Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
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Ob Constantin wirklich eine Vorliebe für die Barbaren hatte, und in welchem Sinne, bleibt unentschieden. Er wurde angeklagt, zuerst von allen Kaisern Barbaren zu Konsuln gemacht zu haben806, allein dies lässt sich nicht näher belegen. In den Verzeichnissen der Konsuln aus seiner Zeit findet man – mit Ausnahme der öfter eintretenden kaiserlichen Personen – fast lauter Stadtrömer vornehmen Standes. Andere Staatswürden gab er allerdings auch an Barbaren, und es mögen dieses kaum seine schlechtesten Ernennungen gewesen sein. Gefangene barbarische Soldaten seiner Gegner hat er auf dem Schlachtfelde zu Tausenden seinen eigenen siegreichen Leuten mit Geld abgekauft807. Es ist denkbar, dass er der grossen Möglichkeit, das menschenleere römische Reich mit Barbaren zu füllen, ja sie zur herrschenden Kaste zu machen und dennoch das Imperium oben zu halten, mutig ins Angesicht geblickt habe, nur sind deutliche Aussagen hierüber nicht zu verlangen. – Die stärkste Negation des eigentlich römischen Wesens lag aber nicht in diesem Verhalten gegen die Unrömischen, sondern in der Gründung der »Neuen Roma« am Bosporus. Von dieser muss nunmehr die Rede sein.
Welchen Sinn konnte die Gründung einer neuen Hauptstadt unter jenen Umständen haben?
Der blosse Residenzwechsel des Fürsten kam hier nicht sehr in Betracht. Es liess sich voraussehen, dass der Aufenthaltsort der Kaiser sich noch oft und auf lange Zeit nach dem Kriegszustande an den verschiedenen Grenzen werde richten müssen. Wenn auch unter Constantin selber im ganzen eine merkwürdige Waffenruhe herrschte, so haben doch die folgenden Kaiser des vierten Jahrhunderts die neue Hauptstadt und ihre Herrlichkeiten in der Tat nur wenig geniessen können. Ein blosser Residenzwechsel hätte auch einen ganz andern Charakter gehabt; Constantin hätte etwa in Byzanz, wie Diocletian in Nikomedien808, einen neuen Palast gebaut, die Stadt verschönert, auch je nach Umständen stark befestigt und es seinen Nachfolgern überlassen, anderwärts etwas Ähnliches zu versuchen. Der grösste Gewinn bestand für diesen Fall in der militärischen Sicherheit der Zentralregierung durch die unvergleichliche Lage der Stadt.
Die ganze Frage über die Wahl des Ortes wird aber ausserordentlich erschwert durch unsere Ungewissheit über Constantins letzte politische Pläne. Er vergiesst Ströme von Blut für Herstellung der Reichseinheit und macht dann doch eine ganz rätselhafte Teilung. War sein Beschluss hierüber schon gefasst, als er die neue Hauptstadt gründete? – Man wird es nie ermitteln können. Der Herr der Welt war nicht imstande, das Schicksal seiner Dynastie zu leiten und zu sichern, schon weil sie ein entsetzliches Geschlecht war. Er musste es darauf ankommen lassen, welchem Erben einst das Reich und die Constantinopolis schliesslich anheimfallen würden.
Die geographischen Gründe, welche man sonst geltend macht, dürfen wenigstens nicht überschätzt werden. Byzanz lag allerdings den am meisten bedrohten Grenzen viel näher als Rom; die Donau- und Pontusgoten und die Perser konnte man von hier aus weit besser beobachten. Allein mit den Franken und Alamannen war es trotz aller Siege noch nicht so zu Ende, dass die so weit entlegene Rheingrenze als unbedingt gesichert hätte gelten können. Ausserdem ist es noch eine Frage, ob die Hauptstadt vorzugsweise in eine der am meisten gefährdeten Gegenden des Reiches gehörte, wo noch vor wenigen Jahrzehnten gotische Raubflotten ihr Wesen getrieben hatten. Diesmal erhielt sie freilich eine solche Befestigung, dass neun Jahrhunderte hindurch alle Völkerstürme vergebens an ihre Mauern prallten.
