Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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ein angestrengter Bügeltag, wie sie an den Winterabenden in der kaltgewordenen Stube saßen und, die Feder zwischen ungelenken, todmüden Fingern haltend, in ihrem armen Kopfe einige Phrasen mühsam zusammensuchten. ›Ja, wenn der Herr Kandidat so gearbeitet hätte, wie ich heute den ganzen Tag,‹ flüsterte dann wohl auch hier und da eine mit scheuer Stimme, aber im tiefsten Grolle, ›da würde ihm das Schreiben wohl vergehen.‹«

      »Ja, das will ich auch meinen!« rief der Oberförster. »Nun sag’ mir einer, ob das nicht die abscheulichste Menschenschinderei ist, die man da unter dem Deckmantel eines gottgefälligen Strebens getrieben hat!«

      »Das Schlimmste dabei ist,« sagte Ferber, »daß der Mensch, wenn er nicht sittlich hoch steht, oder einen ganz besonderen Fond von Gutmütigkeit besitzt, nicht allein seinen Quälern, sondern zuletzt auch der Sache grollt, um derentwillen er leiden muß. So entfernt er sich innerlich immer weiter vom Glauben, während er nach außen das Gegenteil zeigen muß; denn sein Lebensunterhalt hängt von der Maske ab … das nenne ich Totschlag der Religiosität im Volke.«

      »Na, es ist gut, daß wenigstens zu uns endlich einer kam, der Kraft und Manneswillen genug hatte, zu gebieten: Bis hierher und nicht weiter! … Tausend noch einmal, das kam dahergebraust wie eine Sündflut!« sagte der Oberförster.

      »Herr von Walde besitzt aber auch eine Energie, eine moralische Kraft, wie selten ein Mensch,« erwiderte Miß Mertens lebhaft. »Er hat einen verschlossenen Mund, doch einen offenen Blick, und vor diesem Blick erschrickt die Angeberei, und Bosheit und Heuchelei verlieren Mut und Larve.«

      Mittlerweile hatte Reinhard das Gemäuer des alten verfallenen Schloßflügels aufmerksam betrachtet, der nach Süden hin den Garten begrenzte. Es war ein höchst unregelmäßiger Bau. Drei ungeheure Spitzbogenfenster von tadelloser Form erhoben sich ungefähr sechs Fuß über dem Boden und stiegen durch zwei Stockwerke in die Höhe. Dicht neben ihnen trat eine Art Erker weit in den Garten herein und bildete eine tiefe Ecke; eine mächtige Steineiche erhob sich zwischen den zwei Mauern und streckte einzelne Aeste durch die zwei nächsten, scheibenlosen Fenster in den kühlen, luftigen Raum hinein, der einst die Schloßkapelle vorgestellt hatte, und den man auf eine bedeutende Zuhörerschaft berechnet haben mußte, denn er nahm die ganze Tiefe des Flügels in Anspruch. Den genannten Fenstern lagen drei ganz gleiche gegenüber; sie waren Sturm und Wetter weniger preisgegeben und hatten oben in den feingemeißelten Steinrosetten einige bunte Glasstückchen bewahrt. Hinter ihnen erschien der düstere Hof mit seinen zusammensinkenden, gespenstigen Mauern wie ein in Grau gemaltes Bild. Die Gartenseite des Flügels sah buntscheckig genug aus. Die schrankenloseste Willkür hatte Fenster und Zierraten von allen Sorten zusammengewürfelt; diesem Aeußeren nach mußte das große Gebäude ein wahres Labyrinth von Gemächern, Gängen und Treppen in sich schließen. Der Erker war es zumeist, der den Bau gefahrdrohend erscheinen ließ. Er neigte sich bedenklich seitwärts und schien auf den Moment zu lauern, wo er das blühende Leben der Eiche unter seinen Steinmassen begraben würde. Er hatte sich übrigens kokett einen lebensfrischen Mantel über seine gebrechlichen Glieder gebreitet, ein undurchdringliches Epheugespinst umwob ihn vom Boden bis zu dem zerklüfteten Dachstuhle und ließ weder Fenster noch Risse und Sprünge in dem Mauerwerke sehen. Einzelne Ranken waren hinter der Eiche vorüber geschlüpft, sie kletterten an den gelockerten Mauersteinen der Hauptfronte in die Höhe und umarmten keck die allerorten angebrachten Steinwappen, die grämlich genug unter dem aufgedrungenen Schmucke hervorsahen.

