Krähentanz. Philipp Schmidt
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»Feuer! Feuer!«, platzte Kraeh einige Schritte vor ihnen aus dem Gasthaus. Er war verwundert, wie schnell die Menschen aus den umliegenden Häusern herbeikamen, um dem Spektakel beizuwohnen. Einige liefen mit schwappenden Eimern heran. Tatsächlich waren die Zwillinge nicht zu sehen. Die drei Soldaten, die den Eingang bewachen sollten, wurden der Lage um sie herum kaum Herr. Abgelenkt von dem Anblick ihrer Gefährten hinter Kraeh, erkannten sie in dem Alten, der einen panischen Ausdruck zur Schau stellte, offenbar keine Gefahrenquelle. Ehe er es wirklich begriff, fand Kraeh sich in einer Seitengasse wieder.
Nur noch ein Flackern am dunstigen Himmel wies auf die Feuersbrunst hin. Er war in Sicherheit.
* * *
Drei Tage später folgte Kraeh einer befestigten Straße, die nach Brisak führen würde; zumindest hatte dies der freundliche Schäfer behauptet, der seinen Weg gekreuzt hatte. Natürlich hätte er nach seinem überstürzten Verlassen der Stadt, in der er das Wirtshaus in Brand gesteckt hatte, auch einen weniger auffälligen Pfad durch die Wälder einschlagen können, doch schien es ihm sinnvoller, der einmal geglückten Strategie treu zu bleiben. Wer würde einen Flüchtling schon auf dieser Straße erwarten, wo dermaßen viel Betrieb herrschte? Unentwegt überholten ihn Abenteurer, Soldatentrupps, meist jedoch Bauern und Holzfäller, die Wagen angefüllt mit ihren Waren, die sie in Brisak gegen einen guten Preis zu verkaufen trachteten. Niemand schenkte dem alten Bettler, für den man ihn zweifelsohne hielt, besondere Aufmerksamkeit. Anfangs war er noch nervös geworden, wenn sich Hufgetrappel genähert hatte, nun grüßte er die Soldaten in ihren hell wattierten Wappenröcken gelegentlich sogar. Für gewöhnlich fing er sich daraufhin ein »Aus dem Weg da!« ein, zuweilen aber auch einen mitleidigen Blick, gefolgt vom Klimpern einiger Kupferstücke, welche über den Pflasterstein rollten, ehe er sie einsammelte.
Die Sonne stand im Zenit, ein flüsternder Wind ging durch seinen Bart, während er in einen wurmdurchlöcherten Apfel biss, der von der Ladefläche eines vorbeiholpernden Karrens gehüpft war. In der Tat war er zu einem Bettler und obendrein zu einem Dieb geworden, denn manchmal musste er dem Hüpfen von Äpfeln, Birnen und Nüssen ein wenig nachhelfen. Doch fühlte er sich deshalb nicht elend. Er hatte alles, was ein Mann brauchte: ein Ziel und ein Feindbild. Diese verdammten Zwillinge hatten seiner Retterin und Gönnerin das Leben genommen, dafür würden sie bezahlen.
Hauptsächlich von diesem Gedanken angetrieben, schlug er sich mehr schlecht als recht durch, bis er schließlich in der Ferne die zackigen Mauern Brisaks ausmachte. Mehr als einmal hatte er in letzter Zeit von der Gastfreundschaft jener Menschen profitiert, deren Gehöfte in der Nähe der Straße lagen. Teilweise gegen das wenige Geld, welches man ihm zugeworfen hatte, öfter allerdings umsonst, war ihm ein spärliches Mahl und ein Platz in den Ställen zugestanden worden. Früher, erinnerte er sich, hatte er die Nächte unter freiem Himmel geliebt. Heute war ihm das einsame Bibbern zusammengekauert unter Felsvorsprüngen, Hecken und kahlen Baumkronen zuwider. Immer wenn er sich dazu genötigt sah, fühlte er sich am nächsten Morgen wie gerädert. Schmerzende Knochen, steife Glieder – nein, das Übernachten im Freien war etwas für junge Leute. So dachte er, während die Abendsonne ihr friedliches, goldrotes Licht über die weiten Felder und Baumgruppen ergoss, die sich vor ihm auftaten. Die Szenerie war vertraut, auch wenn das Umland der Festung sich enorm erweitert hatte. Obwohl es ihn noch einen halben Tagesmarsch kosten würde, eines der mächtigen Tore zu erreichen, fühlte er sich schon beinahe Zuhause. Das Krähen eines Hahns von einem Misthaufen lenkte sein Augenmerk auf ein Hofgut. Vom steinernen Schornstein, der wie ein erhobener Zeigefinger aus dem Dach ragte, zogen Rauchschwaden gen Himmel. Hier würde er, hoffentlich zum letzten Mal, um Unterschlupf bitten.
