Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.. von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia

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Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band. - von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia

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der Legationsrat, das waren die letzten männlichen Glieder des alten Stammes, und da ersterer mit einem Fuße im Grabe stand und letzterer noch unvermählt war, so stand die Existenz der Falkner auf schwachen Füßen.

      Daran dachte der Freiherr Alfred, als er von der Bahnstation der Heimat seiner Kindheit entgegenfuhr. Er hatte schon oft daran gedacht und dennoch vermochte er sich nicht zu entschließen, sich zu vermählen, einfach aus dem Grunde, weil die jungen Damen, welche er kannte, sein Herz noch nicht erweckt hatten. Wenigstens fesselte keine der Damen ihn so, daß er sie zu seiner Gemahlin hätte wählen mögen. Nicht, daß er blasiert gewesen wäre, denn vor dieser Krankheit des gepriesenen neunzehnten Jahrhunderts bewahrte ihn – sein Verstand; aber die Hohlheit des Hauptes und des Herzens, die ihn aus all' diesen hübschen und schönen Gesichtern, die ihm zulächelten, aus eben diesem Lächeln angrinste, hatte ihn immer wieder zurückgeschreckt.

      »Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang,«

      hatte ihm eine warnende Stimme oft zugeflüstert, wenn er gemeint hatte, das Rechte getroffen zu haben, dann hatte der furchtbare Gedanke, das ganze Leben neben einer unsympathischen Gefährtin dahinwandeln zu müssen, ihn wieder befreit von der drohenden Fessel. Darüber war er achtunddreißig Jahre alt geworden und Legationsrat obendrein, denn daß nur sein Geist ihn so schnell befördert, konnte niemand dem »schönen Falkner« ableugnen, der die Wonne und Sehnsucht aller Mütter mit reifen und überreifen Töchtern war.

      Er hatte ernste, fast strenge Ansichten vom Leben und von seinen Pflichten, und die diplomatische Laufbahn, in welche der Oheim, seine Mutter und sein Stiefvater ihn gedrängt, war nicht nach seinem Geschmack – ihn lockte die Wissenschaft mehr zu sich heran, und er war auch gewillt, sich ganz zu ihr zu wenden, sobald er frei sein würde. –

      Jetzt fuhr er dieser Freiheit vielleicht entgegen, durch sonnige Felder, schattige Waldwege und duftende Wiesen, aber er konnte die winkende Freiheit nicht froh begrüßen, denn erstens mußte sie dem Oheim, der ihn an unzerreißbaren Fesseln hielt, den Tod bringen, und dann –

      Den zweiten Gedanken dachte er nicht aus, vielleicht weil es nicht gut ist, jeden Gedanken auszudenken, oder auch, weil der Wagen eben in den breiten Kiesweg einbog, der von beiden Seiten von hohen Buchen beschattet, dem südlichen Seitenportal des Falkenhofes zuführte.

      Als der Wagen unter der gedeckten Einfahrt hielt, trat Alfred Falkner sein Stiefvater entgegen – eine hochgewachsene Männergestalt mit klugen, ausdrucksvollen Zügen, das schlichte, halbergraute Haar glatt nach rückwärts gekämmt, so daß die eigentümliche runde, katzenkopfartige Bildung des Hauptes vortrat. Seine Augen bedeckte eine Brille, der starke Bart auf der Oberlippe war tief dunkel, wie die dichten Brauen, welche die Augen beschatteten. Das war der Herr Doktor Ruß, der »Magister,« wie ihn die Leute vom Falkenhof heut' noch nannten, eine unleugbar bedeutende Erscheinung, deren peinlichste Ordnungsliebe wie in allen Dingen, so auch in seiner Kleidung angenehm hervortrat – er schien zu jeder Stunde bereit das Parkett eines Hofes zu betreten, so sorgfältig und tadellos war seine Toilette.

      »Willkommen, geliebter Sohn,« rief er mit leiser, sympathischer Stimme und streckte dem Freiherrn beide Hände entgegen, »wir haben deiner lieben Gegenwart mit Ungeduld entgegengesehen!«

      Falkner legte seine Rechte flüchtig in eine der ihm entgegengehaltenen Hände – er hatte den Mann vor sich nicht leiden gemocht, als dieser noch sein Lehrer war. Als Doktor Ruß sich mit seiner Mutter vermählte, wurde das Gefühl gegen ihn noch bitterer, denn halberwachsene Söhne tragen Stiefvätern meist Mißtrauen entgegen, und weder er noch Doktor Ruß vielleicht selbst hatten die leidenschaftlichen Ausbrüche vergessen, mit denen der damalige Jüngling die Nachricht begrüßte, seine Mutter habe seinen Lehrer zum Gatten gewählt, der obendrein jünger war als sie selbst. Das damalige feindliche Verhältnis hatte im Laufe der Zeit einem ruhigen Begegnen Platz gemacht, was die Welt freundschaftlich nannte, aber Falkners Abneigung gegen den Mann seiner Mutter war nicht ganz gewichen, und in seinem Inneren bäumte sich jedesmal ein unbezähmbares Gefühl empor, wenn Doktor Ruß ihn Sohn nannte.

