Krähentanz. Philipp Schmidt
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»Ich danke dir«, sagte Kraeh und meinte es ehrlich.
Sie schwieg.
Weiter unten im Tal wurden winzige Lichter entzündet. Ein helleres Glimmen, meinte der ehemalige Krieger, könnte Brisak sein, obwohl es durch den Dunst, der die Abenddämmerung um den Rhein so oft begleitete, verwischt wurde.
Kurz überlegte er, die hässliche Frau vor ihrem vermeintlichen Liebhaber zu warnen, entschied sich aber kurzerhand dagegen. Es war nicht seine Angelegenheit. Was wusste er schon von diesem Arduhl? Wollte er selbst überhaupt wieder am Leben teilnehmen? Zu welchem Zweck denn? Irgendwie schien es, als würde ihm schon wieder ein Weg aufgenötigt werden. Eine Stimme tief in seinem Inneren sagte ihm, dass er gebraucht werde. Der Ruf einer Eule weckte alte Erinnerungen. Lousana, die starke Kriegerin mit den fremdländischen Zügen, die seine Freundin gewesen war, kam ihm in den Sinn. Von ihrem Abbild in seinem Kopf war es nur noch ein kleiner Sprung zu jener Frau, der vor so langer Zeit die ganze Glut seines Herzens gehört hatte: Erkentrud. Weshalb um alles in der Welt war er damals von ihrer Seite gewichen? Sie war schön, hart und mächtig gewesen, alles, was ein junger Krieger sich nur wünschen konnte. Aber halt! Im Nachhinein verzerrte man die Dinge leicht zu Idealen, die so niemals der Wirklichkeit entsprochen haben. Die Königin der Druden wollte ihn mit Heikhe, seinem Mündel, verheiraten. Ihrer beider Leidenschaft füreinander war nach dem Krieg ebenso schnell erloschen, wie der Stein, den er gerade über die Klippe warf, in das Tal raste. Aber plötzlich wusste er, was zu tun war. Weshalb hatte er nicht schon früher daran gedacht? Das Becken tief unter Erkenheim! Es hatte ihn schon einmal aus dem Reich der Toten zurückgeholt. Sicher würde es ihm auch jetzt wieder helfen. Das war es! Sein Weg würde ihn nach Erkenheim führen.
* * *
Den nächsten Tag begannen sie mit dem Abstieg. Er erwies sich zum Glück als leichter, als Kraeh es am vorigen Abend befürchtet hatte. Teilweise standen die alten Stützstreben noch. Wo es ging, balancierten sie vorsichtig über morsche Balken, die beunruhigende Geräusche von sich gaben, ihr Gewicht aber trugen. An den Stellen, die von Steinlawinen überschüttet worden waren und meist Stege und Geländer mit sich in die Tiefe gerissen hatten, ging Arduhl voran, prüfte die möglichen Gefahren und gab dann den anderen den Weg frei. Isabel ließ sich ebenso wie Kraeh auf besonders tückischem Untergrund von Lubbo helfen. Wenn er gerade mal nicht auf seine Schritte achten musste, fragte Kraeh sich, wie die Tannen, die vereinzelt aus dem Hang wuchsen, es schafften, hier zu überleben. Zwischen all dem Granit machte es den Anschein, als hätten sie sich gerade so viel Erde an einem kleinen Vorsprung oder einer Felsenmulde mitgenommen, dass ihre Wurzeln Halt fanden.
Ein scharfer Wind blies ihnen in den Rücken und machte ihnen zusätzlich zu schaffen, schließlich jedoch erreichten sie zwar ausgelaugt, aber unversehrt eine schmale Holzbrücke am Fuß des Hanges, das letzte unversehrte Überbleibsel des alten Pfades. Allesamt atmeten sie auf, als sie hinter der Brücke anhielten und zurücksahen auf das, was sie geschafft hatten. Isabel sandte ein Dankesgebet gen Himmel.
»Es gibt noch eine andre Route«, fiel Kraeh ein, dem die ängstlichen Blicke Lubbos unangenehm waren. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass am Ende noch jemand abstürzte, wenn die Reisegesellschaft denselben Weg zurücknehmen sollte, nachdem sie ihn abgeliefert hatten. Dieser Weg barg ein zu großes Wagnis, viel zu groß, bloß um seine alte, stinkende Haut aus dem Wald zu schaffen.
Isabel wandte sich ihm zu.
