DIE LETZTE FIREWALL. William Hertling

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DIE LETZTE FIREWALL - William Hertling Singularity

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stolperte eine Schotterstraße hinunter, die Cash-Karten fest in ihrer Faust. Sie hatte ihrer Mutter im Krankenhaus am Tag vor ihrem Tode versprochen, anständig zu bleiben. Sie hatte es wirklich versucht in einer Welt, in der keiner so recht wusste, was er mit sich anfangen sollte. Aber sie hatte sich trotzdem bemüht, ihr Versprechen zu halten. Doch innerhalb von 24 Stunden war ihr ganzes Leben komplett aus den Fugen geraten. Sie hatte drei Männer getötet und jetzt beklaute sie einen kleinen Ladenbesitzer. Sie kämpfte gegen den Brechreiz. Ihr Reptilienhirn trieb sie zur Flucht. Sie schaffte es noch 500 Meter weiter und sank dann schluchzend neben einem der Gebäude zu Boden.

      In fötaler Haltung lag sie im Dreck und fühlte sich, als ob man ihr die Zukunft geraubt hätte. Sie hätte noch ewig so liegen können, aber ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen und überzeugte sie davon, dass die aktuelle Not wichtiger war als Gedanken an die Zukunft. Der Hunger zeichnete ein grimmiges Lächeln auf ihr Gesicht. Sie würde sich Essen besorgen. Wenigstens das würde sie hinkriegen. Sie raffte sich auf, steckte die hart verdienten Cash-Karten in die Tasche ihrer Jeans und ging die Straße hinunter, um ein anderes Geschäft zu finden.

      Kapitel 11

      Leon fuhr mit der U-Bahn zu seinem Treffen mit Mike. Er versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was er über die Morde wusste, aber er war zu abgelenkt von den Protestlern, die den Waggon füllten. Sie wirkten agitiert und hielten ihre Tafeln und Schilder mit sichtlicher Anspannung hoch. Ein Mann im Anzug stand direkt vor Leon, gestikulierte mit den Händen. Auch er war einer von ihnen, er trug eine Anstecknadel, auf der stand: ›Jobs sind für Menschen da.‹ Leon starrte zur Wand und versuchte nichts zu tun, was ihre Aufmerksamkeit erregen könnte. Er erinnerte sich an Präsidentin Smiths Worte vor ein paar Tagen: »Die Anti-KI-Bewegung sieht dich und Mike als die Erfinder der KIs und damit als Grund für Arbeitslosigkeit und jedes denkbare soziale Problem, vom Drogenmissbrauch bis hin zu Kleinkriminalität. Für diese Leute seid ihr Staatsfeind Nummer Eins und Zwei.«

      Als die U-Bahn die nächste Haltestelle erreichte, drängten die Demonstranten zur Tür und verließen den Wagen zuerst. Leon folgte ihnen zögernd. Es machte ihn nervös, dass sie die Bahn an derselben Station verließen wie er.

      Er stieg die Treppen hinauf und fand sich oben auf der Straße in einer noch größeren Menschenmenge wieder. Ein Mädchen im Kapuzen-Shirt rannte in ihn hinein, traf ihn fast mit ihrem Schild. Ein Armeeveteran in Uniform stapfte brüllend vorbei. Der Strom von Demonstranten aus der U-Bahn wurde lauter und unruhiger, als sie sich mit Gleichgesinnten auf der Straße trafen und in deren Sprechchöre einstimmten und neue Parolen zu skandieren begannen.

      Es waren noch sechs Straßen bis zum Institut und als Leon drei Kreuzungen hinter sich gebracht hatte, war die Menge so dicht geworden, dass er kaum noch vorankam. Er drängte sich an einer Gruppe älterer Frauen vorbei, die im Alter seiner Mutter waren. Sie hätten Freundinnen von ihr sein können.

      Viele von ihnen kamen offensichtlich von außerhalb, hatten Gepäck und Schlafsäcke dabei. Er schüttelte frustriert den Kopf. Das war nicht nur ein lokaler Protest und er würde auch nicht über Nacht verschwinden, wenn die Leute aus dem Umland angereist waren.

      Inmitten der Sprechchöre und des Drucks der Menge sprang er auf die Stoßstange eines Autos und spähte zum Institut hinüber. Eine Absperrung aus humanen und robotischen Polizisten umgab das Gebäude.

      Leon hüpfte wieder herunter und holte sich einen Livebericht eines Bloggers über die Demo aus dem Netz. Er sah ihn sich an, während er durch eine kleine Seitenstraße ging, auf dem Weg zur nächsten Kreuzung. Das Institut teilte sich den Block mit einem anderen Universitätsgebäude, in dem der Fachbereich ›Internationale Beziehungen‹ untergebracht war. Ein gemeinsamer Innenhof, von der Straße nicht einsehbar, verband die beiden.