      »Steht es schon so schlimm mit dem Oheim?« fragte er als Antwort auf die Begrüßung seines Stiefvaters.

      »Es war gestern schlimmer,« entgegnete der Doktor und lud den Freiherrn ein, mit ihm die Treppe hinaufzusteigen. »Der alte Herr hatte einen bösen, asthmatischen Anfall, wonach er deine Gegenwart hier begehrte und die des Justizrats Müller aus B. Am Abend verlor er das Bewußtsein, das jedoch zum Teil heut' wiederkehrte. Aber ich fürchte, ich fürchte« –

      Und Doktor Ruß schüttelte bezeichnend mit dem Kopfe.

      Oben an der Treppe ward der Ankömmling von seiner Mutter begrüßt, einer stattlichen Frau, der man das Plus ihrer Jahre über denen ihres Gatten kaum ansah. Sie mußte einst schön gewesen sein, aber ihre Züge waren hart, ihre kalten blauen Augen ohne Güte, und ein erkältender Zug von Hochmut lag in den herabgezogenen Mundwinkeln. Im Gegensatz zu ihrem Gatten trug sie sich einfach, unmodisch und fast nachlässig, wie man es oft bei älteren Damen findet, welche einsam leben und mit der Jugend auch jene Nettigkeit ablegen zu dürfen glauben, welche ein weibliches Wesen bis ins höchste Alter niemals entbehren kann.

      »Guten Tag, Alfred,« sagte sie kurz, denn sie haßte Gefühlsäußerungen wie Euphemismen, aber ein weicherer Strahl aus ihren kalten, durchdringenden Augen bewies, daß die Ankunft des Sohnes sie freute vermittelst jenes Naturinstinktes, der auch bei der Wölfin Mutterliebe genannt wird. »Du siehst angegriffen aus,« setzte sie ebenso kühl, in demselben Tonfall hinzu, indem sie in das düstere Zimmer voranschritt, das sie für gewöhnlich bewohnte, und auf dessen großen Mitteltisch sie eine Erfrischung hatte stellen lassen.

      Alfred Falkner wußte, daß die Gefühlstemperatur im Falkenhof stets auf dem Gefrierpunkt stand, deshalb konnte ein derartiger Empfang ihn nicht mehr enttäuschen, und doch gehörte er zu den warmherzigen, warmfühlenden Menschen, wenn er auch zu jener Species zählte, die ihr Fühlen und Empfinden hinter der eisernen Maske des Stolzes verbergen. Und daß diese Maske nicht gefallen war, konnte nicht ihm zur Last gelegt werden – er hatte eben das Hochfeuer noch nicht passiert und nicht in jener thauwindartigen, lösenden Temperatur gestanden, welche warmfühlende Menschen um sich verbreiten, denn die sanftklingenden, milden Worte des Doktor Ruß hatten nie ein Echo in ihm wachgerufen.

      Während er sich an den Tisch setzte und die gebotene Erfrischung annahm, umfaßte sein Stiefvater zärtlich seine Frau und küßte liebevoll ihre große, weiße Hand.

      »Mein geliebtes, gutes Weib,« sagte er salbungsvoll, »es ziemt sich zu betrachten, wie der Herr die Geschicke lenkt. Dein Kind steht vor einem großen Wendepunkt seines Lebens.«

      »Und ich nicht minder,« sagte sie leise, und mit fast erschreckender Leidenschaftlichkeit im Ton, die man unter dieser eisigen Hülle nicht gesucht, fügte sie hinzu: »Nach Jahren, Jahren, Jahren der Abhängigkeit, der Demütigung und des Gnadenbrotes!«

      »Das letztere war dein Wille, geliebtes Weib,« erwiderte Ruß mit gleicher Sanftmut. »Hättest du nicht so heftig opponiert, ich hätte eine Professur gesucht und gefunden, die uns unabhängig gemacht hätte – aber die Rücksicht und der Hinblick auf deine Zukunft, Alfred, hieß uns hier bleiben und ausharren.«

      »Deine Professur hätte meine Zukunft wohl kaum beeinflußt,« sagte Falkner ruhig.

      »Doch – unsere Liebe zu dir gebot uns zu bleiben und dein Erbe für dich zu verwalten und zusammenzuhalten.«

      Jetzt erhob sich Falkner.

      »Das wäre geschehen auch ohne Erbschleicherei,« sagte er unbewegt.

      Doktor Ruß hustete – dabei aber schoß ein böser Blick unter den Brillengläsern hervor auf die Reckengestalt seines Stiefsohnes, dem mit süßen Reden absolut nicht zu nahen war.

      »Du

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