Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Gedanken hören, bitte, spielen Sie aus dem Stegreife.«

      Elisabeth setzte sich ohne Zögern nieder. Bald hatte sie in der That die Außenwelt vergessen. Ein Melodienreichtum quoll in ihr auf, der ihre Seele hoch emportrug. In solchen Momenten empfand sie stets beseligt, daß sie vor Tausenden anderer Sterblicher begnadigt sei, denn sie hatte die Macht, der leisesten Regung ihres Herzens Ausdruck verleihen zu können. Die Klarheit ihrer ganzen inneren Welt spiegelte sich in den Klängen wieder; nie noch hatte sie nach der verkörpernden Melodie ihre Empfindung suchen müssen, sie lag fertig in ihrem Innern, wie das Gefühl selbst … Heute aber mischte sich etwas in die Töne, was sie nicht begreifen konnte; es hatte durchaus keine eigene Stimme; sie hätte es um keinen Preis verfolgen und erfassen können, denn es flog nur wie ein neuer, unbekannter Hauch über die Tonwellen. Es war ihr, als wandelten Schmerz und Freude nicht mehr nebeneinander, sondern flössen in eins zusammen … Dies Suchen nach dem Wesen jenes unfaßbaren Klanges ließ sie aber immer tiefer in ihre Gefühlswelt hinabsteigen. Das ganze süße Geheimnis einer reinen, keuschen Mädchenseele entfaltete sich allmählich vor den Zuhörern, sie blickten in einen Wunderbrunnen, aus dessen Tiefe die äußere Erscheinung des jungen Mädchens doppelt verklärt wieder auftauchte, denn es war ja eine unlösbare Harmonie in ihrem äußeren und inneren Menschen.

      Der letzte leise Akkord war verklungen. An Helenes Wimpern hingen zwei schwere Thränen, die Blässe ihres Gesichts war fast geisterhaft geworden. Sie blickte nach ihrem Bruder, aber er hatte das Gesicht abgewendet und sah hinaus in der Garten. Als er sich endlich umdrehte, waren seine Züge ruhig wie immer, nur eine leichte Röte färbte seine Stirn, die Zigarre war seinen Fingern entglitten und lag auf dem Boden. Er sagte Elisabeth, die sich inzwischen erhoben hatte, nicht ein Wort über ihr Spiel. Helene, der das Schweigen sichtbar peinlich wurde, erschöpfte sich in Lobeserhebungen, um dem jungen Mädchen die Kälte und Indolenz ihres Bruders vergessen oder wenigstens weniger fühlbar zu machen.

      »War das wieder einmal genial!« rief sie. »Die Leute in B. hatten sicher keine Ahnung von dem goldenen Liederquell in Elschens Brust, sonst hätten sie wohl das liebe Mädchen nicht in die Thüringer Wälder auswandern lassen.«

      »Sie haben bis jetzt in B. gelebt?« fragte Herr von Walde, das Auge auf Elisabeth richtend; sie sah einen Augenblick hinein, das Eis war geschmolzen, ein seltsamer Schimmer tauchte dafür auf.

      »Ja,« antwortete sie einfach.

      »Aus einer großen, schönen Stadt, die alle erdenklichen Genüsse und Annehmlichkeiten bietet, plötzlich in den stillen Wald, auf einen einsamen Berg versetzt zu werden, das ist ein unliebsamer Tausch … Sie waren natürlich trostlos über diese Veränderung?«

      »Ich betrachtete sie als ein unverdientes Glück,« war die unbefangene Antwort.

      »Wie? … Sonderbar … Ich meine, man greift nicht nach der Distel, wenn man die Rose haben kann.«

      »Ueber Ihre Meinungen habe ich begreiflicherweise kein Urteil.«

      »Ganz recht, weil Sie mich nicht kennen … jene Ansicht ist jedoch eine ganz allgemeine.«

      »In ihrer Anwendung ist sie einseitig.«

      »Nun denn, ich will Ihre Geschmacksrichtung, mit der Sie unter Ihren Altersgenossinnen wohl schwerlich eine gleichgesinnt Seele finden dürften, nicht weiter anfechten … In Ihrem Interesse will ich jedoch glauben, daß es Ihnen nicht ebenso leicht geworden ist, Ihre Freunde zu verlassen.«

      »Sehr leicht sogar; denn – ich hatte keine.«

      »Ist das möglich?« rief Fräulein von Walde. »Sie hatten mit niemand Verkehr?«

      »O ja; aber das waren Leute, die mich bezahlten.«

      »Sie gaben Unterricht?« fragte Herr von Walde.

