Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
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2. Leitungsorgan
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Leitungsorgan i.S.d. Art. 39 Abs. 1 SE-VO ist bei einer deutschen SE der Vorstand.
2.1 Zahl und Zusammensetzung
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Der Vorstand einer SE kann aus einer oder mehreren Personen bestehen. Bei einem Grundkapital von mehr als 3 Mio. EUR hat er aus mindestens zwei Personen zu bestehen, es sei denn, die Satzung bestimmt, dass er aus einer Person bestehen soll (§ 16 SEAG, § 76 Abs. 2 AktG). Bei einer mitbestimmten SE muss der Vorstand aus zwei Personen bestehen, von denen einer der Arbeitsdirektor ist (§ 38 Abs. 2 SEBG).
2.2 Bestellung und Abberufung
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Die Bestellung und Abberufung des Vorstands erfolgt durch den Aufsichtsrat (Art. 39 Abs. 2 S. 1 SE-VO, § 84 Abs. 1 S. 1 AktG). Von der Möglichkeit, die Bestellungskompetenz vom Aufsichtsrat auf die Hauptversammlung zu übertragen (Art. 39 Abs. 2 S. 2 SE-VO) hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Dies beruht auf seinem Bestreben, einen möglichst umfassenden Gleichklang zwischen den auf die deutsche AG und den auf die SE anwendbaren Vorschriften herzustellen.[3]
2.2.1 Bestellung
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Die Bestellung der Vorstandsmitglieder einer SE kann gem. Art. 46 Abs. 1 SE-VO auf höchstens sechs Jahre ab Amtszeitbeginn erfolgen.[4] Eine vom Aufsichtsrat für längere Zeit ausgesprochene Bestellung ist für die den Sechsjahreszeitraum überschreitende Zeit unwirksam.[5] Umstritten ist, ob es wie im deutschen Aktienrecht ausreichend ist, wenn die Satzung anstelle einer festen Amtsdauer nur eine Höchstdauer vorgibt.[6] Es wird vertreten, dass der Wortlaut des Art. 46 SE-VO, der von einem festgelegten Zeitraum spricht, eindeutig ist, weshalb die Bestimmung einer Höchstdauer nicht genügen soll.[7] Diese Ansicht überzeugt nicht. Dem Wortlaut wird entsprochen, wenn die Amtsdauer hinreichend bestimmbar und dadurch festgelegt ist.[8] Zudem würde andernfalls zumindest in dualistisch organisierten SE die Kompetenz zur Festlegung der Amtsdauer von Vorständen vom Aufsichtsrat auf die Hauptversammlung übertragen werden. Dies würde bei einer SE mit Sitz in Deutschland zu einer unnötigen Veränderung des Kompetenzgefüges führen.[9] Es reicht deshalb aus, wenn die Satzung nur eine Höchstdauer vorgibt und der Aufsichtsrat die individuelle Amtszeit im Rahmen dieser Höchstdauer festlegt. Dies gilt ebenfalls für die Amtszeit des Aufsichtsrats und des Verwaltungsrats, da gesetzliche Grundlage in beiden Fällen Art. 46 SE-VO ist.
