Krähentanz. Philipp Schmidt
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»Erkentrud«, stieß Kraeh aus, als er unter dem einstmals gülden fallenden Haar, das nun zu einem verfilzten Etwas verkommen war, die markanten Züge der Drudenkönigin erkannte. Sie war noch immer schön, wie sie zu den Besuchern nach oben blickte, aber etwas an der Art, wie diese sie ansah, stimmte nicht. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. »Mein Krieger ist zu mir zurückgekommen«, sagte sie kehlig.
Kraeh wollte sich schon freuen, dass sie ihn hinter all der faltigen Haut ebenfalls erkannte, doch auf einmal kamen ihm Zweifel, ob sie wirklich wusste, wer da vor ihr stand.
»Wieso gibt es kein Salz mehr auf die Eier, Lischa?« Traurigkeit mischte sich in Erkentruds Stimme. »Zu lange ließest du mich warten.«
Kraeh war sprachlos. Nun erst begriff er, die einst so stolze Königin war dem Wahnsinn anheimgefallen. Eine Woge des Mitleids überkam ihn. Noch bedauernswerter war, dass sich zumindest ein Teil von ihr ihres Irrsinns bewusst zu sein schien, wie er von ihren gläsernen Augen abzulesen glaubte, welche zu viele Jahre im Fackelschein gewohnt hatten, um einen einzelnen Punkt zu fixieren. Abrupt sprang sie auf. Sie schwankte kurz und raufte sich die Haare. »Wir brechen auf!«, rief sie aus. »Lou, lass meinen Streitwagen anspannen und meine Kriegerinnen antreten!« Mit einem Mal war sie aus dem Becken geklettert und rauschte, Arduhl beiseitefegend, an den verdutzt Dreinblickenden vorbei in den Tunnel.
»Ihr müsste verstehen, sie schläft schon lange im Schoß der Göttin«, erklärte die Dienerin das sonderbare Gebaren ihrer Herrin. Kraeh und Arduhl, denen sie ebenso verschroben vorkam wie Erkentrud selbst, nickten bloß und folgten den sich schnell entfernenden Schritten der Königin.
»Wo sind all die anderen Druden hin?«, fragte Kraeh über die Schulter hinweg, während sie durch den schmalen Gang nach oben liefen.
»Als die Barrieren brüchig wurden, hat Erkentrud sie entlassen, um ein Blutvergießen zu verhindern«, raunte Lischa, als gebiete die Schwärze um sie herum den Flüsterton. »Sie befahl ihnen, sich den Firsen anzuschließen, die das Gesetz der Göttin kennen.«
»Einzig ich bin geblieben«, fügte sie kaum noch vernehmbar hinzu.
Am Ende des Ganges holten sie Erkentrud ein. Die Finger in Stein und Erde gekrallt stand sie und schmiegte sich ins letzte Schutz gewährende Dunkel. Ihre Augen starrten weit aufgerissen in das fahle Sonnenlicht, das draußen herrschte, die Pupillen derart geweitet, dass sie nur einen kaum wahrnehmbaren Streifen der blauen Iris übrig ließen. Die beiden anderen waren schon an ihr vorüber, als Kraeh ihr seine Hand anbot: »Komm, ich helfe dir.«
Sie kicherte. »Aber wir sind zu früh.«
»Zu früh für was?«
Ihr Kopf wackelte, anscheinend belustigt über sein Unverständnis.
»Für die Männer, die ich habe kommen sehen, natürlich«, sagte sie immer noch spöttelnd.
»Königin«, setzte Kraeh an, einerseits, um nicht selbst völlig den Respekt vor ihr zu verlieren, andererseits, um sie daran zu erinnern, wer sie war, und sie somit vielleicht zur Besinnung zu bringen.
»Königin der Druden«, wiederholte er, »niemand wird kommen. Wir sind mitten …«
Das war unmöglich! Sich rasch nähernde Schritte drangen an ihre Ohren. Kettenhemden rasselten durchs Unterholz.
Es war zu spät, um sich zu verstecken. Man hatte sie bereits entdeckt. Ein Dutzend waffenstarrender Orks trampelte aus dem Wald. Sie nahmen einen offenen Halbkreis als Kampfformation an, in dessen Mitte der hässlichste und stärkste, auf dessen grünem Gesicht Narben und Kriegsbemalung prangten, sich ihnen bedrohlich näherte. »Gebt uns die Frauen und alles, was ihr sonst noch habt, dann lassen wir euch vielleicht am Leben«, grunzte er übellaunig.
