Krähentanz. Philipp Schmidt
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Kurz blendete etwas seine Augen und er bemerkte den schmalen Riss im Boden, durch den das Licht gedrungen war. Umständlich legte er sich flach auf den Boden und linste direkt in den Schankraum unter sich. Der Mann, der die Öllampe geschwenkt hatte, trat beiseite, als zwei Gestalten, jene, die gerade die Treppe hinabgegangen sein mussten, in Kraehs Blickfeld kamen. Sie ähnelten sich auf groteske Weise. Wie der mit der Öllampe trugen sie eine weiße Tunika. Im Gegensatz zu ihm war ihr Kettenhemd und der auf Hochglanz polierte Harnisch darüber perfekt an ihre Statur angepasst. Das Rüstzeug der weiblichen Gestalt vermittelte den Eindruck, sie stünde nackt unter ihm; die metallenen Brüste waren formvollendet, bis auf die Stacheln, welche die Brustwarzen ersetzten. Ihre behandschuhte Linke ruhte auf einer nietenverstärkten Peitsche, welche in ihrem Gürtel steckte. Selbst unter dem spitz zulaufenden Helm und dem Visier, das ihr Gesicht zur Hälfte bedeckte, war die Unerbittlichkeit ihres Wesens deutlich zu erkennen.
Das Ebenbild dieser scharfkantigen Züge fand sich unter dem von Rosshaar gekrönten Helm ihres Bruders, durch dessen Aussparung an der Augenpartie, ein Blick purer Boshaftigkeit aufflammte, als er den Kopf leicht nach oben bewegte. Für einen Augenblick blieb Kraehs Herz stehen. Hatte ihn der männliche Zwilling bemerkt? Ein Teil von ihm wünschte es sich sogar. Zu Kampf und Tod gezwungen zu werden, wäre vielleicht besser gewesen, als dem, was nun folgen würde, tatenlos zuzusehen. Die grünen Augen des Zwillings hatten sich aber wieder abgewandt und blickten nun nach unten auf eine Person außerhalb von Kraehs Blickfeld.
»Ich frage nur ein einziges Mal«, drohte er. »Wo ist Arduhl ap Tulaf?«
Isabel keuchte, sie wisse es nicht, er müsse in der Nacht verschwunden sein.
Ihrer Stimme war anzuhören, dass sie bereits geschlagen worden war, und doch schwang in ihrer Antwort noch ein Körnchen Entrüstung mit, die sie vor der Erkenntnis der Ausweglosigkeit ihrer Lage bewahrte.
»Er ist fort, mehr kann ich euch nicht sagen«, bedeutete sie flehend, wechselte dann aber rasch wieder den Tonfall. »Wir sind doch Diener desselben Gottes, jenes liebenden Gottes, den Kaiser Gunther über alle anderen zur ihm gebührenden Gloria erhoben hat. Ich stehe unter beider Schutz. Hütet euch, mich noch einmal anzufass…«
Das Wort endete in einem Röcheln. Kraeh sah sie erst, als ihr lebloser Körper nach vorn fiel. Nein, sie war nicht tot, bemerkte der Alte schaudernd. Ihre Handballen stützten sich auf dem Boden ab, in dem kläglichen Versuch, den am Hals blutenden Leib aufzurichten. Lidunggrimm zitterte in Kraehs Hand.
»Wir, mein Bruder und ich, handeln auf Geheiß des Kaisers«, bemerkte der weibliche Zwilling sadistisch. »Eine Hure wie du aber sollte sich weder auf ihn noch auf Gott berufen.« Die Peitsche der Frau knallte auf Isabels Rücken, wo sie einen grässlichen Striemen hinterließ. Hände und Arme klappten ein und sie landete auf dem Gesicht.
Ein Kampfschrei erscholl. Lubbo hatte es geschafft, sich von seinem Bewacher zu lösen, der überrascht und leicht zeitversetzt, hinter ihm herkam. Jeden Augenblick würde Lubbos Klinge an dem Schulterschutz der Peinigerin vorbeifahren und ihre Kehle öffnen. Doch sein Angriff wurde jäh gestoppt. Wie Lubbo an sich hinunterblickte und des Schwertes in seiner Magengegend gewahr wurde, fiel ihm die eigene Klinge zu Boden. Er keuchte, als der männliche Zwilling den Stahl in seinem Bauch umdrehte. »Tötet sie alle!«, schnaubte derselbe wutentbrannt und das Gemetzel begann. Kraeh nahm nichts davon wahr außer den Schreien der beiden anderen, die ihn aus dem Wald gerettet und hierher begleitet hatten, und dem abscheulichen Anblick, wie die Frau in der glänzenden Rüstung sich über Isabel beugte, um sie, dem Anschein nach schneller, als sie eigentlich vorgehabt hatte, zu töten, indem sie die Heilige mit der Peitsche erdrosselte.