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Eine Mindestdauer der Bestellung ist gesetzlich nicht festgelegt. Der Aufsichtsrat verletzt aber seine Sorgfaltspflichten, wenn er eine zu kurze Bestellung wählt. Die Grenzen sind hier fließend. Im Allgemeinen wird eine Bestellung von mindestens einem Jahr zu erfolgen haben, um dem Vorstand eine ordnungsgemäße Erfüllung seiner Leitungsaufgaben zu ermöglichen.[10]
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In den seltenen Fällen, in denen der Aufsichtsrat einen Vorstand nicht bestellen kann oder nicht bestellen will und die Bestellung eines Vorstandsmitglieds dringend erforderlich ist, kann das Gericht gem. § 85 Abs. 1 AktG einen sog. Notvorstand bestellen. Das Amt des Notvorstands erlischt, sobald der Mangel behoben ist (§ 85 Abs. 2 AktG), d.h. in dem Moment, in dem der Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied ordnungsgemäß bestellt. Das erforderliche Vorstandsmitglied fehlt, wenn es aus dem Vorstand tatsächlich durch Tod, Amtsniederlegung oder Widerruf der Bestellung ausgeschieden ist. Eine nur vorübergehende Verhinderung ist kein Fehlen i.S.d. § 85 Abs. 1 AktG.[11] Die Bestellung des Vorstands ist dringlich, wenn der Gesellschaft, ihren Aktionären oder Gläubigern, der Belegschaft oder der Öffentlichkeit erhebliche Nachteile drohen und der Aufsichtsrat nicht oder nicht schnell genug tätig werden kann.[12] Ein solcher Fall ist regelmäßig bei der Spaltung anzunehmen, bei der der Vorstand für die Einberufung der Hauptversammlung benötigt wird.[13] Art. 39 SE-VO enthält keine dem § 85 Abs. 1 AktG vergleichbare Regelung für die Bestellung eines Notvorstands. Art. 39 Abs. 2 S. 1 SE-VO sieht lediglich die Bestellung durch das Aufsichtsorgan vor und entspricht insoweit § 84 Abs. 1 AktG. Da das geschilderte Regelungsbedürfnis für die Bestellung des Notvorstands in den Ausnahmefällen jedoch besteht, ergibt sich die Bestellungskompetenz des Gerichts aus Art. 9 c ii SE-VO.
2.2.2 Abberufung
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Art. 39 Abs. 2 S. 1 SE-VO legt keine materiellen Voraussetzungen für die Abberufung fest. Zum Teil wird daraus gefolgert, dass deshalb ein wichtiger Grund für die Abberufung nicht vorliegen muss.[14] Da Art. 39 Abs. 2 S. 1 SE-VO aber nur die Zuständigkeit für die Abberufung durch den Aufsichtsrat regelt und nicht die Modalitäten der Abberufung, gilt vielmehr insoweit § 84 Abs. 3 S. 1 AktG über Art. 9c ii SE-VO. Die Bestellung zum Vorstandsmitglied kann somit gem. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG vom Aufsichtsrat nur widerrufen werden, wenn ein wichtiger Grund für den Widerruf vorliegt. Auch bei der Abberufung eines Vorstands einer deutschen SE ist somit ein wichtiger Grund erforderlich.[15]
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Ebenso wie die Bestellung zum Vorstandsmitglied erfolgt der Widerruf durch Beschluss des Aufsichtsrats nach § 108 AktG. Ist der Beschluss fehlerhaft, so ist auch der Widerruf unwirksam.
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Der Widerruf ist als interne Willensbildungsmaßnahme des Aufsichtsrats dem Vorstand gegenüber zu erklären. Die Erklärung erfolgt in der Regel durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, der vom Aufsichtsrat entsprechend im Beschluss bevollmächtigt wird.
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Eine Frist für den Widerruf sieht das Gesetz anders als bei der Kündigung des Dienstverhältnisses gem. § 626 Abs. 2 BGB nicht vor. Grenzen des Widerrufs ergeben sich allenfalls aus den Grundsätzen der Verwirkung.[16]
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Der Widerruf bedarf eines wichtigen Grundes. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG will die Unabhängigkeit des Vorstands schützen und ist daher nicht abdingbar. Nach zutreffender Meinung kommt dem Aufsichtsrat bei der Entscheidung über das Vorliegen eines wichtigen Grundes ein Beurteilungsspielraum zu.[17] Die Gegenansicht[18] verkennt, dass der Aufsichtsrat im Interesse der Gesellschaft entscheiden können muss, was eine vertretbare Risikobeurteilung ist, und was als unvertretbare Fehlentscheidung zu werten ist.
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Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist.[19] Bei dieser Entscheidung sind die Interessen der Gesellschaft gegen die Interessen des Vorstandsmitglieds abzuwägen,[20] wobei den Gesellschaftsinteressen Vorrang eingeräumt werden kann.[21] Die Gegenansicht,[22] die die Interessen des Vorstands allein über den Bestand seines Anstellungsvertrages und den durch § 626 Abs. 1 BGB vermittelten Kündigungsschutz berücksichtigen will, übersieht, dass der Vorstand auch anerkennenswerte Interessen an dem Bestand seines Organverhältnisses haben kann. Dem Vorrang