Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band - Gerstäcker Friedrich страница 6
Nur von dem »Grafen Olnitzki« wußte er wenig oder gar Nichts zu erzählen; seine »old lady«8 kannte er gar nicht, hatte sie nie gesehn und glaubte auch nicht, daß sie viel aus der range (eigentlich Weideplatz, aber auch von Ansiedlungen gebraucht) herauskäme. Old Nitzky wie er ihn unverdrossen nannte, sollte übrigens a powerful hand (sehr geschickt) mit der Büchse sein, und viele Hirsche und auch schon einige Bären geschossen haben. Jetzt war er lange nicht »in die Ansiedlungen« gekommen, aber er konnte sich noch recht gut auf ihn besinnen, denn er war ein großer starker Mann und trug »das ganze Gesicht voller Haare.«
Wenn aber der Führer ihr auch keine nähern Nachrichten über die geben konnte, deren Schicksal ihr so sehr am Herzen lag, und die es sie so glücklich machte, nach so langer Trennung wieder zu sehen, so war er doch in so mancher anderen Art praktisch und unendlich gutmüthig. Er brach ihr einen Sassafrasbusch ab, sich damit der dann und wann zu ihnen kommenden Mosquitos zu erwehren, und hielt einige Male besonders an, ihr einen Hut voll saftiger, zuckersüßer Persimonen, die dort in Masse wuchsen, zu suchen und zu bringen, oder wilde Weintrauben zu pflücken, die von manchen Bäumen in schweren blauen Massen niederhingen. Auch die Muscadinebeeren, vor deren häufigen Genuß er sie des kalten Fiebers wegen warnte, mußte sie kosten, und die lange, fast widerlich süße Papaofrucht. Wie sie dann weiter in den Wald hinein und von den dem Fluß zunächst liegenden Ansiedlungen abkamen, zeigte er der Fremden hie und da die rasch erspähte Gestalt eines flüchtigen Hirsches, der stutzte, als er das Knarren der Räder hörte, und den schönen Kopf mit dem wunderlich gebogenen Geweih zurückwerfend flüchtig über die Büsche hinweg in das Dickicht setzte; oder das häßliche aber komische Opossum, das Amerikanische Beutelthier, das eigentlich, nach Australien gehörig, nur aus Versehn hier von der Natur geschaffen scheint, wie es scheu über den Weg lief, oder rasch an niederhängenden Weinreben emporklomm, einer vermutheten Gefahr zu entgehen. Manchmal hielt er sogar an, um ihr auf der Straße selber Bären-, Wolf- und Pantherfährten zu zeigen, die sie hier auf ihren nächtlichen Wanderungen in den weichen Boden eingedrückt, und that überhaupt Alles was in seinen Kräften stand, der jungen Dame den langen, etwas monotonen Waldpfad so viel als möglich zu verkürzen.
So zogen sie den ganzen langen Weg dahin; die Straße war breit ausgehauen, auf einer wie auf der andern Stelle, zeigte aber nur wenig Gleise, mehr Hufspuren und fast noch mehr die Fährten wilder Thiere. Dann und wann passirten sie eine große Ansiedlung, und gegen Mittag hielten sie sogar an einem Ort, deren drei oder vier Blockhütten den stolzen Namen einer Stadt beanspruchten. Die Leute dort, ein einziger Farmer mit seinem Bruder, der einen kleinen Laden hielt, waren aber nicht stolz auf diese Bevorzugung vor den Nachbar clearings, bestellten ihr Land noch selber und machten neues urbar, nicht etwa Häuser darauf zu bauen, sondern Mais hineinzupflanzen.
Dort wurde ein frugales Mittagmahl eingenommen, da fast sämmtliche Farmer in den westlichen Wäldern, wenigstens Alle die an einer Haupt- oder countystraße wohnen, darauf eingerichtet sind Fremde zu beherbergen und zu speisen. Wirths- und Gasthäuser giebt es dort nur sehr wenige; baar Geld haben die Leute auch sehr wenig in ihrem gegenseitigen Verkehr, da wird dann das Fremdebewirthen gewissermaßen zu einer Erwerbsquelle, der sie sich um so lieber widmen, als sie wenig mehr Auslagen dabei haben, wie ein paar Betten mit Matratzen und wollenen Decken herzustellen. Die alte westliche Gastfreundschaft, wie sie in früheren Zeiten Sitte war, geht dabei freilich verloren; eine Mahlzeit kostet einen Viertel Dollar, ein Pferd zu beherbergen von einem Viertel bis halben Dollar, je nach der Gegend, das Bett für den Gast einen »Bit« bis ein Viertel Dollar, oder Nachtlager mit Abendbrod und Frühstück für einen Reiter gewöhnlich einen Dollar. Daß sie Jemanden umsonst beherbergen könnten fällt ihnen nicht ein; hat aber ein armer Teufel wirklich kein Geld, und sagt er ihnen das gleich von vorn herein, ehe er etwas verzehrt und genossen hat, so wird ihm selten ein Amerikaner alles das versagen, was er ihm sonst gegen Zahlung nur gegeben hätte.
