie geht’s dir?«
Was ist denn heute mit den Leuten los? Henning mochte die Frage nicht. Er fand sie generell unpassend, weil sie fast immer an den falschen Orten gestellt wurde. Meist da, wo kein Raum für eine ehrliche Antwort war. Und heute? Heute war sie geradezu idiotisch. Aber auch das schluckte er herunter.
Den Rest begrüßte er mit Handschlag.
Man rief zu Kaffee und Kuchen. Ohne sich zu sehr aus dem Fenster zu lehnen, hätte jeder der Anwesenden sofort sagen können, was es geben würde. Von der Oma einen Blechkuchen mit Kirschen in der Kirschzeit, mit Äpfeln zur Apfelzeit … man brauchte keine weiteren Beispiele, da das System der Großmutter leicht zu durchschauen war.
»Wie viel Zeit bleibt noch bis zur Testamentseröffnung?«, fragte Steve und angelte