Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band - Gerstäcker Friedrich

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doch ja, dann und wann wenigstens,« sagte der Mann ausweichend; »er ist gerade ebenso wie wir Anderen – eben nicht umgänglicher Natur, und hält seine Büchse und Hunde für die beste Gesellschaft auf der Welt.«

      »Aber die arme Frau – sie verkehrt doch wenigstens mit ihren Nachbarn?« frug Amalie.

      »Sie? – o ja – ja wohl« – sagte der Jäger – »im letzten Winter war sie zweimal bei uns hüben, und meine Alte auch dort, und wie ihr vor zwei Jahren das Kind krank wurde und dann starb, ist wenigstens eine von den benachbarten Frauen fortwährend und abwechselnd bei ihr gewesen – sie wurde auch damals selber krank und mußte doch eine Pflege haben.«

      »Lieber Gott, im letzten Winter,« seufzte Amalie still und kaum hörbar vor sich hin, und der Wald schien ihr ordentlich unheimlich dazu zu rauschen, in seiner öden Einsamkeit. Sie fürchtete auch von dem Augenblick an wirklich eine weitere Frage zu thun, bis ihr Führer selber wieder das Schweigen brach.

      »Ihr habt die Schwester seit langer Zeit nicht gesehn?«

      »Seit zehn Jahren nicht.«

      »Eine lange Zeit, und wir werden alt dabei.«

      »Sidonie war noch so jung wie sie die Heimath verließ.«

      »Aus glücklichen, ruhigen Verhältnissen vielleicht heraus« sagte der Jäger, und sein Blick schweifte dabei wieder über den engen Waldeshorizont, der ihm da frei lag, nach einem Wilde auszuspähn.

      »Aus den glücklichsten,« sagte die Schwester, seufzend der Zeit gedenkend, »lieber Gott, sie hatte Alles was das Herz begehrt, begehren kann; in Überfluß und Reichthum erzogen, wurde sie von den Ältern auf Händen getragen, und die glänzenste Zukunft hätte ihrer im alten Vaterland gelacht.«

      »Hm,« sagte der Jäger, seine Büchse etwas weiter zurück über die Schulter werfend, und den Tabackssaft seines Priemchens gegen die nächste Eiche spritzend – »hm – und Mr. Olnitzki hatte auch viel Geld?«

      »Der Graf Olnitzki? – nein,« sagte Amalie, »aus Polen flüchtend, wo sein Volk besiegt und zerstreut worden, waren ihm von dem Russischen Czaaren die Güter confiscirt, war ihm selbst die Rückkehr in sein Vaterland abgeschnitten worden, und jenen unglücklichen Tapferen blieb damals nichts übrig, als in der neuen Welt auch eine neue Heimath zu suchen und zu gründen.«

      »Aber wie bekam er da so geschwind die reiche Frau?« frug der praktische Amerikaner, halb ungläubig dazu den Kopf schüttelnd.

      »Ich weiß nicht ob Sie sich jener Zeit noch erinnern,« sagte, tief aufseufzend wieder Amalie, »weiß auch nicht ob Sie in Amerika damals unsere Gefühle getheilt; aber in Deutschland war es fast, als ob ein neuer lebendiger Geist über das ganze Volk gekommen, und die träumenden Nationen aus ihrem Schlafe aufgerüttelt habe. Ein Schrei für Polen ging durch Deutschlands Gauen, nicht bei den Regierungen zwar, die es mit dem Nordischen Koloß nicht verderben wollten, wohl aber bei den Völkern. Doch statt das Schwert aufzugreifen für den bedrohten, geknechteten Nachbarstaat, begnügten sich die Männer Sammlungen zu veranstalten, den Verwundeten und Beraubten Hülfe zu bringen, die Frauen zupften Charpie und sandten Leinwand und Bandagen in die Lazarethe, und als die letzte Schlacht geschlagen, als die ungeheueren Russischen Heere das kleine Reich mit ihren Massen überschwemmten, als Polen zertreten, vernichtet unter den stampfenden Rossen seiner Feinde lag, und die Wenigen seiner tapferen Krieger, die sich noch bis zur Grenze durchgeschlagen, fremden Boden Hülfe suchend betreten mußten, da war es Deutschland besonders, das ihnen seine Arme öffnete, das sie in seine Familien, an seinen Heerd nahm, die Kranken und Verwundeten pflegte und kräftigte, die Armen unterstützte, die Besiegten aufrichtete, mit Trost und Hoffnung und eigener That. Feste, Bälle und Concerte wurden gegeben, Summen zusammen zu bekommen und den Flüchtigen Reisegeld nach Amerika zu verschaffen, und Frauen und Mädchen besonders wetteiferten darin ihre Sympathieen für die zertretene Nationalität der Unglücklichen zu zeigen. Wir trugen in den Schleifen und Zierrathen unseres Costümes nur die Polnischen Farben, Polnische Flaggen wehten in den erleuchteten Festesräumen, und viele, viele von uns gaben was sie an Schmuck und goldenen Zierrathen besaßen willig her, die Spende für die tapferen Krieger zu erhöhn.«

      »Hm, hm, hm, hm,« sagte der Jäger, der mit dem Kopf heftig dabei schüttelnd, rascher neben dem Pferde herging.