»Wickelt die Leichen in eure Umhänge«, kam die Anweisung, des Zwillings, der gerade sein Schwert aus Lubbos Fleisch befreite, »wir wollen kein unnötiges Aufsehen erregen.«
Die Soldaten machten sich an die Arbeit, der Zwilling jedoch sah sich, wohl seiner Intuition folgend, misstrauisch im Raum um, ohne sich dabei zu bewegen. Schon zuvor, als der ihm in die grünen Augen geblickt hatte, verstand Kraeh nun, hatte dieser etwas geahnt. Die beiden da unten waren nicht das, worauf man ihrem Äußeren nach schließen mochte. Sie waren keine Menschen und sie wussten, dass sie beobachtet wurden.
Als die Soldaten den Befehl ausgeführt hatten, die Leichen, so vermutete Kraeh, eingewickelt neben der Eingangstür lagen und einer die Blutlachen auf dem Boden mit einem Lappen aufwischte, flüsterten erst die Zwillinge miteinander, dann winkten sie vier der Soldaten herbei und gaben ihnen weitere Order, die Kraeh nicht verstehen konnte. Aber es war deutlich genug, was der Inhalt gewesen war. Die Soldaten huschten schleichend aus seinem Blickfeld und kurz darauf hörte er ihre gedämpften Schritte auf der Treppe.
Kraehs Blut geriet in Wallung. Was sollte er tun? Das Fenster war groß genug, um hindurchzuschlüpfen, aber wenn diese Mörderbande nicht närrisch war, wovon er nicht ausging, würden ihn unten bereits andere Männer mit gezückter Waffe erwarten. Ein Fußpaar war direkt vor seiner Tür, die er, wie ihm jetzt gewahr wurde, leichtsinnigerweise nicht verschlossen hatte. Einen Wimpernschlag bevor sie aufschwang, hechtete Kraeh direkt an die Wand daneben. Er hatte Glück; die Soldaten hatten sich aufgeteilt, nur einer stand auf der Schwelle. Lidunggrimm fuhr diesem so unerwartet und schnell durch die Kehle, dass jener keinen Laut mehr herausbrachte. Der Lebenssaft sprudelte Kraeh in einer Fontäne entgegen, als er den Körper mit beiden Armen auffing und so geschwind er es vermochte, in das Zimmer hievte. Die Tür stand sperrangelweit offen. Würde jemand vorbeigehen, war er entlarvt. Durch die Wände hörte er, wie in einem Nebenraum ein Wortgefecht entbrannte. Ein anderer Gast wollte sich nicht einfach abführen lassen und der Soldat, welcher sich mit dem Streitlustigen befasste, rief nach Hilfe. Bestens!, schoss es Kraeh durch den Kopf, während seine senilen Finger die Kerze auf dem Nachttisch mit dem für sie bereitliegenden Feuerstein entzündete. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, bis der Docht endlich aufloderte. Vorsichtig, mit der hohlen Hand die kleine Flamme schützend, stellte er die Kerze auf den Boden neben das Bett. Sogleich fing das Laken Feuer. Er schob Lidunggrimm in die Scheide, schleifte den Leichnam des toten Soldaten zum Fenster und stemmte ihn nach oben. Wie ein Sack polterte er über das Dach. Er verhakte sich an der Regenrinne und blieb in grotesker Haltung liegen. Unten wurden Befehle gebrüllt. Sehr gut! Inzwischen brannte das Zimmer lichterloh. Kraeh schlang sich seinen Fellmantel um die Schultern, stürzte aus der Tür, dann den Gang entlang und schließlich die Treppe hinunter.
Während er nach unten hastete, wobei eine der Stufen ihn beinahe zu Fall gebracht hätte, nahm er sich die Zeit, kurz nachzudenken. Diese Kaisertreuen suchten vornehmlich nach Arduhl. Die Soldaten töteten auf Geheiß, wie er hatte erfahren müssen, auch Unschuldige, aber eben nur auf direkten Befehl hin. Seine Sorge musste also allein jenen Zwillingen gelten. Sie würden dort sein, wo ein potenzieller Ausreißer die beste Möglichkeit zur Flucht hätte. Sofern sie seine Finte geschluckt hatten, vermuteten sie ihn auf dem Dach. Zwar hatte er die Leiche nach vorne hin, zur Seite der Eingangstür aus dem Fenster geworfen, aber nur ein Dummkopf würde, wenn er einmal auf dem Dach war, den kürzesten Weg wählen. Demnach wären sie auf der Rückseite des Hauses und er würde wie der besagte Dummkopf handeln.
Im Schankraum hatte sich bereits Qualm angesammelt. Der leichte Morgenwind gab dem Feuer, was es brauchte, um sich flugs auszubreiten. Kraeh stürmte an den Säcken vorbei, in denen sich, wie er wusste, die heilige Isabel, der gutmütige Lubbo und die beiden anderen befanden. Er riss die Tür auf und vernahm das Knistern hinter sich, mit dem das Freudenfeuer seinen Dank über den