Krähentanz. Philipp Schmidt

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Krähentanz - Philipp Schmidt

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und Strenge ins Gesicht geschrieben stand, winkte sie weiter. Jetzt grinste Kraeh nicht mehr. Er wünschte den Weibern einen schönen Tag und verschwand im Gewimmel, das in den engen Gässchen hinter dem zweiten Verteidigungsring schon zu dieser frühen Morgenzeit herrschte.

      Kraeh war dergleichen Menschenmassen nicht mehr gewohnt. Ihm schwindelte. All diese Leute, dachte er, alle mit ihrer eigenen Geschichte, ihren eigenen Träumen, ihren eigenen Zielen und Beweggründen. Er blieb stehen, um sich zu sammeln.

      Ein breitschultriger Mann, der einen schweren Sack auf dem Rücken schleppte, rempelte Kraeh so heftig an, dass dieser beinahe das Gleichgewicht verlor. Ohne ein Wort der Entschuldigung stapfte der Mann weiter in das undurchschaubare Gewusel. Ein weiterer Ellbogen rammte Kraehs Rippen. Diesmal ging es so schnell, dass er nicht einmal die dazugehörige Person ausfindig machen konnte.

      Einfach stehen bleiben war keine gute Idee gewesen. Er setzte sich in Bewegung. In Ermangelung eines besseren Einfalls folgte er der sich kaum merklich nach oben windenden Hauptstraße, die ihn an ihrem Ende zu dem Palas im Zentrum der Stadt führen würde. Zu seiner Rechten erkannte er nach einiger Zeit eine Abkürzung: ein steiles Treppchen, an dessen einer Seite Schießscharten angebracht waren. Sie musste aus einer Ära stammen, da Brisak noch wesentlich kleiner gewesen und jene breite Mauer, an der er nun entlangging, die äußerste gewesen war. Doch auch hier war geschäftiges Treiben im Gange, allerdings waren es vornehmlich kleinere Soldatengruppen, die an ihm vorbei nach oben marschierten oder ihm leichtfüßig entgegenkamen, immer mindestens zwei Stufen auf einmal überspringend.

      »Ein Kupfer für einen alten Veteranen.«

      Irgendetwas an der versoffenen Stimme erregte Kraehs Aufmerksamkeit. Er sah sich um und entdeckte eine kümmerliche Gestalt, die am Rand des Gässchens auf einer Stufe saß. Der linke Ärmel ihrer schmutzigen Tunika hing schlapp herab. Das Gesicht des Einarmigen war von einer tiefen Narbe verunstaltet, die sich von der linken Stirnseite bis zur rechten Wange zog. Die Verletzung hatte den Mann auch noch ein Auge gekostet, dessen leere Höhle wund und entzündet zu den jungen Burschen, die an ihm vorbeihasteten, hochblickte. Kraeh blieb kurz vor dem Alten stehen.

      »Ein Kupfer«, bat der Bettler erneut.

      »Tut mir leid, ich habe selbst kein …«

      »Kraeh die Kriegskrähe!«, unterbrach ihn der am Boden Sitzende ungläubig.

      Erschrocken sah Kraeh sich um; niemand hatte den Bettler beachtet. Er kniete sich zu ihm nieder und legte einen Zeigefinger auf die Lippen.

      »Du bist es wirklich, nicht wahr?«, fragte die erbärmliche Person, diesmal leiser.

      »Aye«, gestand Kraeh.

      »Ich wusste es. Ich habe zwar nur noch ein Auge, aber das lässt sich nicht so leicht täuschen.«

      Er probierte sich an einem Lächeln, da seine Lippen allerdings außer Übung waren, glich das Ergebnis doch eher einer jener Fratzen, welche man zur Wintersonnwende als Masken zur Schau stellte, um böse Geister zu vertreiben oder einfach Kinder zu erschrecken.

      Er bekam ein wohlwollendes Nicken zur Bestätigung. »Fürwahr, ein gutes Auge ist dir geblieben.«

      »Du hingegen hast aber nicht die geringste Ahnung wer ich bin, hm?«

      »Um ehrlich zu sein, nein«, gab Kraeh zu.

      »Kann’s dir nicht übel nehmen«, meinte der Bettler, gab aber einen Laut von sich, der entfernt an ein Knurren erinnerte. »War damals dabei, als wir die Wutach gestürmt haben«, fuhr er fort. Die Vergegenwärtigung jener längst vergangenen Tage schien den Bettler seine Enttäuschung vergessen zu lassen. »Und auch in Triberkh, damals«, er gackerte, »auf der anderen Seite, versteht sich. Dort hab ich mir auch diese schönen Andenken geholt.« Er deutete auf seinen Armstumpf und das fehlende Auge.