      »Auch in unsere Familie,« fuhr Amalie fort, »hatten wir einen jungen edlen Polen aufgenommen, der unsere Schwelle, von Fieberfrost geschüttelt, mit einer Menge ungeheilten Wunden, mit zerrissener Uniform, dem Untergang schon nahe, betrat, und kaum ein Lager für sich eingerichtet bekommen, als ein hitziges Fieber sein Leben bedrohte, und ihn für Monate an den Rand des Grabes brachte. Sidonie und ich pflegten ihn in der Zeit wie Schwestern; Sidonie besonders wich kaum mehr von seinem Bett, und wir hatten die Freude den Unglücklichen nach langen Monden dem Leben, der Gesundheit zurückgegeben zu sehn. Vollkommen endlich wieder hergestellt, und mit Allem reichlich versehn was er zu einer so weiten Reise brauchte, wollten meine Ältern dann den Fremden entlassen – aber es war zu spät; Sidoniens Herz hing an dem fremdem Mann und konnte – wollte ihn nicht lassen. Vater und Mutter baten und beschworen sie – umsonst, der Pole durfte nicht länger auf deutschem Boden weilen, unsere deutschen Regierungen fürchteten das Misvergnügen des Czaaren zu erregen, und mit der warmen Frühlingsluft die über die Berge zog, und unsere Ströme vom Eis befreite – mit dem ersten Schiff, das den aufgethauten Strom befuhr – verließ Sidonie als Olnitzkis Gattin das väterliche Haus.«

      Amalie schwieg, und Jack Owen ging wieder eine ganze Zeitlang lautlos, aber recht schwer aufathmend neben dem Pferde her – endlich sagte er leise:

      »Aber Olnitzki hatte Vermögen wie er Amerika betrat.«

      »Mein Vater ist wohlhabend, und wollte die Tochter nicht der Ungewißheit einer selbst zu erkämpfenden Existenz preis geben.«

      Jack Owen blieb stehen und sah die Fremde überrascht und ungewiß an – er hatte augenscheinlich nicht recht verstanden was sie mit den Worten meinte.

      »Olnitzki hat also sein Geld nicht mit von Polen herüber gebracht?« frug er endlich.

      »So reich er dort gewesen sein mochte,« sagte Amalie, »der Krieg verschlang Alles, und jene edlen Herzen warfen nicht allein ihr Leben, nein Alles was sie auf Erden ihr eigen nannten in die Schaale, das Vaterland zu retten.«

      »Hm, hm, hm, hm, hm!« sagte der Jäger wieder, und schritt rascher vorwärts, als ob er die versäumten Minuten einholen müsse; aber er erwiederte nichts weiter, schien sogar jedes fernere Gespräch vermeiden zu wollen, und beschäftigte sich ausschließlich mit dem Weg, der hier auch in der That noch eher wilder und verworrener wurde, und seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, der Fremden nur einiger Maßen Bahn zu brechen. Amalie aber fühlte sich beunruhigt durch das ihr auffällige Benehmen des Führers, trieb ihr Pferd, jetzt schon vollkommen an den Ritt gewöhnt, und dreist gemacht durch den sanften Schritt des Thieres, zu etwas schärferem Schritt mit der Gerte an, und sagte halb schüchtern, halb entschlossen jeder weiteren Ungewißheit ein Ende zu machen:

      »Wie geht es meiner Schwester – ist sie glücklich, und lebt sie so wie wir es in Deutschland erwartet haben daß sie leben würde und sollte?« —

      »Pst!« sagte ihr Führer aber als einzige Antwort, und bei der rasch doch vorsichtig abwärts gedrehten rechten Hand, blieb das gelehrige, aufmerksame Thier wie in den Boden gewurzelt stehn, regte sich nicht mit dem Kopf, und schüttelte weder Schweif noch Mähne. Der Jäger aber, mit der Hand langsam, keine rasche auffällige Bewegung zu machen, nach vorne deutend, zeigte der Fremden, die dem ausgestreckten Finger mit den Augen folgte, die schlanke prächtige Gestalt eines stattlichen Hirsches, der aus einem dichten Gebüsch herausgetreten war und sich, keine Gefahr ahnend, über eine kleine Waldblöße langsam hinüber äßte.

      Vorsichtig

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