Gegen die Vernunft hoffte er, Heikhe in Brisak anzutreffen. Wer weiß, überlegte er, als seine auseinanderfallenden Stiefel durch den Matsch des Zugangs zum Hof schmatzten, vielleicht richtet sie ein Fest anlässlich meiner Rückkehr aus und stellt mir eine Leibgarde zur Seite, die mich sicher nach Erkenheim geleitet.
Der verwitterte Sandstein, aus dem die Wände des Haupthauses des Gehöfts bestanden, war von Wind und Regen abgeschliffen. Eine gestutzte Ulme lehnte sich an das Gemäuer und diente als zusätzlicher Tragebalken für das löchrige Ziegelsteindach. Wo Sturm und Hagel die Ziegel gebrochen hatten, war Moos und Stroh in die Löcher gestopft worden. Ein schäbiger Anblick.
Ehe Kraeh an die knauflose Tür klopfen konnte, öffnete sie sich. Ein von roten Adern durchzogenes Augenpaar glotzte ihn unter einer wettergegerbten Stirn hervor unschlüssig an. Der Mann war ärmlich gekleidet und stank nach Schweiß. Seine breiten, nackten und behaarten Unterarme hielten eine schartige Axt.
»Wat dich brucht an min Hof?«, fragte der Bauer säuerlich. Seine Wurstfinger umklammerten den Schaft der Axt, dass die hornhäutigen Knöchel bleich hervortraten.
Kraeh machte einen Schritt zurück und hob die Hände, um zu signalisieren, nicht auf Streit aus zu sein.
»Mein Name ist Henfir«, sagte Kraeh in ruhigem Tonfall. »Ich wollte lediglich um eine Schlafgelegenheit bitten.«
Die Knöchel des Bauern nahmen nun die rot gebräunte Farbe der übrigen Haut an, da sich sein Griff um die Axt entspannte. Der Bauer machte jedoch keinerlei Anstalten, ihn hereinzubitten, darum fügte Kraeh hinzu: »Es soll euer Schaden nicht sein. Ich kann bezahlen.« Er senkte seine Hände und beförderte zwei Kupferstücke ins Flackerlicht, das aus dem Inneren des Hauses drang.
»Brunai«, stellte sich der Mann knapp vor und versetzte dem Jungen, der nun neugierig hinter ihm hervorlugte, einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Kumm rin«, zeigte Brunai sich nun freundlicher, »min Fruwe het die Nachtemahl beriet.«
Den Weg gab er allerdings erst frei, nachdem Kraeh ihm seine restlichen Geldstücke überreicht hatte. In der Stube saß bereits die ganze Familie zu Tisch, bis auf Brunais Frau, die zu den Tonschalen, welche schon dastanden, eine weitere füllte. Kraeh dankte und fragte sich, auf was die drei Mädchen, die vier Jungs und der Hausherr warteten. Merkwürdigerweise gesellte sich die Frau, der die Schmerzen der Geburten ins abgeschlaffte Gesicht geschrieben standen, nicht zu ihnen. Mit einem sorgenvollen Blick zog sie sich mit ihrem Essensanteil, der wegen des nicht eingeplanten Gastes spärlich ausfiel, in einen Nebenraum zurück.
Brunai erhob sich und faltete die Hände. »Wir lobben dir Gott, der du libbest dein guote Knächte.«
Da er wieder Platz nahm, machte sich die Familie über das Essen her; eine klebrige Pampe aus Milch und aufgelösten Haferflocken, die im Mund knirschte, wegen des mit Erde ausgewaschenen Topfes, wie Kraeh vermutete. Niemand sprach ein Wort. Die jüngste Tochter vergaß über das Bestaunen des Fremden das Essen, was ihr nach einiger Zeit den drohenden Blick ihres Vaters eintrug. Wären nicht zwei der Söhne im Wege gewesen, hätte der Hausherr seine Missbilligung bestimmt mit einem Schlag unterstrichen, die stumme Drohgebärde reichte jedoch aus. Das Mädchen schlang den Brei in sich hinein, ohne sich ein weiteres Mal zu trauen, auch nur den Kopf zu heben.
Das Mahl war rasch zu Ende. Brunais Frau räumte mithilfe der ältesten Tochter – einem hübschen Ding, bald im heiratsfähigen Alter – den Tisch ab, stellte ihrem Mann eine tönerne Flasche sowie zwei Becher hin und verließ gemeinsam mit den Kindern die Stube.
Der Bauer schenkte erst sich, dann Kraeh ein, leerte seinen Becher in einem Zug, schenkte sich nach und schob dem Fremden dann den zweiten Becher hin. In seiner befremdlichen Sprache hob er an, sein Leid zu klagen. Wie viele sei er den Versprechungen des Kaisers auf gutes Land und niedrige Steuern folgend aus dem fernen Süden hierher übergesiedelt. Zwei Söhne habe ihn allein die Reise gekostet. Nach zwei Sommern habe ein Pilz beinahe die gesamte Ernte vernichtet und er sei gezwungen gewesen, den Großteil der gepachteten Äcker brachliegen zu lassen, weil