Krähentanz. Philipp Schmidt

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Krähentanz - Philipp Schmidt

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glaubte, immer noch von Heikhe regiert zu werden. Vielleicht hielt man das einfache Landvolk aber auch bewusst in einem falschen Glauben. Kraeh wollte gerade eine diesbezügliche Frage stellen, als Rotfar fortfuhr: »Im Palas wirst du niemand Geringeren vorfinden als Eli den Düsteren. Nach der Auflösung des Senates letzten Herbst, hat der Kaiser ihn eingesetzt, damit er die südlichen Gebiete verwaltet.«

      »Und befriedet«, schaltete sich Thorbilt ein.

      Erst jetzt fiel Kraeh die Kette um Rotfars Hals auf, deren Ende unter der am Kragen bestickten Tunika verschwand. Der Wirt verstand und zog an dem Kettchen, bis das kleine goldene Kreuz zum Vorschein kam.

      »Wir sind jetzt alle Krukis hier«, erklärte er, da Kraehs Augen sich zu Schlitzen verengten. »Aber sag«, sprach er weiter, die Anspannung seines Gegenübers mit unechter Gelassenheit überspielend, » was bringt dich dazu, in meiner bescheidenen Schenke einzukehren, Herr Kraeh? Eli ist nicht gerade für seine Freundlichkeit bekannt, doch würde er sich sicher geehrt fühlen, die große Kriegskrähe an seiner Tafel willkommen zu heißen.«

      Kraeh lächelte. »Das wird sich morgen herausstellen.« Er nahm den letzten Schluck aus seinem Humpen; »Vorerst aber möchte ich dich um einen Schlafplatz bitten. Sofern es für dich in Ordnung ist, dass ich bezahle, sobald es mir möglich ist.«

      Rotfar versicherte ein wenig aufgewühlt, er sei selbstredend ein gern gesehener Gast, stand auf und ging in einen Nebenraum. Kurz darauf kam er mit einem Bettlaken unter dem Arm zurück. »Leider kann ich nicht mehr anbieten«, sagte er, als er Kraeh in den unbelegten Schlafraum hinter dem Tresen geführte. »Für einen Mittagsschlaf wird’s hoffentlich reichen«, fügte er noch mit einem Zwinkern hinzu, indem er seinem unerwarteten Gast das Laken in die Hand drückte.

      Kraeh bedankte sich und richtete das Bett, welches der Tür am nächsten war. Natürlich würde er wieder kein Auge zutun, den beiden war nicht zu trauen. Er döste ein wenig, darauf bedacht, dass der Schlaf ihn nicht vollends übermannte. Gerne hätte er noch mehr erfahren, aber sein Geist war so träge wie seine Glieder steif. Mit jenen wenigen Dingen jonglierend, die er eben gehört hatte, driftete er ab und schlief unversehens doch ein. Es musste bereits früher Abend sein, als das Tuscheln seiner beiden Gastgeber ihn weckte. Zumindest seine Instinkte waren noch einigermaßen auf Trab. Der beschleunigte Herzschlag in seiner Brust verdrängte den Rest der Müdigkeit. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, Kraeh spürte einen Blick auf sich ruhen, dann schloss sie sich wieder.

      »Er schläft«, hörte er Rotfar zu seinem Onkel sagen.

      Das durfte doch wohl nicht wahr sein! So plump konnten sie nicht vorgehen. Natürlich versprachen sie sich eine Belohnung dafür, dass sie ihn an die Obrigkeit verrieten, der Grund lag also nahe: Geld. Dem einen fehlte es gänzlich, der andere war wohl von jener Art, die nicht genug bekommen konnte. Aber doch nicht auf diese Weise! Alle machten so ein großes Gerede um seinen Namen, und sobald sie mit ihm zu schaffen hatten, taten sie so, als hätten sie den dümmsten Einfaltspinsel der ganzen Rheinlande vor sich!

      Getuschel folgte, aus dem klar »Halbe, halbe« und »Einverstanden« herauszuhören war. Ihre Dummheit kommt mir zugute, versuchte Kraeh, sich zu beruhigen, aber es gelang ihm nicht gänzlich.

      Die Außentür wurde geschlossen. Rotfar hatte das Haus also verlassen. Kraeh gähnte, dann stand er auf. Thorbilt saß, mit Blick auf die Tür, auf einem Schemel. Als sie plötzlich aufging, wäre er fast hintenüber gestürzt. Noch so eine törichte Idee. Was wollte sein Bewacher nun machen? Ihn durch seine Erbärmlichkeit zum Heulen bringen?

      »Thorbilt, Thorbilt«, sagte Kraeh kopfschüttelnd. »Man sollte meinen, du hättest aus unserer letzten Begegnung eine Lehre gezogen …«

      Der Bettler antwortete nicht, während sein eines Auge auf der Suche nach einer Ausrede durch den Raum irrte.