      An der nächsten Kreuzung war die Menge weniger dicht, aber es gab einen stetigen Zustrom neuer Unterstützer. Der Livebericht in seinem Augenwinkel zeigte Demonstranten, die gegen die Polizeiabsperrung anliefen. Im Stream konnte er auch die Sicherheitsmitarbeiter des Instituts hinter der Glastür des Gebäudes erkennen. Die beiden dünnen Verteidigungslinien wirkten dürftig gegenüber der rasch anwachsenden Menschenmenge.

      Leon hatte ernste Zweifel, ob er wirklich zur Arbeit gehen sollte. Er schickte ein Ping an Mike, um dessen Standort zu erfahren, erhielt aber keine Antwort. Er versuchte es über die lokalen Netzwerkknoten, aber sie waren träge, von der Flut der Menschen überfordert. Selbst der Live-Stream büßte bereits an Qualität ein. Er hielt für einen Augenblick an und entschied, dass es verrückt wäre weiterzugehen. Er würde stattdessen versuchen, Mike von zuhause aus zu erreichen. Er wandte sich um, blieb aber abrupt stehen und kämpfte gegen den Drang an, vor den Hunderten von entgegenkommenden Menschen davonzulaufen und sich irgendwo zu verstecken. Würden die Leute ihn erkennen? Rebecca schien es zu glauben. Er konnte nicht einfach durch die Menge spazieren. Wenn auch nur einer ihn erkennen würde, würden sie ihn angreifen.

      Widerwillig kehrte Leon um und ging auf das Institut zu. Es schien ihm die weniger riskante Option. Er kämpfte sich nach vorne, hielt sein Gesicht in dieselbe Blickrichtung wie die Menge. Wenigstens war das Foto von ihm, das sie ins Netz gestellt hatten, ein über drei Jahre alter Schnappschuss. Er sah jetzt anders aus oder er hoffte es zumindest. Schließlich erreichte er das Gebäude für ›Internationale Beziehungen‹ und ging zur Eingangstür. Die Sicherheitskräfte waren verdoppelt worden und die Polizei stand bereit, um sie zu unterstützen.

      Er zeigte seine ID und ließ sie sein Neuralimplantat scannen, dann überprüfte die Wache seine Tasche. »Es wird nicht lange dauern, bis die Menge herausfindet, dass man hier durchschlüpfen kann.« Er gab ihm seine Tasche zurück. »Sie wollen sicher nicht den ganzen Tag da drin verbringen.«

      Leon nickte und eilte durch das Gebäude auf den Innenhof zu. Er überquerte den Platz, eine einfache Betonfläche mit ein paar Bäumen in Pflanzkübeln. Von draußen konnte er immer noch die Sprechchöre der Menge hören.

      An die Hintertür zeigte er mental seine ID und betrat das ruhige Innere des Instituts. Wenigstens hier, auf der Rückseite des Gebäudes, konnte er die Demonstranten kaum hören.

      Zwei Sicherheitsmitarbeiter und ein Polizist warteten an der Tür. Sie wiederholten den ID-Scan und untersuchten erneut seine Tasche.

      »Sie wissen schon, dass sie da draußen auch ihren Namen rufen?«, fragte ihn eine der Wachen.

      »Ja, das weiß ich«, seufzte Leon. Was brachte die Menschen nur zu so einem Wahnsinn?

      »Sie können reingehen, aber es wird erwartet, dass die Menge weiter anwächst. Und irgendwann werden sie dann den Hintereingang entdecken.«

      Er nickte wieder, schnappte sich seine Tasche und rannte die Treppe hinauf, platzte ins Hauptbüro hinein. Dort befanden sich höchstens ein Viertel der Leute, die man normalerweise dort antraf. Sie hatten sich in der Mitte des Raumes versammelt.

      Er wurde von einer bedeutsamen Stille empfangen statt mit den üblichen freundlichen Begrüßungen. Nicht eine einzige ›Hallo‹-Blase erschien in seinem Gesichtsfeld. Nach ein paar Sekunden kam ein Forscher aus der Gruppe auf ihn zu. Leon erinnerte sich, dass er aus der Abteilung für Schulpädagogik kam. Schnell zog er sich seinen Infobogen aus dem Netz. Der Name des Mannes war Miles.

      »Was wollen Sie dagegen tun?«, verlangte Miles von ihm zu wissen.

      Leon sah alle an und dachte einen Augenblick nach. Er mochte technische Probleme, keine menschlichen Probleme.

      »Geht alle nach Hause. Benutzt dabei das Gebäude für ›Internationale Beziehungen‹, bevor die Menge noch größer wird. Geht in Zweier- oder Dreiergruppen raus. Und kommt keinesfalls zurück,

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