Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt. Ulrike Schmitzer
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Wir hatten ein paar Startschwierigkeiten.
Startschwierigkeiten ist gut, sagte ich.
Es gibt Wasser auf dem Mars. Das war die Initialzündung für unser Projekt. Ohne Wasser wäre kein Leben auf dem Roten Planeten möglich.
Das ist sehr interessant, sagte ich mit übertrieben gespielter Langeweile.
Sie werden zu den ersten Siedlern auf dem Roten Planeten gehören, sagte er stolz.
Sie sagen das so bestimmt, sagte ich etwas irritiert.
Weil Sie keine Wahl haben, sagte er.
Und ob ich die habe, sagte ich. Ich stand auf und ging grußlos. Ich wusste damals schon, dass er recht hatte.
Hier, sagte er und deutete mit dem Zeigefinger auf die rechte Ecke des Vertrags. Und hier unterschreiben, sagte er und blätterte das dicke Konvolut bis ganz ans Ende durch. Auf der letzten Seite noch eine Unterschrift. So, sagte er, und dasselbe jetzt noch einmal. Als ich alles unterschrieben hatte, riss er mir den Vertrag unter der Hand weg. Ihre Kopie wird in Ihrem Safefach sicher verwahrt, sagte er. Er grinste. Mir kam es vor, als hätte ich soeben mein Todesurteil unterschrieben. Hatte ich im Grunde genommen auch. Ich würde sterben, um unsterblich zu werden. Ich würde Teil einer Gründungsgeschichte, eines Menschheitsmythos’ werden. Der Preis, den ich dafür zahlen würde, war hoch. Oder nicht? Was, wenn ich morgen einfach tot umfalle? Dann sterbe ich, ohne je etwas Großes gemacht zu haben. Ich könnte in die Wissenschaftsgeschichte eingehen. In einer Reihe stehen mit Walentina Tereschkowa, der ersten Frau im Weltall. Mein Leben wäre nicht umsonst gewesen. Vielleicht haben sie bis zu meinem Start einen wirksamen Strahlenschutz erfunden, vielleicht werde ich nicht an Krebs sterben und noch viele Jahre auf dem Mars leben können?
Leben Sie Ihr Leben, bis wir Sie holen, sagte er. Leben Sie einfach wie immer weiter. Vielleicht holen wir Sie ja nie. Nicht alle Schläfer werden zum Team gehören.
O.k., sagte ich. Das war vor zehn Jahren. Ich habe versucht, mein Leben zu leben. Doch wie kann ich eine Beziehung eingehen, die jederzeit abgebrochen werden kann? Wie kann ich ein Kind bekommen, wenn ich vielleicht bald weg muss? Sie leben ein sehr einsames, einfaches Leben. Das verringert Ihre Punktezahl, sagte er. Da sind andere sozial bessergestellt als Sie, sagte er. Da müssen Sie was tun, sonst fallen Sie zu weit zurück. Wir können doch nur sozial erfolgreiche Menschen auf dem Mars brauchen, sagte er. Sie haben die Anlagen dazu, sonst hätten wir Sie nicht ausgewählt. Aber Sie müssen auch was dafür tun, sagte er. Strengen Sie sich ein bisschen an, sagte er und klopfte mir ermutigend auf die Schulter. Er berührte mich sonst nie.
Sie sind eine hervorragende Wissenschaftlerin. Wir brauchen Ihre Expertise da oben. Denken Sie daran, sagte er.
Ich nickte nur, sah ihn zur Strafe aber nicht an. Ich halte diese Einsamkeit hier nicht mehr aus. Mein Leben ist eine einzige Isolationsstudie.
Wieder ein Test. Transhab, der Prototyp eines aufblasbaren Habitats. Es verändert sich nach Ihren Wünschen, wir müssen dafür Ihre Gehirnströme messen. Wenn Sie viel Platz brauchen, macht es Fläche frei, wenn Sie es lieber gemütlich haben wollen, zieht es sich zusammen. Wenn Sie Anregung brauchen und Kommunikation, ergreift Transhab die Initiative. Wir brauchen doch keine Depressiven da oben, nicht wahr, sagt er.
