Krähentanz. Philipp Schmidt

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Krähentanz - Philipp Schmidt

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Kraeh Gottes Segen, ehe sie die Wendeltreppe betrat, die hoch zu den Schlafräumen führte. Die Übrigen folgten ihr. Als Letzter kam Lubbo. Auch er wünschte dem Alten alles Gute und meinte, vielleicht sehe man sich ja irgendwann wieder. Kraeh bedankte sich bei ihm und blieb schließlich allein zurück. Er war zwar erschöpft, wollte aber nicht gleich zu Bett gehen. Lieber hätte er sich an einen der freien Tische gesetzt und etwas getrunken. Wie aber sollte er das anstellen? Isabel hatte zwar, großzügig, wie sie war, seine Unterkunft bezahlt, offensichtlich aber nicht die Möglichkeit erwogen, dass einer ohne ein einziges Kupfer in der Tasche unterwegs sein könne. Na ja, dachte er und verkniff sich ein Grinsen, sie war nicht seine Mutter und hatte bereits mehr für ihn getan, als irgendjemand hätte erhoffen können. Er schalt sich einen närrischen, alten Tor, dass er versäumt hatte, die Leichen der Grabschänder zu plündern. Es war ihm in Anbetracht der Umstände schlicht nicht in den Sinn gekommen.

      Letztlich beschloss er leichthin, seinen leeren, genau genommen nicht einmal vorhandenen Geldsack zu ignorieren, setzte sich an einen verwaisten Tisch und bestellte, als der Wirt nach geraumer Zeit zu ihm kam, einen Krug Ale. Der schlaksige Mann mit dem kurzen Haarschnitt war anscheinend daran gewöhnt, dass seine Gäste anschreiben ließen. »Trink, iss und fühl dich wohl«, sagte er gutmütig. Kraeh vermutete den Grund seiner Großzügigkeit in dem üppigen Trinkgeld, das er sicherlich von Isabel erhalten hatte, und wahrscheinlich würde dieselbe enden, sobald sie abgereist war. Dennoch folgte er der Einladung. Nach dem Ale bestellte er einen weiteren Krug und eine Schale Eintopf, dessen aufgebrühter Geruch bald den Schankraum erfüllte.

      Er schob sich gerade den zweiten Löffel in den Mund, als Arduhl sich ihm gegenüber am Tisch niederließ. Kraeh hatte ihn nicht die Treppe herunterkommen sehen, schob diese Tatsache allerdings auf die Trübheit seiner alten Augen. Wortlos lenkte Arduhl die Aufmerksamkeit des Wirtes auf sich, zeigte auf den Eintopf und hatte wenig später auch eine Schale vor sich stehen.

      Schweigend schaufelten sie das mittelmäßige Sammelsurium an Kalbsfleisch, verkochtem Kohl, zerstoßenen Kartoffeln und allerlei anderen Zutaten, die in dem bräunlichen Durcheinander untergingen, in sich hinein.

      Sie hatten gerade zu Ende gegessen, da schwang heftig die Eingangstür auf. Ein junger Mann, nicht älter als siebzehn Sommer, in der ärmlichen Kleidung eines Stallburschen, stand auf der Schwelle. Sein Gesicht zeigte einen entsetzten Ausdruck, einen Schrecken, den er gleich in Worte fassen sollte.

      »Es herrscht Krieg!«

      Alle Gespräche verstummten.

      »Was sagst du da, Junge?«, fand der Wirt als Erster die Fassung wieder, während er auf ihn zuging und ihn unruhig dazu bewegte, sich erst einmal zu setzen und alles in Ruhe zu berichten.

      Das Dutzend verstreuter Gäste, das nicht am Haupttisch saß, rückte näher. Einige trugen ihren Stuhl heran, andere waren aufgesprungen und bildeten nun eine Traube um den Überbringer jener unfassbaren Nachricht. Nur Kraeh und Arduhl blieben sitzen. Die Aufregung ließ alle so laut sprechen, dass sie auch so das meiste mitbekamen. Von den stürmischen Stimmen setzte die vernünftigste – die eines, seiner Kleidung nach zu urteilen, in die Jahre gekommenen Kaufmannes – sich durch, die bat, der Bursche möge von Anfang an erzählen.

