Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band - Gerstäcker Friedrich страница 7
»Dort liegt Oakland grove!« sagte der Fuhrmann da plötzlich, als sie einen kleinen sandigen Hügel hinaufgefahren waren, und in der Ferne durch den Wald ein paar helle Fenzen herüberschimmern sahen.
»Haben wir von hier noch weit bis zu der Stadt?«
»Stadt? – was für eine Stadt?«
»Oakland grove.«
»Ist keine Stadt; unsere Farm und der Wald hier heißt so.«
»Und wo liegt die nächste Stadt?«
»Das ist Batesville; aber noch ein hübsch Stückchen Weg bis man dahin kommt.«
Bald darauf erblickten sie in der Ferne, an einer langen, ziemlich gut gehaltenen Fenz hinfahrend, zwei durch eine offene Verandah mit einander verbundene, aus gut beschlagenen Balken errichtete Blockhütten, deren ganzes Aussehn wie Umgebung einen gewissen Wohlstand verrieth. Eine Menge kleiner, dicht daran errichteter Gebäude dienten zu Ställen, Maisscheuern und Futterböden, und Hühner und Gänse um das Haus herum, wie eine Meute kleffender wohlgenährter Hunde gaben dem Platze etwas Lebendiges, Wohnliches, hier mitten in dem stillen Wald.
Dasselbe Behäbige bot auch das Innere des Hauses, und als Fräulein von Seebald, noch in der Thür, von einer würdigen Matrone, deren ganzes Äußers schon einen unendlich wohlthätigen Eindruck auf sie machte, nach kurzen einführenden Worten des Fuhrmanns, begrüßt wurde, und im Hause selbst noch zwei reizende junge Mädchen fand, die zwar sehr einfach in selbst gewebte Stoffe, aber nichts destoweniger höchst geschmackvoll gekleidet waren, und als diese auch alles Mögliche thaten es der Fremden bei sich recht wohnlich und bequem zu machen, fühlte sie sich zum ersten Male wieder frei von jenem drückenden Gefühl, das ihr den ganzen Nachmittag, sie wußte sich eigentlich selber keine Rechenschaft zu geben weshalb, auf dem Herzen gelegen. Die Häuser, die sie bis jetzt hier überall getroffen, hatten gar so ärmlich und dürftig ausgesehen, die Menschen so kränklich und das Nothwendigste selbst entbehrend, was man doch zu einem wenigstens menschlichen Leben bedurfte. Hier war das anders, und der kleine Platz wirklich nicht allein praktisch, sondern auch mit Geschmack angelegt, mit schattigen Bäumen und Sitzen vor der Thür, und, was sie bis jetzt noch bei allen übrigen Blockhütten schmerzlich vermißt, einem kleinen Gärtchen dicht daneben. Also das war doch möglich – die Wildniß bedingte nicht ein fast Indianisches Leben, die Leute konnten es sich, wenn sie den Trieb und die Lust dazu hatten, wohnlich und bequem machen, und mehr noch durfte sie das jetzt bei Olnitzkis erwarten, die sogar das Bedürfniß dazu vom alten Vaterland mit herüber gebracht.
Auch das Innere des Hauses war weit verschieden von dem der letzten Farm, wo sie Mittag gegessen. Statt der zerbrochenen Rohrstühle und umgedrehten Fässer, die dort als Sitze dienen mußten, fand sie hier ordentliche Meublen; sogar einen Secretair und ein kleines dicht besetztes Bücherbret. Große reinlich überzogene und mit bunten Decken und jetzt aufgeschlagenem Mosquitos-Netz versehene Betten füllten den hinteren Raum aus, große eiserne Holzstützen mit blankgescheuerten Messingknöpfen lagen im Kamin, neben dem, ebenfalls von Messing, Schaufel und Zange hingen; Fenster mit reinlichen Gardinen daran waren sogar in die mächtigen Stämme, welche die Wände bildeten, eingeschnitten, und der bald darauf mit dem weißesten Linnen bedeckte Tisch zeigte eine Menge von delikaten Speisen.
Der ganze Platz, mit dem freundlichen Benehmen seiner Bewohnerinnen, die ordentlich herzlich gegen sie wurden als sie erst erfuhren weshalb und wie weit sie hierher gekommen, heimelte sie an; das war, wenn auch mit sehr bescheidenen Ansprüchen, eine Waldwohnung, wie sie sich solche früher wohl gedacht und ausgemalt – hier in der stillen Einsamkeit des Forst's, unter dem leisen Rauschen der Waldwipfel, von keinen äußeren Stürmen getroffen und berührt, lebte ein einfach glückliches Volk – glücklich in seiner Ruhe und Freiheit, und der Traum einer solchen Existenz, von kalten egoistischen Menschen im alten Vaterlande oft verlacht und verspottet, war endlich Wahrheit geworden und lag in Wirklichkeit hier um sie her. Mit dem seligen Gefühl wuchs aber auch die Sehnsucht nach der Schwester, und sie konnte den Morgen schon kaum erwarten, der ihr wieder auf ihren Weg leuchten sollte, in die Arme der Geliebten zu eilen.