»Die meinte ich nicht«, flüsterte Erkentrud, ihr Kichern erstarb. Und in einer Gebärde, in welcher sich die Stärke der einstigen Herrscherin offenbarte, schlug sie ihr schmutztriefendes Kleid beiseite und zog Pian Anam. Lidunggrimm sprang beinahe von selbst aus seiner Scheide, ebenso verblüfft und entzückt über die Präsenz der Schwesternklinge wie ihr Träger. Lischa flüchtete in den Tunneleingang zurück und Arduhl machte katzenhaft einen Sprung rückwärts. Schulter an Schulter standen nun er, Kraeh und die einstige Königin, während sich der Halbkreis um sie zuzog.
Einer, der sich wohl Lorbeeren verdienen wollte, hatte sein Schwert vorwitzig an Arduhls still in der Luft stehenden krummen Klinge schleifen lassen; im letzten Moment versuchte er, in Richtung des Handgelenks zu stechen – was ihn den Arm kostete, als Arduhl blitzschnell reagierte. Es gab immer einen Dummen in Lagen wie diesen, dessen Blut vergossen werden musste, um die anderen mutig zu stimmen. Die Ruhe vor dem Sturm war gebrochen. Pian Anam vollzog einen Bogen und drängte dabei drei der Angreifer zurück. Kraehs Arme waren zu schwach für Rundschläge, deshalb setzte er Lidunggrimm wie einen Speer als Stoßwaffe ein, wurde aber von einer Axt so hart pariert, dass es ihm gerade noch gelang, nicht mitten unter die Feinde gerissen zu werden. Er versetzte dem Axtschwinger einen Tritt in die Lenden, der von seinem knielangen Kettenhemd abgepolstert wurde. Wie er in die streitlustigen Fratzen der drei Orks, die ihm am nächsten standen, blickte, überlegte er, wer von ihnen der schwächste Gegner sein würde. Es war immer gut, erst einmal die Zahl des Feinds zu mindern und sich am Ende mit den wirklich harten Brocken auseinanderzusetzen. Hätte Erkentrud nicht in diesem Augenblick einem auf sie Eindringenden den gesamten Torso von unten bis zum Hals aufgeschlitzt, hätte er auch in Erwägung gezogen, einen tollkühnen Ausfall zu vollführen, um den beiden anderen die Gelegenheit einiger tödlicher Streiche zu bieten. Seine Überlebenschancen in diesem Kampf, so wurde ihm bitter bewusst, gingen ohnehin gegen null. Den nächsten Schlag parierte er direkt vor seinem Gesicht. Nach dem heftigen Aufprall nahm er die Linke vom Griff Lidunggrimms. Für einen Wimpernschlag war er dem stinkenden Atem des Orks ausgesetzt, währenddessen grapschte er an den Gürtel des Gegners, fand einen Dolch, zog ihn und rammte ihn dem Ork in den ungeschützten Oberschenkel. Grunzend drückte der Verletzte in blinder Wut die beiden Klingen runter auf Kraehs Schulter, dem es gerade noch gelang, Lidunggrimm auf die Breitseite zu drehen. Dennoch reichte die Wucht aus, ihn einknicken zu lassen. Er fand keine Zeit, auf die Beine des nun außer sich Geratenen einzustechen. Den eigenen Dolch im Oberschenkel, drosch der Ork, Schaum vorm Mund, immer wieder von oben auf Kraeh ein. Lange würde er nicht mehr aushalten können, dachte er verzweifelt, da zuckte die Spitze von Arduhls Krummschwert in die Brust des Feindes. Der Ork blickte an sich hinab, besah ungläubig die offenen Ringe seines Kettenhemdes und den roten Fleck, der sich langsam ausbreitete. Dann brach er in sich zusammen. Schon hatten zwei neue seinen Platz eingenommen. Kraeh fehlte die Kraft, sich aufzurappeln. Es war vorbei. Doch was war das? Hörte er bereits in die nächste Welt hinein, waren es die Rösser Donars, die da gegen seine Schläfen pochten?
Ein Morgenstern ließ den Kopf jenes Orks platzen, von dem er erwartet hatte, dass dieser ihm im nächsten Moment den Todesstoß versetzen würde. Ein Wurfspeer ragte plötzlich aus der Brust des nächsten.
Als er es schließlich doch noch schaffte, seinen Körper aufzurichten, waren alle Orks niedergemacht oder lagen sich windend in ihrem eigenen Blut.
Die Reiter stiegen nicht ab. Sie thronten auf ihren Streitrössern und gewährten den Sterbenden vom Sattel aus den Gnadenstoß. Erkentrud und Arduhl schienen unverletzt. Arduhl wog kurz ab, senkte dann aber seine Waffe. Nicht weil er sicher gewesen wäre, von Freunden errettet worden zu sein, sondern wegen der schieren Aussichtslosigkeit auf Erfolg gegen gut dreißig Männer auf Pferden.
»Die habe ich gemeint«, sagte Erkentrud schwer