Krähentanz. Philipp Schmidt

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Krähentanz - Philipp Schmidt

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sie seine Kehle erreichte und drohte ihm die Luft abzuschnüren. Bald würde er sich der Erschöpfung hingeben müssen, bald würde er fallen und nicht mehr in der Lage sein aufzustehen. Die Befürchtung bewahrheitete sich. Eine Wurzel, die er unter der Decke toten Laubes übersah, brachte ihn zum Straucheln. Er fiel der Länge nach hin, wirbelte dabei einige Blätter auf und blieb, das Gesicht im Matsch versenkt, liegen. Es schien ihm, als würde die Erde ihn zu sich rufen, und er hatte keinen Willen mehr, sich diesem Ruf zu widersetzen.

      Die Zeit verstrich. Der Nieselregen auf seinem Rücken war wie eine Melodie – ein Lied, das ihn auf die andere Seite geleiten würde … Irgendwo vor ihm raschelte es. Er stützte sich auf die Ellbogen und hob den Kopf ein wenig an. Die Ursache des Geräuschs war schnell gefunden. Ein Fuchs war auf Kraehs Bewegung hin stehen geblieben, die Schnauze schnüffelnd nach oben gereckt. Es dauerte eine Weile bis er den Alten wahrnahm, da der Wind seinen Geruch seitlich verwehte. Als sich ihre Blicke schließlich trafen, schien der Räuber nicht sonderlich beeindruckt. Gemächlich tapste er in einem Bogen um den Gestürzten herum weiter. Kraeh sah ihm nach. Plötzlich erkannte er einen schmalen Lichtkegel, keine zwei Steinwürfe von ihm entfernt, der sich aus dem Dunkel der Nacht abhob. Ohne Zweifel ein Feuer. Das war es, was er gebraucht hatte: ein Ziel, für das sich das Weitermühen lohnte. Er kam auf die Beine. Sie waren verkrampft, taten aber ihren Dienst. Taumelnd erreichte er das Lagerfeuer, um das eine Handvoll Gestalten saß, deren Gesichter er nicht erkennen konnte, da sie in Anbetracht der Witterung unter Kapuzen verborgen waren. Seine Hand hob sich zum Gruß, doch die Stimme versagte ihm und er sackte in sich zusammen, ehe er ein Wort herausbrachte.

      * * *

      Das Erste, was er beim Aufwachen wahrnahm, war die Taubheit seines rechten Beines. Sie hatte den Schmerz abgelöst. Panisch richtete er sich auf und ließ sich sogleich wieder sinken, erleichtert durch die Tatsache, dass sein Bein noch war, wo es hingehörte.

      »Ich habe die Wunde gereinigt«, ertönte eine Frauenstimme neben ihm.

      Kraeh verrenkte sich den Kopf bei dem Unterfangen, seine Retterin in den Blick zu bekommen. Alles, was er sah, war ein wenig anmutendes Profil, aus dem eine zu lange Nase herausstach, flackernd beleuchtet von dem Schein eines Feuers. Dank murmelnd, ließ er seinen Nacken knacken, indem er das Gesicht dem verhangenen Himmel zuwandte.

      Er gab sich den Anschein zu dösen, während er die Wärme des Feuers aufsog und dem Gespräch lauschte, das die fünf, in der Gegend offenkundig Fremden, führten. Es dreht sich um ihn. Die unansehnliche Frau, die sich ihm in seiner Ohnmacht angenommen hatte, bestand darauf, von ihrem bisherigen Plan abzurücken und ihn zumindest in ein unweit gelegenes Dorf zu schaffen, wo man sich um ihn kümmern könnte. Zunächst widersprach ihr nur einer der vier Männer. Sein Akzent verriet, dass er nicht aus den Rheinlanden stammte. Seine Stimme war tief und besonnen, doch lag unverkennbar auch eine Spur Beunruhigung darin.

      »Heilige Isabel«, sagte der Mann gedämpft, »Ihr wisst, was Pater Derivell gesagt hat: ›Keine Umwege, keine überflüssige Rast, begebt euch auf schnellstem Wege nach Ulfenstein, wo man euch bereits erwartet.‹ Ihr dürft Euer Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzten«, fügte er noch mahnend hinzu.

      »Und was schlagt Ihr vor, Arduhl? Den Greis sich selbst und damit dem sicheren Tod zu überlassen?«, gab Isabel vorwurfsvoll zurück. »Was für eine Heilige wäre ich, wenn ich das täte?«

      »Aber die Firsen«, lenkte nun einer der anderen ein. »Niemand weiß, wo die Ungläubigen als Nächstes zuschlagen.«

      So ging es noch eine Weile hin und her, aber die Frau hatte ihre Entscheidung gefällt und Arduhl und seinem Fürsprecher gelang es nicht, sie davon abzubringen.