      »Ja.«

      »Aber hatten Sie nie das Bedürfnis, eine Freundin zu besitzen?« rief Helene lebhaft.

      »Niemals, denn ich habe eine Mutter,« erwiderte Elisabeth mit einem Tone tiefen Gefühls.

      »Glückliches Kind!« murmelte jene und senkte den Kopf.

      Elisabeth fühlte, daß sie hier eine wunde Stelle in Helenes Herzen berührt hatte. Es that ihr leid und sie wünschte lebhaft, den Eindruck zu verwischen. Herr von Walde schien diese Gedanken auf ihrem Gesicht zu lesen; denn ohne auf Helenes Verstimmung zu achten, frug er. »Und war es der Thüringer Wald ganz besonders, wo Sie zu leben wünschten?«

      »Ja.«

      »Und warum?«

      »Weil mir schon in meiner frühesten Kindheit erzählt wurde, daß wir aus den Thüringer Bergen stammen.«

      »Ah, aus dem Geschlechte der Gnadewitze?«

      »So hieß früher meine Mutter – ich bin eine Ferber,« antwortete Elisabeth bestimmt.

      »Sie sagen das mit einem solchen Nachdrucke, als ob Sie Gott dankten, daß Sie jenen Namen nicht zu führen brauchen?«

      »Ich bin auch froh darüber.«

      »Hm … er hat seiner Zeit bedeutenden Klang gehabt.«

      »Aber keinen reinen.«

      »Ei, was wollen Sie? … An allen Höfen hat er so gut gegolten wie unverfälschtes Gold; denn er war sehr alt, und vorzüglich die letzten seiner Träger sind deshalb stets mit den höchsten Würden überhäuft worden.«

      »Verzeihen Sie, aber dafür habe ich ganz und gar kein Verständnis, daß …« Sie hielt errötend inne.

      »Nun? … Sie haben den Satz angefangen, und ich bestehe darauf, auch sein Ende wissen zu wollen.«

      »Nun, daß Sünden belohnt werden, weil sie alt sind,« erwiderte sie zögernd.

      »Gemach, man sagt von mehreren Ahnen der Gnadewitze, daß sie sich tapfer und brav gezeigt haben.«

      »Das mag sein, aber es liegt auch ein Unrecht in dem Gedanken, daß dies Verdienst noch nach Jahrhunderten ausgebeutet werden darf von solchen, die nicht brav und tapfer sind.«

      »Sollen große Thaten nicht fortwirken?«

      »Gewiß, aber wenn wir es verschmähen, ihnen nachzueifern, dann sind wir auch nicht würdig, ihre guten Folgen zu genießen,« gab Elisabeth mit Entschiedenheit zur Antwort.

      Ein Wagen rollte donnernd in die Einfahrt. Herr von Walde runzelte die Stirn und strich mit der Hand über die Augen, als sei er unsanft aus einem Traume geweckt worden. Gleich darauf öffnete sich die Thür und die Baronin trat ein. Sie hatte gleich Bella, die heute mit dem Anstande einer erwachsenen jungen Dame neben der Mama herschritt, Hut und Mantille noch nicht abgelegt.

      »Da wären wir glücklich wieder! Ist das eine abscheuliche Luft heute! Ich habe es tausendmal bereut, mich hinaus gewagt zu haben, und werde wahrscheinlich für meine mütterliche Fürsorge mit einem tüchtigen Schnupfen büßen müssen … Bella möchte gern selbst sehen, wie es dir geht, liebe Helene; ich habe mir deshalb erlaubt, sie mit herein zu nehmen.«

      Die Kleine ging geraden Schrittes auf das Ruhebett los. Sie schien Elisabeth nicht zu bemerken, die dicht daneben saß, und streifte sie so hart, als sie sich bückte, um Helenes Hand zu küssen, daß ein Knopf

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