      Er sei gerade beim Brunnen gewesen, Wasser für seine kranke Schwester zu holen, als ein Bote zu den Wachen gerannt kam, die dort immer stehen. Der Bote habe geflüstert, damit niemand mitbekomme, was er zu sagen habe, doch in der Aufregung haben sie ihn schlicht übersehen. »Die Sihhila sind in die Mittelreiche eingefallen!«, rief der Stallbursche aus. »Rösser, Kriegswagen, tausende von Soldaten, eine riesige Armee zieht eine Spur der Verwüstung hinter sich her! Jede Stadt, die sich nicht beugt, wird dem Erdboden gleichgemacht!«

      »Beruhige dich«, meinte der Wirt. »Das alles ist etliche Tagesreisen entfernt. Wahrscheinlich hat der Kaiser den Vormarsch bereits aufgehalten …«

      »Der Bote sagte noch etwas anderes«, fiel ihm der Junge ins Wort. »Die Zwillinge sind hierher unterwegs. Der Kaiser befürchtet, die bisher friedlichen Sihhila im Westen könnten sich dem Angriff anschließen. Und auch die Firsenstämme könnten sich unsere Schwäche zunutze machen.«

      Wieder bemühte sich der Wirt, die Stimmung abzukühlen, doch er klang weniger zuversichtlich als zuvor. »Die Zwillinge sind schon lange in der Gegend. Soweit ich weiß, suchen sie nach einer bestimmten Person. Das hat nichts mit den anderen Ereignissen zu tun.« Sein Ton wurde brüchig: »Aber sag, kommen sie wirklich hierher? In unsere Stadt?«

      Der Junge bejahte, so habe er den Boten verstanden.

      Wilde Spekulationen folgten. Einige erhoben sich eilends, um das Gehörte ihren Freunden und Bekannten mitzuteilen. Die Neuigkeiten würden sich wie ein Lauffeuer ausbreiten und, sofern der Krieg selbst es nicht tat, Panik und Entsetzen in die Herzen der Menschen pflanzen. Chaos und Anarchie würden ihre dunkle Saat aufgehen lassen, ehe es die Schwerter taten.

      Kraeh, der mit einem spitzen Knochenstück, das er in dem Eintopf gefunden hatte, Fleischreste aus seinen klaffenden Zahnzwischenräumen pulte, fragte sein Gegenüber, was es mit jenen Zwillingen, vor denen sich alle so fürchteten, auf sich habe.

      Als Arduhl antwortete, hatte Kraeh einmal mehr das Gefühl, etwas verbinde sie, vielleicht einfach nur die Außenseiterrolle, die sie beide einnahmen. Zwar gab es noch andere Männer im Schankraum, deren Haut dunkel war, aber keiner wirkte dazu noch so edel und stolz wie er.

      »Sie sind der rechte Arm des Kaisers, bekannt für ihren bedingungslosen Fanatismus und die damit einhergehende Grausamkeit. Der Wirt hat recht. Sie treiben sich schon seit einiger Zeit in der Gegend herum. Hast du von der Kriegskrähe gehört?«

      »Nein«, sagte Kraeh, womöglich etwas zu voreilig, da sein Gegenüber ihn daraufhin mit einem stechenden Blick beäugte, ehe er fortfuhr.

      »Sie ist eine Legende, ein Krieger aus der alten Zeit. Weil er gottlos war, bemühte sich die Kirche, ihn vergessen zu machen. Sie war einigermaßen erfolgreich damit. Niemand nennt mehr offen diesen Namen. Jene aber, welche die Gräuel der Kreuzler kennenlernten, tuscheln abends an den Feuern. Man sagt die Krähe werde zurückkommen und das Land vom Joch der Kruki befreien.«

      »Kruki?«, hakte Kraeh nach.

      »So nennen sich die Anhänger des Kreuzes selbst, in Abgrenzung zu den Sihhila, die den wahren Gott verehren.« Seine Worte waren bei dieser offenkundigen Lästerung so leise geworden, dass Kraeh sich vorbeugen musste, um sie zu verstehen.

      »Ich weiß nicht, wer du bist«, meinte Arduhl dann ein klein wenig lauter, »aber du bist nicht der, für den du dich ausgibst.«

      »Du scheinst mir aber auch nicht gerade überrascht über den Ausbruch des Krieges«, konterte Kraeh.

      Arduhls Lippen verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln. »Wohl besser, wir gehen jetzt schlafen«, bedeutete er und wischte mit einer beiläufigen Handbewegung die letzten Sätze weg. »Mein Gefühl sagt mir, dass wir schon bald all unsere Kräfte brauchen werden.«

      Das taten sie dann auch. Aber es sollte keine lange Nacht mehr werden.

      * * *

      Ein Geräusch hatte Kraeh geweckt. Er setzte sich im Bett seines beengten Zimmers auf. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, nur fahles Dämmerlicht fiel durch das kleine Fenster über dem Kopfende des Bettes. Da war es wieder: ein Poltern, gefolgt von lauten Schritten, wie sie typisch für eisenverstärkte Stiefel sind. Eine Frauenstimme ertönte. »Ihr da, macht das ihr fortkommt!« Kraeh wunderte sich über die Deutlichkeit, mit der er die Stimme wahrnahm.

      Er streifte das Laken ab und stieg

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