      »Tja, wir haben euch seinerzeit ganz schön in den Arsch getreten«, konnte Kraeh sich nicht verkneifen zu antworten. Viele seiner Freunde waren an jenem Tage gefallen, als sie gegen Niedswar den Seher und dessen Horden in die Schlacht gezogen waren. Er musste sich ermahnen, die Tatsache im Gedächtnis zu behalten, nur einen einfachen Soldaten vor sich zu haben, der schlicht den Befehlen seiner Vorgesetzten gehorcht hatte und nichts von den größeren Zusammenhängen gewusst haben konnte. Auf die Gefahr hin, seinem Gegenüber das Einzige zu nehmen, was er noch hatte, fragte er: »Wollen wir die alten Zeiten nicht ruhen lassen und uns gemeinsam ein Ale genehmigen? Gibt’s das Goldene Horn noch?«

      »Schon, aber nicht für alte, arme Hasen wie uns«, erwiderte der Veteran bitter, fügte aber hinzu: »Mein Neffe hat nen Laden unten bei den Netzflickern, bei dem hab ich einen gut.«

      Kraeh nahm die Einladung gerne an, immerhin waren seine Taschen noch leerer als die des Mannes, dem er gerade auf die Beine half.

      »Mein Name ist übrigens Thorbilt«, grunzte dieser, als er endlich stand.

      »Sehr erfreut. Meinen kennst du ja.«

      Unwillkürlich rannte Thorbilt ein Schauer den Rücken hinab. Ja, den kannte er nur zu gut.

      * * *

      Als sie in der kleinen, schmuddeligen Schenke saßen, die zu dieser frühen Tageszeit bis auf Thorbilts Neffen leer war, spürte Kraeh die Müdigkeit wie einen Geröllhaufen über sich zusammenbrechen. Vor ihm stand ein Krug abgestandenen Ales. Rotfar, der Neffe, ein stattlicher, für die Umgebung auffällig gut gekleideter Mann mittleren Alters, hatte ihnen gegenüber Platz genommen. Ehrfürchtig hatte Thorbilt Kraeh vorgestellt, zu schnell und zu entschlossen, als dass Kraeh die Möglichkeit gehabt hätte, es zu verhindern. Während er an seinem schalen Ale nippte, bat er den Wirt, seine Anwesenheit in der Stadt möge unter ihnen dreien bleiben. Am liebsten hätte er sich sofort auf einer der beiden Eckbänke des Raums, der von den Nachbarhäusern verdunkelt wurde, ausgebreitet und geschlafen. Er wollte aber nicht unhöflich erscheinen, außerdem bot sich ihm endlich die Gelegenheit zu erfahren, was in seiner Abwesenheit alles vorgefallen war. Bisher war er überaus vorsichtig gewesen, nicht einer falschen Person eine unbedachte Frage zu stellen, doch die beiden wussten ja ohnehin schon, wer er war.

      Die Offensive der Sihhilas im Osten, erfuhr er, habe nach der Verwüstung einiger Grenzstädte geendet. Verhandlungen zwischen den beiden Großreichen seien wohl wieder aufgenommen, die größeren Städte dennoch in Alarmbereitschaft versetzt worden.

      Auf seine Frage, ob er Königin Heikhe im Palas antreffen könnte, tauschten die beiden Verwandten einen sorgenvollen Blick.

      Rotfar musterte Kraeh eine Weile, bevor er kopfschüttelnd verneinte. »Wo hast du denn gesteckt all die Jahre?« Der Ausdruck seines Gesichts hellte sich kurz auf. »Ist es so, wie die Legenden sagen; bist du aus dem Jenseits zurückgekehrt, um das Land von seinem Joch zu befreien?« Ein Zwinkern seines linken Auges machte deutlich, wie wenig er von dem Gerede der Leute hielt. Als Kraeh nichts sagte, verdunkelten sich seine Züge wieder.

      »Heikhe wurde Verrat vorgeworfen, ebenso wie Erkentrud, deren Feste geschliffen wurde, ehe der Wiederaufbau abgeschlossen war. Das alles geschah vor mehr als drei Jahrzehnten. Der Kaiser begnadigte seine Schwester. Man sagt, seitdem sei sie seine Gefangene am Hofe in Dundulch, der Hauptstadt des Reiches, von dem wir mittlerweile Provinz sind.«

      Es war also wahr! Kraeh kämpfte gegen seine Müdigkeit. Kaiser Gunther war der kleine Junge, den er einst am jenseitigen Ufer des Rheins an den Feind verloren hatte. Er, Rhoderik, Sedain, Heikhe und die schöne Lou hatten ihn für tot gehalten. Der Seher musste ihn fernab aufwachsen haben lassen, wobei er es irgendwie über seinen eigenen Tod hinaus geschafft hatte, Gunther seinen

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