Handbuch Betreuungsrecht. Sybille M. Meier
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2. Voraussetzungen für die Bestellung eines Verfahrenspflegers
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Zu Gunsten des Betroffenen ist ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn von einer persönlichen Anhörung abgesehen werden soll, weil ansonsten gesundheitliche Nachteile zu befürchten sind bzw. der Betroffene außer Stande ist, seinen Willen kundzutun;[1] Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers für alle Angelegenheiten ist oder eine diesbezügliche Erweiterung der Aufgabenkreise ansteht.[2] Ausnahmsweise kann bei der Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten bzw. Erweiterung hierauf von einer Verfahrenspflegerbestellung abgesehen werden, wenn aufgrund eines möglichen Fehlverhaltens des Betreuers im Aufgabenkreis der Vermögenssorge dessen Entlassung notwendig ist.[3]
– | Anordnung des Aufgabenkreises der Post- und Fernmeldekontrolle;[4] |
– | vorläufige Betreuerbestellung, §§ 300 ff. FamFG;[5] |
– | Verfahren über die Genehmigung in eine Einwilligung des Betreuers in die Sterilisation des Betroffenen, § 1905 BGB, § 297 FamFG; |
– | Entscheidungen nach § 1904 Abs. 1 und 2 BGB (§ 298 Abs. 3 FamFG); |
– | Absehen von der Bekanntgabe der Entscheidungsgründe, § 288 Abs. 1 FamFG; |
– | Nichtübersendung des im Verfahren auf Betreuerbestellung eingeholten Sachverständigengutachtens;[6] |
– | in Unterbringungssachen einschl. ärztlicher Zwangsmaßnahmen, §§ 312 S. 3, 318 FamFG. |
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Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist im Verfahren auf Aufhebung der Betreuung grundsätzlich nur geboten, wenn tatsächliche Ermittlungen anzustellen sind. Das setzt wiederum greifbare Anhaltspunkte für eine Veränderung der tatsächlichen Umstände voraus, die der Betreuerbestellung zugrunde lagen. Bei unveränderter Sachlage hätte die Bestellung eines Verfahrenspflegers lediglich einen rein formalen Charakter[7] Ohnehin ist dem Betroffenen bei allen für ihn „wichtigen“ Entscheidungen ein Verfahrenspfleger durch das Gericht zur Seite zu stellen.[8]
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Der Grundsatz eines fairen Verfahrens gebietet es, dem Betroffenen bei einer Anordnung der Aufgabenkreise Heilbehandlung, Aufenthaltsbestimmung (zum Zwecke der Heimverschaffung), Wohnungsangelegenheiten (Wohnungsaufgabe und Haushaltsauflösung) und einem Einwilligungsvorbehalt einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Insbesondere bei Genehmigungsverfahren zur Wohnraumkündigung nach § 1907 BGB ist regelmäßig ein Verfahrenspfleger zu bestellen und ein Sachverständigengutachten einzuholen zu den Auswirkungen des Wohnungsverlustes für den Betroffenen, zum Krankheitsverlauf und den verbliebenen Möglichkeiten selbstständiger Lebensführung.[9] Die vorstehend skizzierten Betreuungsmaßnahmen greifen in gravierender Weise in die Freiheitsrechte des Betroffenen ein und weisen ihm – wie beispielsweise im Falle des Einwilligungsvorbehalts – die Rechtsstellung eines minderjährigen Kindes zu.[10]
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Das Betreuungsverfahren hat alle Angelegenheiten zum Gegenstand, sobald das Verfahren darauf gerichtet ist, sämtliche Aufgabenkreise anzuordnen, respektive hierauf zu erweitern bis auf diejenigen der Post- und Fernmeldekontrolle sowie der Sterilisation oder Sterbehilfe. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt.[11] Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die beabsichtigte Entscheidung dem natürlichen Willen des Betroffenen entspricht.[12]
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Ob es auch dann, wenn keiner der in § 276 Abs. 1 S. 2 FamFG genannten Regelfälle vorliegt, eines Verfahrenspflegers bedarf, hängt vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstands ab.[13] Das Gericht hat hierzu eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, ohne dass ihm insoweit ein Ermessen eröffnet ist. Je weniger der Betroffene in der Lage ist, seine Interessen selbst wahrzunehmen, je eindeutiger erkennbar ist, dass die geplanten Betreuungsmaßnahmen gegen seinen natürlichen Willen erfolgen und je schwerer und nachhaltiger der beabsichtigte Eingriff in die Rechte des Betroffenen ist, umso dringender erforderlich ist die Bestellung des Verfahrenspflegers.[14]
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In anderen Betreuungssachen (§ 271 Nr. 3 FamFG) sollte eine Verfahrenspflegerbestellung erfolgen, wenn hier eine Anhörung aus den vorgenannten Gründen nicht erfolgen soll (z.B. sonstige betreuungsgerichtliche Genehmigungen, § 299 FamFG oder Verfahren zur Festsetzung einer Betreuervergütung (§§ 168, 292 FamFG) aus dem Vermögen des Betroffenen.
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Von der vorbezeichneten Regel formuliert § 276 Abs. 2 FamFG die Ausnahme, dass nämlich eine Verfahrenspflegerbestellung unterbleiben könne, wenn, so wortwörtlich, „ein Interesse des Betroffenen (. . .) offensichtlich nicht besteht.“ Diese Ausnahmeregelung ist verfassungsrechtlich mit Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG, dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, außerordentlich bedenklich. Schlimmstenfalls eröffnet diese Vorschrift dem Betreuungsgericht die Möglichkeit, ein Betreuungsverfahren ohne jegliche Kontrolle von außen durchzuführen und damit den Betroffenen zu einem bloßen Verfahrensobjekt zu machen.
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Die Ausnahmeregel gilt nicht für Verfahrenspflegerbestellungen nach anderen Bestimmungen als § 276 FamFG, z.B. für Sterilisationsverfahren (§ 297 FamFG), für lebensbeendende Maßnahmen nach § 1904 BGB (§ 298 FamFG), für ärztliche Zwangsmaßnahmen (§ 312 S. 3 FamFG) und für Unterbringungssachen (§ 318 FamFG).
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Beispiel
Richter Rainer D., der seit Jahren eine Versetzung zum Verwaltungsgericht anstrebt, erhält von dem Sozialdienst des Krankenhauses die Anregung, für den im Wachkoma befindlichen Patienten Ralf G. eine allumfassende Betreuung einzuleiten. Richter D. will die Akte schnell vom Tisch haben und ordnet sofort eine dementsprechende Betreuung an. Er ist der Meinung, eine persönliche Anhörung des Herrn G., der seinen Willen nicht kundtun könne, sei mit Hinblick auf § 276 Abs. 2 FamFG entbehrlich; die Beteiligung von Angehörigen nach § 274 Abs. 4 FamFG nicht obligat und im Übrigen ein Sachverständigengutachten in Ansehung des auf der Hand liegenden Krankheitsbildes entbehrlich.
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Die Regelung des § 276 Abs. 2 FamFG ist demgemäß verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass niemals von einem Desinteresse des Betroffenen an einer Verfahrenspflegerbestellung auszugehen ist. Für den Fall, dass eine Betreuung mit allen Aufgabenkreisen angeordnet wird, verliert der Betroffene sein aktives und passives Wahlrecht.[15] Es wird unterstellt, dass dies nie im Interesse der Betroffenen ist.
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Allein aus der Perspektive des Betroffenen und nicht aus der des Betreuers oder des Gerichtes ist zu beurteilen, ob