Im Wald selbst, das heißt ab von der Straße, wohin kein ausgehauener, von Geschäftsreisenden betretener Weg führt, und wohin sich nur der Jäger dann und wann verliert, ist das ganz etwas anderes. Der Wanderer theilt da Tisch und Bett mit seinem Wirth und am Morgen, fragte er wirklich was er dafür schuldig sei, lautet die Antwort: »das Wiederkommen, Fremder, für das was Ihr gehabt, war't Ihr willkommen; lieber Gott, es war wenig genug, was wir Euch bieten konnten,« setzt die Frau auch wohl hinzu.
So wenig neugierig die Leute auch gewöhnlich dabei sind, was der Reisende treibt, woher er kommt, wohin er geht, wenn sie ihn auch manchmal im Laufe des Gesprächs danach fragen, so erstaunt waren hier die Waldbewohner, eine »lady« im wahren Sinne des Worts in seidenem Kleid und Hut mit Handschuhen an den Händen und Ringen an den Fingern, mit einem Schleier vor, und anderen »fixin's« wie sie's nannten, allein im Wald zu sehn, und wenn sie es auch nicht wagten, die Dame selbst nach alle dem zu fragen, was sie gern von ihr wissen mochten, und was ihnen fast das Herz abdrückte vor Neugierde, so stahlen sie sich doch einzeln hinaus, wo Billy Jones's Mann die Pferde versorgte, von diesem herauszubekommen was die fremde Dame vermocht haben konnte, eine so abenteuerliche Fahrt allein zu unternehmen.
Billy Jones's Mann wußte aber auch nicht mehr, als daß die Dame mit einem Dampfer nach Little Rock gekommen sei – das verstand sich ohnedieß von selbst – und nach Old Nitzkis Farm irgendwo im Busch drin, Nord-Ost von der Oakland grove, hinüber wollte; es müßte wohl eine Verwandte von Old Nitzki oder seiner Frau sein.
Die Damen hätten sich übrigens die Mühe ersparen können, denn Fräulein von Seebald kam ihnen bei Tisch auf halbem Wege entgegen, erzählte ihnen, daß sie ihre Schwester aufsuchen wolle, die sie in zehn Jahren nicht gesehen, und die hier, unfern von Oakland Grove an den Grafen Olnitzki verheirathet sei, und frug jetzt selber, ob keine der Frauen sie vielleicht kürzlich gesehen habe, und wie es ihr gehe.
Niemand kannte sie – ein Mann wohnte allerdings dort oben im Wald, der so hieß, er war auch verheirathet, aber noch nie hierher zu ihnen gekommen, hatte wenigstens nie an ihrem Hause angehalten. Es sollte übrigens vortreffliches Land sein, wo er wohnte – nur ein wenig sumpfig. —
»Und wie weit war es noch bis dorthin?«
»Ih nun, nicht mehr so weit; in ganz gerader Richtung hätte es kaum vielleicht mehr als zwölf Englische Meilen sein können, aber es führte, eines dazwischen liegenden Sumpfes wegen, kein Weg direkt dorthin, nur die Jäger kamen manchmal dahinein; es war ausgezeichneter Jagdgrund. Wer sonst hinüber wollte, mußte über Rosemores Farm; von da führte ein ziemlich betretener Pfad hinüber nach der Richtung, wie der alte Mann, dem das Haus hier gehörte, meinte, und er glaubte auch gehört zu haben, daß ein Pole da drüben ein »improvement« habe.«
Fräulein von Seebald begriff gar nicht daß Graf Olnitzki, der doch von seiner Farm aus einen lebhaften Verkehr mit Little Rock, der Hauptstadt, unterhalten mußte, hier so wenig gekannt sei; oder gab es vielleicht einen andern Punkt im Innern, wohin er seine Produkte absetzte?
»Ih nun ja es sei möglich,« lautete die Antwort, »daß es ihm bequemer oder ebenso bequem nach Batesville am Whiteriver wäre, wo hinauf auch kleine Dampfer liefen.«
So mußte es auch sein; wahrscheinlich verkehrte er mit Batesville, jedenfalls auch eine bedeutende Stadt, wenn sie Dampfbootverbindung hatte. Viel Zeit zu weiteren Erkundigungen blieb ihr aber auch nicht mehr, denn »Billy Jones's« Mann hatte wieder eingespannt, Rosemores Platz noch vor Dunkelwerden
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