Das ist Constance, sagt er. Die Konstrukteurin. Sie werden von ihr noch eingewiesen. Eine viel beschäftigte Frau, sagt er. Eine Ehre, dass sie sich extra Zeit für Sie nimmt.
Aha, sage ich. Danke. Und danke, dass ich mir so viel Zeit nehmen darf, denke ich.
Ihr Vater, sagt er.
Was ist mit meinem Vater, frage ich.
Falls Sie noch Zweifel haben sollten, sagt er.
Sollte ich denn Zweifel haben, frage ich ihn.
Keineswegs, sagt er. Aber mir kam nur zu Ohren, dass Sie sich nicht voll in die Versuchsreihe einbringen.
Doch, ich bin hochmotiviert, sage ich. Aber was hat das mit meinem Vater zu tun?
Ihm soll doch die beste Pflege angedeihen, sagt er.
Angedeihen, sagt er. Was haben Sie denn mit meinem Vater zu tun, frage ich. Mein Vater wartet seit Monaten auf einen freien Platz in diesem speziellen Pflegeheim. Mir wurde nur gesagt, die Warteliste sei unglaublich lang.
Wartelisten sind kein Gesetzbuch, sagt er. Wir unterstützen Sie, wo es nur geht. Das sollten Sie nicht als selbstverständlich ansehen.
Das tu ich nicht, sage ich unterwürfig.
Na also, sagt er. Dann strengen Sie sich für uns alle ein bisschen mehr an.
Im Schlaflabor. Endlich eine angenehme Aufgabe.
In den nächsten Tagen, sagt er, ist Ihre einzige Aufgabe, sich hier zu entspannen. Schön, sage ich. Ich will motiviert erscheinen.
Auf dem Mond wäre der Rhythmus ein Problem: Dort ist es 14 Tage hell und 14 Tage Nacht. Aber auf dem Mars werden wir einen 24-Stunden-Rhythmus haben. Wenn ich aus dem Fenster sehen werde, werde ich zwei Monde sehen: Phobos und Deimos. Es ist nur ein winziges Detail, aber genau darauf freue ich mich schon.
Worum geht’s denn, frage ich ihn.
Wenn wir Ihnen das verraten, hat das Experiment keinen Sinn mehr, sagt er.
Drei Tage, frage ich.
Drei Tage, sagt er.
Mit Schrecken denke ich an die Bettruhe-Studie zurück. Drei Monate habe ich im Bett ausharren müssen. Mit Ihrem Arbeitgeber ist alles geklärt, hat er gesagt. Sie sind bei einer Studie unabkömmlich.
Stimmt ja auch, habe ich geantwortet.
Erst kommt der Schmerz in den Beinen, dann im Kreuz, dann schmerzen sogar die Haare, die ständig auf dem Polster aufliegen. Vierundzwanzig Stunden allein in einem kleinen Raum. Die Tür zum Gang offen. Gott sei Dank. Hektische Betriebsamkeit am Gang. Die Masseurin. Der Mann mit den Zeitungen und Büchern. Die Ärzte. Blutdruck, Fettgehalt, Zucker, Urin, alles automatisch, Datenleitung direkt ins Chefarztzimmer. Der Psychologe. Die Krankenschwester mit dem Essen, dem frischen Jogginganzug. Die Körperpflegerin. Die Fitnesstrainerin. Meine Übungen. Jeden Tag genau nach Plan. Geht es darum zu sehen, ob ich durchhalte? Ob ich durchdrehe? Ob ich hysterisch werde? Oder geht es darum, wie sehr mein Körper abbaut?
Im Bett. Das ist die einzige Möglichkeit für uns auf Erden, sagte er, dauerhaft Schwerelosigkeit zu simulieren. Am Anfang muss man sich ständig gegen den Drang wehren, sich aufzusetzen. Der Körper schreit danach, sich aufrichten zu dürfen. Nach ein paar Wochen hat er aufgegeben, zieht nicht mehr nach oben, drückt schwer ins Bett. Was habe ich mir alles vorgenommen. Drei Monate! Was man da alles erledigen kann. Ich habe