»Es ist wahr. Sie führt dort«, er zeigte die Richtung mit dem Finger an, »an der Steilwand entlang. Wenn ihr dem Gebirgsverlauf drei Tage westlich folgt, gelangt ihr an einen Pass der wesentlich leichter zu besteigen ist.«
Arduhls Augen verengten sich. »Drei Tage? Und wenn wir dort ankommen, kannst du beschwören, dass weder Firsen noch Räuber auf uns warten und Wegzoll verlangen?«
Kraeh sagte nichts. Was hätte er auch dagegen halten sollen? Natürlich konnte er nichts dergleichen versprechen. Außerdem, war Arduhl nicht selbst ein Wilder? Aber das bedeutete natürlich nichts. Die Firsen waren untereinander zerstritten und kein Stamm erkannte die Grenzen des anderen an.
»Noch mehr kluge Einfälle, alter Mann? Oder können wir weitergehen?«, fragte Arduhl wütend.
»Er hat es nur gut gemeint«, wies Isabel ihn zurecht und sagte dann beschwichtigend zu Kraeh: »Wir werden über deinen Rat nachdenken, Henfir.«
Der dunkelhäutige Krieger schüttelte den Kopf und ging eilig voran. Kraeh trat an seine Seite, bemüht, mit ihm Schritt zu halten. »Sie ist zu leichtgläubig«, zischte Arduhl. Er erlaubte sich nur deshalb, seiner Respektlosigkeit Luft zu machen, da er wohl davon ausging, den greisen Unruhestifter bald für immer los zu sein.
»Du musst es ja wissen«, raunzte Kraeh zurück und verlangsamte seine Gangart, bis er wieder bei den anderen war.
So gingen sie den ganzen restlichen Tag das überwucherte Tal hinab. Arduhl lief als Späher voraus und ließ die übrigen fünf an Weggabelungen zu sich aufschließen, wenn er sicher war, dass keine Gefahr drohte. Die beiden anderen Männer, der eine hochgewachsen und schlaksig, der andere feist und untersetzt, waren ebenso gottesfürchtig wie langweilig. Lieber noch unterhielt Kraeh sich mit dem einfältigen Lubbo als mit diesen demütigen, stets an den Lippen Isabels hängenden Windbeuteln. Die Heilige selbst war schweigsam und stellte zumeist ein entrücktes Grinsen zur Schau, das in einem fort zu sagen schien: ›Seht, wie wunderbar die gesamte Schöpfung doch ist!‹ Der alte Krieger wusste damit nichts anzufangen und so tauschte er Belanglosigkeiten mit Lubbo aus oder sann im Stillen.
Die Nacht war bereits angebrochen, als sie brachliegende Äcker und kurz darauf die ersten Häuser erblickten.
* * *
Isabel hatte wieder die Führung übernommen. Vor ihnen lag eine größere Siedlung, die Kraeh nicht kannte. Zielbewusst steuerte die füllige Frau auf eine Aussparung in der mannshohen Palisade zu. Sie grüßte die beiden wachhabenden Soldaten, die aufgrund ihres gelben Wappenrocks über dem Brustpanzer auch bei der herrschenden Dunkelheit ins Auge stachen. Sie kannten die Heilige und ihre Gefährten, und nachdem sie den als Henfir vorgestellten Alten mit dem langen weißen Bart kurz gemustert und ihn offensichtlich als ungefährlich eingestuft hatten, gaben sie den Weg frei. Einen Steinwurf weiter, noch außerhalb des Stadtkerns, stand ein mehrstöckiges Gasthaus. Sie betraten es und fanden sich in einem bürgerlichen Schankraum wieder. Auch hier waren Isabel und die Ihren schon eingekehrt. Der Wirt löste sich von dem größten der runden Tische im Raum, an dem er mit seinen Gästen getrunken hatte, kam auf sie zu und bot ihnen Zimmer für die Nacht an. Er wirkte leicht enttäuscht, da Arduhl darauf bestand, sofort zu bezahlen.
»Im Morgengrauen werden wir aufbrechen«, meinte Arduhl zerknirscht und leiser an Isabel gewandt: »Wir füllen unsere Vorräte auf und machen uns dann so schnell wie möglich auf den Weg.«
Sie nickte, fischte die berechneten Silber- und Kupferstücke aus einem Beutel, den sie unter ihrem abgetragenen Gewand hervorgeholt hatte, und drückte sie dem schlaksigen Wirt in die offene