Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil. Döring Georg

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Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil - Döring Georg

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von Antwerpen?« rief er dem Forteilenden nach.

      »Nach Mastricht, Capitän!« erwiederte Cornelius hinabspringend. Die vier Matrosen von der Syrene und einige Leute des Kutters folgten ihm.

      »Jetzt ist es Zeit!« sagte La Paix zu seinem Freunde und Beide drängten sich vor, um auch das nach der Barke abgehende Boot zu besteigen.

      »Halt da!« donnerte die Stimme des Kutter-Capitäns sie an, indem er ihnen in den Weg trat. »Ihr bleibt zurück! Ihr seyd Franzosen, ihr seyd meine Gefangene!«

      Wüthend griffen die zwei Studenten nach den Degen, um sich mit Gewalt freie Bahn zu machen; aber im nämlichen Augenblicke schon sahen sie sich ihrer Waffen beraubt. Einige Matrosen hatten sie von hinten ergriffen, kein Widerstand war möglich.

      Das Boot stieß ab. Mit einem schallenden Gelächter ließ Jonas die entwaffneten Jünglinge stehen. Der laute Spott der Matrosen verwundete sie bis in das tief Innerste.

      »Das ist Julianens Werk!« knirschte Le Vaillant im verbissenen Ingrimm. »Corbleu! Ich werde mich an ihr rächen.«

      »Nur ruhig!« ermahnte La Paix. »Mit Gewalt ist hier nichts zu thun.«

      Der Kutter zog stolz an der Barke vorüber. Die Capitäne begrüßten sich. Auf der Bank am Steuerborde lag bleich und, wie es schien, in tiefer Ohnmacht eine weiß gekleidete Frauengestalt. Man war so nahe, daß man ihre schönen, regelmäßigen Züge erkennen konnte. Le Vaillant und La Paix mußten sehen, wie Cornelius hastig an Bord der Syrene stieg, wie er sich in unruhiger Bewegung der Ohnmächtigen näherte und sie mit dem Feuer, mit der Besorgniß eines Liebenden an seine Brust schloß.

      »Das ist Clelia van Vlieten!« sprach mit einiger Erbitterung La Paix. »Sie sind glücklich vereint und wir – «

      »Sandis!« unterbrach ihn der Gascogner mit dem Fuße aufstampfend. »Ich gönne ihm das Mädchen, aber unsere Ehre gebietet uns, sie ihm zu entreißen.«

      »Wenn wir uns erst selbst dem Capitän Jonas und seiner verschmitzten Juliane entrissen haben werden!« setzte La Paix kaltblütig hinzu. »Mastricht heißt die Losung: dort finden wir sie wieder!«

      Von günstigen Winden getragen, schwebte der lustige Freier von Rotterdam dem Hollands-Diep zu. Bald sah man die Barke nur noch wie einen kleinen schwarzen Punkt, in weiter Entfernung hinter sich. Noch einige Minuten lang konnten die scharfsichtigen Blicke der Leydener Studenten sie erreichen. Dann war sie ganz verschwunden.

      2

      In Cornelius Armen erwachte Jungfrau Clelia van Vlieten aus tiefer Bewußtlosigkeit. Noch war sein Gesicht von Pulverdampf geschwärzt, versengte Haare hingen auf die Stirn herab. Als sie ihn erkannte, fuhr sie erschrocken zurück. Die Erinnerung des Geschehenen erwachte in ihrer Seele. Welchen schrecklichen Gefahren hatte sich nicht der Geliebte blos gestellt, wie leicht konnte er nicht von den ergrimmten Feinden bemerkt, von ihnen auf das Grausamste behandelt, wie leicht konnte er nicht selbst in das Verderben mit hineingerissen worden seyn, das er jenen durch seine verwegene That bereitet! Aber war diese denn nicht auch um ihretwillen unternommen worden? Ach, aus der Tiefe ihres Herzens erklang eine Stimme, die ihr die Versicherung gab, daß nur die Liebe zu ihr den jungen Mann zu einem so kühnen Werke habe begeistern können! Sie sah Jansen in ihrer Nähe, sie sah sich und den Geliebten von Seeleuten umgeben, die neugierig auf Beide blickten. Ihre ganze Lage wurde ihr jetzt deutlich. Schüchtern schlug sie die Blicke nieder.

