Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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      Seit einer Woche ging sie täglich hinunter ins Schloß. Fräulein von Walde hatte sich merkwürdig schnell erholt seit jenem Nachmittage, wo sie, wie die Baronin zärtlich betonte, Heilung in dem von ihr eigenhändig bereiteten Kaffee gefunden hatte, und wo Herr von Hollfeld angekommen war. Sie übte aus allen Kräften einige vierhändige Musikstücke und vertraute Elisabeth endlich an, daß in die letzten Tage des August das Geburtsfest ihres Bruders falle; sie wolle dasselbe diesmal ganz besonders verherrlichen, weil sie mit ihm die glückliche Rückkehr des Vielgereisten zu feiern gedenke. An diesem Tage sollte er sie zum erstenmal nach langer Zeit wieder spielen hören; sie wußte, daß sie ihn damit freudig überraschen würde.

      Elisabeth sah diesen Uebungsstunden stets mit einem Gemisch von Freude, Angst und Widerwillen entgegen … Sie wußte selbst nicht warum, aber Schloß und Park waren ihr plötzlich lieb und vertraut geworden; ja, sie fühlte sogar für jene Bank, auf der sie mit Herrn von Walde gesessen hatte, eine Art zärtlicher Zuneigung, wie für einen alten Freund, so daß sie stets, um an derselben vorüberzukommen, einen kleinen Umweg machte … Angst und Widerwillen dagegen flößte ihr Herrn von Hollfelds Benehmen ein. Nachdem sie einigemal seine Versuche, ihr in den Weg zu treten, durch schleuniges Ausweichen vereitelt hatte, kam er eines Tages ohne weiteres auf Fräulein von Waldes Zimmer und bat um die Erlaubnis, der Stunde beiwohnen zu dürfen. Zu Elisabeths Schrecken versicherte ihm Helene mit freudestrahlenden Augen, sie heiße ihn doppelt willkommen … Er erschien nun beharrlich jedesmal, legte stillschweigend bei seinem Kommen einige frischgepflückte Blumen vor Helene auf das Klavier nieder, infolgedessen sie konsequent verschiedene falsche Akkorde griff, und setzte sich in eine Fensterecke, von wo aus er den Spielenden gerade in das Gesicht sehen konnte. Er hielt, solange musiziert wurde, die Hand über die Augen, als wolle er sich gänzlich den Eindrücken der Außenwelt entziehen, um im Reiche der Töne zu versinken. Elisabeth bemerkte jedoch sehr bald zu ihrem Verdrusse, daß er sein Gesicht nur so weit bedecke, als er von Helene gesehen werden konnte; hinter der vorgehaltenen Hand starrte er unausgesetzt zu ihr selbst hinüber und verfolgte jede ihrer Bewegungen. Sie erbebte unter diesen Augen, die, sonst so nichtssagend und leer, ihr gegenüber stets in einem eigentümlichen Feuer aufglühten, so daß sie oft die größte Selbstbeherrschung nötig hatte, um unbeirrt weiter zu spielen.

      Helene hatte augenscheinlich keine Ahnung von der Hinterlist, mit welcher Hollfeld seinen Zweck zu erreichen suchte. Sie machte öftere Pausen und unterhielt sich lebhaft mit ihm, das heißt sie sprach dann fast immer allein und meist sehr hübsch. Jede seiner einsilbigen Antworten, so banal und gewöhnlich wie sie waren, nahm sie auf wie eine Gunst, wie einen Orakelspruch, dessen Sinn man stets tiefer zu suchen habe.

      Wenige Minuten vor dem Schlusse der Stunden entfernte er sich stets. Gleich das erste Mal jedoch hatte ihn Elisabeth beim Nachhausegehen bemerkt, und zwar durch eines der Korridorfenster im ersten Stocke, von wo aus man einen bedeutenden Teil des Parkes überblicken konnte, wie er wartend vor dem Waldwege auf und ab ging, den sie passieren mußte. Sie durchkreuzte seinen Plan, nicht ohne heimliches Lachen, indem sie Miß Mertens besuchte, und sich über eine Stunde bei ihr aufhielt. Dort wurde sie stets mit offenen Armen aufgenommen und gewann die Gouvernante allmählich so lieb, daß sie zuletzt gar nicht mehr an deren Thür vorbeigehen mochte, ohne auf ein Plauderstündchen einzukehren.

      Miß Mertens war meist traurig und niedergeschlagen. Sie fühlte, daß ihr Bleiben in Lindhof immer unmöglicher wurde. Die Baronin, ihrer Herrschermacht und der damit verknüpften Thätigkeit plötzlich enthoben, langweilte sich jetzt öfter bis zum Sterben. Ihren Verwandten gegenüber mußte sie die Maske der Harmlosigkeit und Zufriedenheit vornehmen, was ihr wohl herzlich sauer werden mochte, sie war also gezwungen, ihre üble Laune hinter den verschlossenen Thüren ihrer Appartements zu lassen, dort aber wurde sie nachgerade unerträglich; nicht für Bella, denn dem Kinde gegenüber, in welchem sie bereits mehr die geborene Baronesse, als ihre Tochter sah, ließ sich die Dame nie zu Ausschreitungen hinreißen; vor ihrer alten Kammerfrau aber hatte sie, man wußte nicht warum, »einen heillosen Respekt«, wie der Hausverwalter Lorenz sich ausdrückte, und der niederen Dienerschaft durfte sie nicht zu nahe treten, ohne den Herrn des Hauses heranzufordern; mithin wurde all der verbissene Groll gegen die unglückliche, wehrlose Gouvernante geschleudert.