      »Ich habe,« sagte Ferber, »bald nach meiner Hierherkunft gerade diesen Flügel, soweit es möglich, zu durchforschen gesucht, denn er interessiert mich seiner eigentümlichen Bauart wegen; allein ich kam nicht weiter, als in die Kapelle, und auch hier erschien mir das Verweilen gefährlich. Sie sehen, das ganze obere Stockwerk ist eingestürzt; die Wucht der Trümmer hat den Plafond der kleinen Kirche tief niedergesenkt, so daß man meint, er müsse bei der leisesten Luftschwingung herniederstürzen. Der Erker ist erst in den letzten Wochen so hinfällig geworden, und zwar infolge mehrerer Gewitterstürme. Er muß entfernt werden, weil uns sonst ein Teil des Gartens unzugänglich bleibt. Hätte ich Arbeiter bekommen können, so wäre er schon abgetragen.«

      Nach dieser Schilderung verspürte Reinhard, wie er sich ausdrückte, weiter keinen Appetit, in den Ruinen umherzuwandeln. Desto mehr interessierte ihn der Zwischenbau, und auf diese Aeußerung hin erhob sich Ferber, um seinen Gästen die Wohnung zu zeigen. Zuerst aber wurde der hinter ihnen liegende Damm bestiegen. Ferber war sehr geschickt und thätig, er benutzte jede freie Stunde zur Verschönerung seines neuen Besitztums. Die Stufen, die auf die Höhe des Dammes führten, hatte er eigenhändig ausgebessert, sie hoben sich jetzt weiß und glatt von der geschorenen Rasendecke ab, welche duftig grün die Schrägseite des Erdaufwurfes bedeckte. Droben das ziemlich breite Plateau war mit frischem Kiese bestreut, und in der Mitte desselben, dicht an dem Gezweige der Linden, die sich unten über dem Bassin wölbten, stand eine Gruppe selbstgezimmerter weißer Gartenmöbel.

      Während die Gesellschaft an der Brüstung lehnte und den sehr beschränkten, aber lieblichen Blick über den hier ziemlich steil abfallenden Berg hinweg in das Thal genoß, erzählte Elisabeth die Geschichte von Sabines Urahne; denn ohne Zweifel war der Damm der Schauplatz des Ereignisses gewesen.

      »Brr!« sagte Reinhard, sich schüttelnd. »Ich danke für einen solchen Luftsprung. Die Mauer ist hoch, und wenn ich mir da, wo jetzt die grüne Moosdecke liegt, das trübe, schlammige Wasser eines Schloßgrabens voller Frösche und Kröten denke, da ist mir der Entschluß, hinabzuspringen, geradezu unfaßlich.«

      »Nun,« sagte Miß Mertens, »die Verzweiflung hat manchen auf noch gräßlichere Weise den Tod suchen lassen.«

      In dem Augenblicke war es Elisabeth, als hafte auf ihrem Gesichte abermals der Blick voll Glut und Leidenschaft, mit welchem Hollfeld gestern auf sie zugeeilt war … sie gedachte des Abscheues, den sie bei seiner Berührung empfunden hatte, und meinte innerlich, es sei nicht so schwer, sich in den Zustand der Verfolgten zu denken.

      »Na, Kind,« weckte sie der Onkel aus ihrem Nachsinnen, »willst du da drunten das Gras wachsen hören, weil du so lautlos stehen bleibst!«

      Vor seinen klaren Augen und der kräftigen, biederen Stimme verflog im Nu das Grauen. »Nein, Onkel,« entgegnete sie lachend, »den Versuch will ich doch lieber bleiben lassen, wenn ich mir auch einbilde, für das Leben und Weben in der Natur ganz besondere Augen und Ohren zu haben.«

      Er nahm sie bei der Hand und führte sie den anderen nach, die eben das Haus betraten. Oben an der Treppe kam Bella auf Miß Mertens zugelaufen; sie hatte in der einen Hand verschiedene Bilderbücher, und mit der anderen zog sie ihre Gouvernante in Elisabeths Zimmer.

      »Denken Sie sich, Miß Mertens, hier oben sieht man doch unser Schloß!« rief sie. Der Begriff vom Eigentumsrechte in dieser Richtung hin saß fest in ihrem Köpfchen; kein Wunder, die Art und Weise, wie die Mama das Zepter bisher geführt hatte, ließen ja selbst die Erwachsenen nicht im Zweifel, daß sie sich als die unumschränkte Herrin in Lindhof ansehe. »Sehen Sie dort unten den Weg?« fuhr Bella lebhaft fort, »da ist eben Onkel Rudolf vorübergeritten. Er hat mich erkannt und mir mit der Hand zugewinkt; die Mama wird froh sein, daß er wieder gut mit mir ist.«

      Miß Mertens ermahnte sie, nun aber auch hübsch artig zu bleiben, jetzt aber Hut und Mantel zu holen, denn es sei Zeit aufzubrechen.

      Elisabeth und Ernst begleiteten sie bis an den Park.

      »Wir haben uns zu lange aufgehalten,« bemerkte Miß Mertens mit besorgtem Gesichte, als sie am Mauerpförtchen von Ferbers Abschied genommen hatte und heraus auf die Waldblöße trat. »Ich mache mich für heute noch auf Sturm und böses Wetter gefaßt.«

      »Sie meinen, die Baronin werde ungehalten sein über Ihr langes Ausbleiben?«

      »Ohne Zweifel.«

      »Nun,

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