      »Führt mich in die Cajüte!« sagte sie leise zu Cornelius, aber in einem so zärtlichen Tone, wie sie noch nie zu ihm gesprochen hatte. Entzücken ergriff seine Seele. Er sah ein, daß jetzt erst Clelia’s Liebe zu ihm ihre ganze Stärke gewonnen habe, daß sie in ihrer ganzen Macht ihr selbst klar geworden sey. Bisher war das Mädchen noch mehr Kind als Jungfrau gewesen, sie hatte mit den Gefühlen ein leichtes, ihr wohlgefälliges Spiel getrieben, sie hatte den beschränkten Blick nicht über den Kreis ihres Hauses erstreckt. Der heutige Tag mit seinen vielfachen, wunderlich verschlungenen Begebenheiten hatte sie gereift. Sie erkannte die Kraft der Liebe, sie fühlte sich ihr unterthan, sie wußte nun, daß die Empfindungen, die ihr früher ein Spiel gewesen, ihre Beherrscher geworden waren.

      »Nehmt mir das Schwesterlein wohl in acht!« rief Frau Beckje, die eben vom Cajütendache herab, nach ihrem Manne hinsprang, ihm zu. »Ihr habt doch kein Feuerwerk mehr bei Euch, womit Ihr dem Kinde Schaden thun könntet, etwa unter’m Kleide in der Gegend des Herzens?«

      Cornelius befand sich nicht in der Stimmung, diese Neckerei zu beantworten. Hätte er aber auch gewollt, so würde seine Rede nur vergebens gewesen seyn, denn Beckje war rasch wie der Wind an ihm vorübergeflogen, um ihrem lieben Jansen ihre Freude über den Sieg und sein Wohlergehen an den Tag zu legen.

      In der Cajüte fand Junker van Daalen und seine schöne Begleiterin die beängstigte Philippintje auf den Knieen liegend und sinnlose Gebete vor sich hin plappernd. Sie hatte nicht den Muth sich umzuwenden, um die Eintretenden zu betrachten und ihre guten Freunde in ihnen zu erkennen.

      »Sie kommen, sie kommen!« zeterte sie im Tone des Entsetzens. »Sie sind da die spanischen Belialssöhne und wollen mich und mein himmlisches Theil. Warum habe ich doch immer auf den Schiwa geschimpft und ihm nicht Ehre erwiesen, wie der hochmögende Heer van Vlieten gethan aus guten Gründen und in weiser Absicht! Jetzt könnte mir der Heidengott beistehen gegen die satanischen Spagnols, die kein Erbarmen haben und alle Ketzer brennen, wie wir daheim in Rotterdam die liebliche Caffeebohne – «

      »Ruhig, ruhig, Jungfrau Philippintje!« unterbrach sie Cornelius. »Wir sind es ja: Clelia und ich!«

      Die Knieende starrte betäubt zu ihnen auf. Sie schien jetzt zu wissen, wer vor ihr stand, aber ihre Angst wollte nicht weichen, ebensowenig wie der Irrthum, der sich ihrer bemächtigt hatte. Sie betastete mit zitternder Hand Cornelius verbrannte Kleider. Dann sagte sie gepreßt:

      »Er hat uns, das ist gewiß! Den edeln Junker hat er schon angefangen zu braten und dann mit Wasser wieder das Feuer gelöscht, damit die Qual desto länger dauere, da sind die deutlichsten Spuren: die verbrannte Krause, die geschwärzte Stickerei am Rocke, die Wasserflecken am ganzen Leibe. Die Männer werden gebraten, die Frauen in’s Kloster gesteckt. Ach, Clötje, mein Kind, du siehst schon aus, wie eine unglückliche Nonne, bleich und abgezehrt, schmachtend und verschmachtend! Wir werden nimmermehr den würdigen Domine schauen, nie mehr den süßen Ton seiner Rede hören: ein Mönch, ein entsetzlicher Mönch mit Kutte und Strick angethan, wird an unserer unsterblichen Seele zerren, bis er sie hinabgezerrt hat in den höllischen Schwefelpfuhl – «

      »Holland und England!« fiel jetzt der ungeduldig werdende Junker mit rauhem, lautem Tone ein! »So nehmt doch nur Vernunft an! Der Spagnol kann uns nichts mehr thun, er wird uns weder braten noch sieden, im Gegentheile ist er halbgebraten auf gen Himmel und wieder hinab in die Wogen gefahren. Wir haben ihn in die Luft gesprengt.«

      »In die Luft,« – sagte die staunende Philippintje, indem einige Röthe auf die gefurchten Wangen zurückkehrte und sie sich halb vom Boden erhob. »Ihr habt ihn gesprengt,« fuhr sie zweifelnd fort, »ganz auseinander gesprengt, den Spagnol, so daß nichts mehr von ihm da ist, auch nicht ein Stückchen, ein Arm oder ein Bein, mit dem er uns ein Uebles thun könnte?«

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