      Um ihr Opfer recht gründlich zu quälen, befahl die Dame, daß die Unterrichtsstunden von nun an unter ihrer höchsteigenen Aufsicht stattfinden sollten. In Gegenwart der Schülerin wurde die Methode der Lehrerin vom ersten Momente an unausgesetzt getadelt. Man wunderte sich jetzt durchaus nicht mehr, daß das Kind bei dem Unterricht nicht vorwärts komme, auch mußten ja die Nerven der Kleinen in steter Aufregung sein, denn Miß Mertens hatte beim Dozieren die widerlichste Stimme von der Welt; und wie sollte Bella jemals graziös werden, wenn sie immer die eckigen Bewegungen vor Augen haben mußte, mit denen ihre Gouvernante das Buch hielt, die Blätter umwendete u. s. w.? In der Geschichte zeigte Miß Mertens hier zu sentimentale, dort fast lächerlich spießbürgerliche Anschauungen und war bisweilen sogar so maßlos unverschämt, eine freie Ansicht zu haben. In solchen Fällen wurde die Stunde förmlich unterbrochen; die Frau Baronin setzte sich auf den Lehrstuhl, und die Gouvernante mußte eine mit Hohn, aristokratischem Hochmut und Bosheit gesättigte Vorlesung in Devotion anhören. Fühlte sich die Dame nicht sattelfest genug, so wurde Herr Kandidat Möhring zu diesem Gerichte herbeigerufen. Die Nadelstiche ihrer eigenen Vorträge aber verschwanden neben dieser Grausamkeit, die alle bisher unterdrückten Predigten, alle heimlich verschluckte Galle des vermeintlichen Märtyrers in einem unabsehbaren Redestrome auf die bedauernswürdige Gouvernante herabbeschwor. Die Baronin wußte, daß der Kandidat ein abscheuliches Französisch sprach; gleichwohl wurde er gebeten, solange er noch im Schlosse Lindhof sei, den Sprachstunden beizuwohnen, um die Aussprache der Lehrerin zu korrigieren … Wie Bella dabei fuhr, das kam bei solchen Anwandlungen von Bosheit nicht in Betracht.

      Gar oft sagte Miß Mertens unter Thränen, nur die Liebe zu ihrer alten alleinstehenden Mutter bewege sie immer wieder, diesen Martern sich zu unterwerfen. Die alte Frau lebe fast nur von dem, was ihr die Tochter schicke, deshalb sei sie gezwungen, ein öfteres Wechseln der Stellung, der pekuniären Verluste wegen, zu vermeiden … So betrübt sie nun aber auch meist war, ihre sanften Züge hellten sich ganz gewiß auf, wenn Elisabeth den Kopf durch die Thür steckte und mit ihrer fröhlich frischen Stimme hereinrief, ob sie kommen dürfe. Mit dem Eintritte des jungen Mädchens flohen die Bekümmernisse und Sorgen, und wenn sie auf dem kleinen Sofa am Fenster dicht nebeneinander saßen, so fand ein Gedankenaustausch zwischen den beiden statt, bei dem die Gouvernante sich in die eigene Jugend zurückversetzt fühlte, und Elisabeth manchen Schatz hob aus den reichen Kenntnissen und Lebenserfahrungen der älteren Freundin.

      Diese kleinen Nachmittagsbesuche hatten aber auch noch einen geheimen Reiz für das junge Mädchen, den sie sich aber um alles in der Welt nicht eingestand, obgleich sie infolge desselben schon vor der Thür ein starkes Herzklopfen zu bekämpfen hatte und ein unerklärliches Gemisch von Freude und Bangen empfand.

      Die Fenster von Miß Mertens’ Wohnung sahen in einen großen Hofraum, den Elisabeth den Klostergarten zu nennen pflegte, denn er lag so still und abgeschieden zwischen den vier hohen Mauern. Einige breitästige Linden warfen eine grüne Dämmerung auf die saftigen Rasenplätze, die nur hier und da ein gepflasterter Weg durchschnitt. Inmitten des Hofes befand sich ein Brunnen, der das Haus mit einem köstlichen Wasser versorgte; auf dem Rande des mächtigen Bassins ruhten die weißen Glieder einiger Sandsteinfiguren, umhaucht von dem grünen Lichte der Wipfel droben. Wenn draußen aus den Bosketts und Kieswegen die Nachmittagssonne glühend und träge lastete, wie flüssiges Blei, dann wehte hier unter den Bäumen eine erfrischende Kühle. Eine Thür im Erdgeschosse, die unmittelbar aus dem Arbeitskabinett des Herrn von Walde in den Hof führte, stand deshalb auch meist offen. Er selbst trat dann und wann heraus und schritt mit gekreuzten Armen auf und ab … Welcher Gedankenstrom mochte dann wohl hinter der schönen, bleichen Stirn fluten, wenn er, eine Zeitlang gesenkten Hauptes dahinwandelnd, plötzlich sich aufrichtete, wie aus einem lieblichen Traume aufgeschreckt? Miß Mertens sagte öfter, sie finde, daß er sehr verändert zurückgekehrt sei.

      Vor seiner Reise, erzählte

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