      Kraeh hing derweil seinen eigenen Gedanken nach. Die Firsen, so weit im Süden? Wenn der Arm der wilden Stämme mittlerweile so weit reichte, musste Brisak stark geschwächt sein. Ihm war natürlich bewusst, wie sehr sich die Verhältnisse in der Zeit seiner Abgeschiedenheit verändert haben konnten, doch der Gedanke zu Ende gedacht versetzte ihm einen Stich. Was war wohl aus Erkentrud, Sedain und Siebenstreich geworden? Saß Heikhe noch auf dem Thron? Falls ja, brauchte sie offensichtlich seine Hilfe. Er verbesserte sich sogleich: Sie bräuchte Hilfe, ja, jedoch nicht von einem Alten wie ihm, der nicht einmal alleine aus diesem Wald gefunden hätte. Mitten in seinen Überlegungen wurde er vom Schlaf übermannt.

      * * *

      Kraeh erwachte, noch bevor die letzte Wache, augenscheinlich der Fremdländer, die anderen weckte. Noch so ein Nachteil des Älterwerdens, ärgerte er sich im Stillen; man hatte eigentlich nichts zu tun, außer zu schlafen, und nicht einmal das wurde einem gewährt. Es war selten, dass er über das Morgengrauen hinaus durchschlafen konnte. Heute musste er sich eingestehen, während er aufstand und zum Wasserlassen einige Schritte vom Feuerplatz wegging, lag es wohl vor allem an seinem Magen, der sich anfühlte, als sei er auf die Größe einer Nuss geschrumpft. Zurück bei der Wolldecke, die man ihm in der Nacht offenbar übergeworfen hatte, meldete sich sein Bauch so laut zu Wort, dass der Mann, der ihn nicht aus den Augen gelassen hatte, ohne ein Wort einen halben Laib Brot und einen ledernen Wasserschlauch hinwarf.

      Gierig gruben sich Kraehs Zähne in die harte Rinde. Er biss ein Stück mit seinen intakten Schneidezähnen heraus, das er dann im Mund hin und her bewegte, bis es vom Speichel vollgesogen von den wenigen verbliebenen Backenzähnen zu kauen war. Sein Hunger war enorm, doch da seine Essprozedur langwierig war, nutze er die Zeit, den Mann, von dem ihn nur das heruntergebrannte Feuer trennte, einer genaueren Musterung zu unterziehen. Seine Hand, die von ebenso hellbrauner Farbe wie sein ebenmäßiges Gesicht war, lag wie zufällig auf dem Griff eines Schwertes, das in einer gebogenen Scheide steckte. Er war gewiss nicht älter als dreißig Sommer, seine Haltung für die frühe Tageszeit auffällig aufrecht, die Wachsamkeit seiner dunklen Augen betont durch die dichten Augenbrauen, welche sich auf dem Nasenbein vereinten.

      In das sich unangenehm ausdehnende Schweigen hinein fragte Kraeh ihn, zwischen zwei Schlucken aus dem Wasserschlauch, nach seiner Herkunft.

      Sein Gegenüber schien zu überlegen, ob er überhaupt antworten solle, kam dann wohl aber zu dem Schluss, es könne nicht schaden, ein wenig mit dem Alten zu plaudern.

      »Morak. Meine Geschwister und ich wuchsen in den Bergen von Morak auf.«

      Irgendwo hatte Kraeh den Namen schon einmal gehört, war sich jedoch nicht sicher und fragte deshalb nach.

      Er erfuhr in knappen Sätzen, dass es sich um ein Gebiet weit, weit im Süden handele. Eine Meerenge verbinde das kleine Reich mit dem Festland Eiderits, erklärte Arduhl in einer Weise, die nicht den geringsten Zweifel an seinem Unmut über diese geografische Lage ließ.

      Da Kraeh ihn nicht beleidigen wollte, unterließ er es nachzufragen, ob dieser Landstrich nicht zu den Firsen gerechnet wurde. Er wäre auch gar nicht dazu gekommen, da Arduhl sich nun seinerseits nach Kraehs Person erkundigte.

      »Du hast bisher nicht einmal deinen Namen genannt.« Die Stimme des Mannes machte keinen Hehl aus seinem Argwohn.

      »Meine Eltern nannten mich Henfir«, log Kraeh und dachte dabei an seinen Freund, den Bogenschützen, der in der letzten Schlacht gegen Niedswar gefallen war.

      »Und du bist Soldat?«, hakte der Fremdling mit einem Seitenblick auf Kraehs Hüfte nach, an der Lidunggrimm hing. Unwillkürlich zog Kraeh seinen immer noch feuchten Mantel über die wertvolle Klinge. Die Geste schien das Misstrauen seines Gegenübers noch zu steigern.

      »Ich war es zumindest.«

      Die Miene Arduhls war lauernd, vermutlich, dachte Kraeh nun, hatte er das Gespräch nur deshalb begonnen, um auf diesen Punkt zu sprechen zu kommen. »Sage mir, Henfir, was sucht ein abgedankter Soldat alleine in diesem

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