Auch die Entfernung war nicht mehr so groß; nur noch zehn englische Meilen etwa von hier – ein flüchtiges Pferd hätte solche Strecke in einer Stunde durchlaufen können, lag Olnitzkis Farm (das Wort Plantage hatte sie endlich fallen lassen) oder Olnitzkis »improvement« wie es die Leute auch hier nannten; wenn sie bei Zeiten aufbrachen, konnten sie den Platz recht gut um Mittag erreichen und dann. – Wie ihr das Herz so ungeduldig – so freudig und doch auch wieder so ängstlich pochte; lieber Gott, zehn Jahre sind eine lange Zeit – zehn Jahre hatte sie die Schwester nicht gesehen, in den letzten Jahren sogar nicht einmal etwas von ihr gehört, wie manches Schmerzliche ihr dabei mitzutheilen aus der Heimath, die jene, ein Kind noch fast und von dem Glück der ersten Liebe wie berauscht, verlassen. Die Mutter war vor zwei Jahren gestorben, und wenn auch Sidonie die Trauerbotschaft bekommen, blieb das erste Begegnen der Geschwister nach dem Verlust doch immer schmerzlich, und mußte ja die Freude des Wiedersehens trüben. Aber fort mit solch traurigen Gedanken jetzt, wo sie so viel des Freudigen auch dabei brachte – ihr Bruder war von seinem Hofe ehrenvoll ausgezeichnet und angestellt worden, ihre jüngste Schwester die Braut eines geliebten Mannes, ihr Vater noch immer rüstig und gesund, stand seinen Berufsgeschäften wie jemals vor, nur mit dem einen Verlangen, sein Kind, sein liebes Kind, das er damals so ungern von sich gelassen, noch einmal wieder zu sehen. Wie hatte er sich in jener Zeit gesträubt seine Einwilligung zu einem Bündniß zu geben, das er allein der tollen Schwärmerei des Augenblicks zugeschrieben, und in das er nur endlich willigte, sein Kind durch eine Weigerung nicht noch vielleicht unglücklicher zu machen, als es, wie er fürchtete, durch die Verbindung werden würde. Jetzt lag die Zeit in weiter Ferne hinter ihnen. Sidonie war glücklich geworden, wie alle ihre Briefe ja bezeugten, und wenn sich auch die Schwärmerei der ersten Jugendliebe in ein ruhigeres und stilleres Gleis die Bahn geöffnet, so hatte sie doch auch mit keiner Zeile ja erwähnt, daß sie sich fortsehne aus dem neuen, selbst gewählten Leben, daß sie bereue den Schritt gethan zu haben, der sie aus den Armen ihrer Familie, der sie aus dem Vaterlande riß.
Viel Unglück hatte sie trotzdem gehabt – der älteste Knabe war ihr im vierten Jahr gestorben, und in dem letzten Brief, den sie zu Haus geschrieben – schon zwei Jahr her, schien ihr auch das jüngste Kind, ein Mädchen, schwer erkrankt. Aber seit dem, und nach dem Tod der Mutter, hatte kein Brief von ihr die Heimath mehr erreicht, und nur ein einziges Mal war mündlich Nachricht von ihnen durch einen Fremden hinübergedrungen, der den Grafen Olnitzki zufällig in Little Rock gesprochen, und von diesem erfahren hatte, daß sich die Frau vollkommen wohl befinde und in ihrem, allerdings etwas einsamen Aufenthalt von Herzen glücklich fühle.
Wunderbarer Weise behaupteten aber auch Rosemores nicht im Stande zu sein ihr genügende oder nähere Auskunft über die, doch nur kurze Strecke von ihnen entfernt wohnenden Leute zu geben. Olnitzki allerdings kam manchmal herüber zu ihnen, ja hatte sogar früher schon einige Mal in ihrem Hause übernachtet, die Frau dagegen sich noch nie bei ihnen blicken lassen.
»Aber sie hatte doch andere Nachbarn in ihrer Nähe?«
»Allerdings, Jack Owen wohnte kaum tausend Schritt von ihrem Hause entfernt an der bearlick ridge, und Sam Houston, ein anderer Farmer hatte sich, etwa eine Meile oberhalb des »postoak hollow« niedergelassen. – Beide waren verheirathet, und verkehrten gewiß mit einander, und besonders Jack Owens junge Frau war ein liebes braves Weibchen. Wunderbarer Weise wußten diese »Nachbarn« nicht einmal ob Olnitzkis Kinder hatten, und wie viel – ein oder zwei waren ihnen gestorben, aber auch das nur als Gerücht zu ihnen gedrungen, denn dort hinein führte kein bestimmter Weg, zu ihnen heraus kamen die Leute auch nicht, so bildete sich denn jeder seinen Wirkungskreis in der eigenen Umgebung, den Nachbar entbehrend und sich wenig um ihn kümmernd.«
Aber was bedurfte Amalie von Seebald