      »Du denkst vermutlich, du hättest nichts mehr zu verlieren.« Kraeh schaute verächtlich auf ihn herab. »Die Gesetze der Spiegelungsgleichheit aber scheinen nahezulegen, dass du mit einem Bein weniger viel hübscher anzusehen wärst …« Dabei glitt seine Hand langsam zu Lidunggrimms Knauf.

      Als der Bettler zu winseln begann, nahm Kraeh sich einen Stuhl, rückte ihn vor Thorbilt und setzte sich darauf. Der Schreck hatte gesessen.

      »Also hör zu«, untergrub Kraeh das Gejammer, »von jetzt ab werde ich dir jedes weitere Mal, das wir uns begegnen, ein Körperteil abnehmen. Das ist ein Versprechen …«

      »Danke, danke!«, fiel ihm das Häuflein Elend ins Wort.

      »Soll ich mit der Zunge anfangen?«, fuhr Kraeh ihn an. Mit zusammengepressten Lippen und einer Träne im Auge, bewegte Thorbilt seinen Kopf stumm von links nach rechts.

      »Dachte ich mir. Und deinem liebreizenden Neffen richte aus, dass ich kommen werde, ihn zu holen. Ich werde ihm einen Sack Geld um den Bauch binden und ihn im Fluss versenken. Hast du verstanden?«

      Thorbilt nickte.

      »Schön, hüte dich, mir noch mal über den Weg zu laufen«, sagte der nach dem unruhigen Schlaf wenig erholte alte Krieger, indem er sich erhob. Er zögerte. »Dein Mantel«, forderte er. Umständlich schälte sich der Bettler aus dem alten Fetzen und reichte ihn Kraeh.

      Sein Magen war flau, als er aus der Taverne trat. War er so tief gesunken, es nötig zu haben, greise Krüppel einzuschüchtern und auszurauben? Aber halt, dachte er, während er der kleinen Gasse vor sich nach links folgte, da müsste er sich ja beinahe dazurechnen und andererseits gefiel ihm auch die Vorstellung, wie Rotfar sich die nächste Zeit in die Hose machen würde aus Angst, die Kriegskrähe stünde irgendwann vor seiner Tür. Er schob diese Gedanken beiseite. Was er vor allem brauchte, war einen Ort, an dem er wirklich ausruhen und sich erholen konnte, doch er hatte kein Geld, um sich ein Gasthaus leisten zu können, und ohnehin wäre es wohl keine gute Idee gewesen, beim nächsten Verräterpack abzusteigen.

      Die Gasse war wie ausgestorben. Nur vereinzelt drangen Geräusche aus den wenigen erleuchteten Häusern an seine Ohren. Sein neuer Mantel stank nach Pisse und Schweiß, kurz wurde ihm wieder übel. Offensichtlich war mehr Zeit vergangen, als er gedacht hatte; Tagesschlaf hatte ihn schon immer verwirrt. Die Rinnen zu beiden Enden der Gasse, welche die Abwässer der Haushalte sammelten, ehe sie in den Rhein gespült wurden, dampften in der Kälte der Nacht und legten einen dunstigen Schimmer über die Pflastersteine, die beinahe völlig darunter verschwanden. Hatte er sich getäuscht oder war gerade tatsächlich der Ruf einer Krähe zu hören gewesen?

      Noch einmal. Jetzt war er sich sicher. Schon stießen die schwarzen Schwingen durch die Luft und das Tier landete nur einen Funkenflug vor ihm auf dem Boden. Der Dunst verschluckte den gefiederten Körper bis auf den Kopf. Der Schnabel öffnete und schloss sich, aber diesmal war nichts zu hören. Oder doch? Kraeh konzentrierte sich. Er hatte das übermächtige Gefühl, der Vogel wolle mit ihm in Kontakt treten, wollte ihm etwas sagen, ihn … warnen!

      Er reagierte instinktiv. Mit einem schnellen Satz verbarg er sich in einer ausgesparten Nische eines Mauerfundaments. Schon hallten Schritte durch die Gasse, Kettenringe rasselten. Es handelte sich um mindestens zehn Mann, schätze er. Als die Patrouille einbog, flog die Krähe auf. Auf sie aufmerksam geworden, hob der Mann, der die Truppe anführte, seine linke, zur Faust geballte Hand in die Höhe, woraufhin die Soldaten hinter ihm anhielten. Wortlos machte der Mann noch einige Schritte, den Blick auf den sich schnell entfernenden Vogel geheftet. Er stand nun direkt neben Kraeh, der den Atem anhielt, während seine Hand lautlos zu Lidunggrimm wanderte. Der Offizier hatte die Enden seines Schnurrbartes nach oben gezwirbelt. Voller Konzentration lauschte er in die Totenstille. Gleich würde er ihn entdecken, dessen war der alte Krieger sich sicher, immerhin war sein Versteck nicht gerade ausgefallen. Der Mann brauchte nur

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