Byzanz hatte aber noch eine ganz andere geographische Bedeutung als bloss die eines uneinnehmbar festen Waffenplatzes. Erinnern wir uns, welche Rolle das sogenannte illyrische Dreieck, das heisst die Ländermasse zwischen dem Schwarzen, Ägäischen und Adriatischen Meer im dritten Jahrhundert gespielt hatte; seine Feldherrn und Soldaten, darunter die constantinische Familie selber, hatten das Reich gerettet und beherrscht; es durfte nun die Residenz für sich verlangen, und so ist die Constantinopolis zunächst der Ausdruck und die Ehrenkrone von Illyricum. Eine Aussage des Zonaras berechtigt zu dieser Vermutung; Constantin soll nämlich anfangs sogar an eine Stadt des tiefen Binnenlandes, Sardica (das jetzige Sofia in Bulgarien) gedacht haben809, wobei ihn offenbar nur die Rücksicht auf das bevorzugte Volk im Reiche leiten konnte.
Die Constantinopolis sollte aber – wohin sie auch zu liegen kam – überhaupt keine blosse Residenz, sondern der Ausdruck der neuen Zustände in Staat, Religion und Leben werden810. Der Gründer hatte hievon ohne Zweifel ein klares Bewusstsein; er musste sich einen neutralen Ort ohne Prämissen schaffen, weil er keinen vorfand. Die Geschichte hat dieser Tat, verdienter- oder unverdientermassen, den Stempel des Grossen, Welthistorischen aufgedrückt; sie hat in der Stadt Constantins einen ganz eigentümlichen kirchlich-politischen Geist, eine ganz eigene Gattung von Kultur entwickelt, den Byzantinismus, welchen man lieben oder hassen mag, jedenfalls aber als Weltmacht anerkennen muss. Oben der Despotismus, unendlich verstärkt durch die Vereinigung der kirchlichen mit der weltlichen Herrschaft; an der Stelle der Sittlichkeit die Rechtgläubigkeit, statt des schrankenlos entarteten Naturlebens die Heuchelei und der Schein; dem Despotismus gegenüber eine sich arm stellende Habsucht und die tiefste Verschlagenheit; in der religiösen Kunst und Literatur eine unglaubliche Hartnäckigkeit zu beständiger Wiederholung des Abgestorbenen – im ganzen ein Charakter, welcher viel an den ägyptischen erinnert und mit demselben eine der höchsten Eigenschaften, die Zähigkeit gemein hat. Doch wir haben es nicht mit den spätern geschichtlichen Perspektiven, sondern mit den Anfängen zu tun.
Man nimmt wohl an, dass Constantin einen ausgesprochenen Widerwillen gegen Rom empfunden habe, und dass die Römer denselben hervorgerufen oder erwidert hätten durch ihren Abscheu an seiner Vernachlässigung heidnischer Zeremonien. Allein es bedurfte dessen nicht mehr. Seit Diocletian war mit der Notwendigkeit der Reichsteilungen auch die Untauglichkeit Roms zur Residenz eine klar erkannte Sache. Die Zwischenherrschaft eines Maxentius hatte zwar zu Roms grossem Schaden gezeigt, wie gefährlich der hohe alte Name der Weltherrin gemissbraucht werden könne, wenn die Kaiser ferne im Orient und im Norden sassen, allein Constantin wusste, dass nach Aufhebung der Prätorianer nichts Ernstliches mehr zu befürchten war811. Dass er in Rom residieren sollte, erwartete wohl im Ernste niemand mehr von ihm. Das Zentrum der höchsten Reichsgeschäfte war lange Zeit in Diocletians Kabinett, also vorzugsweise in Nikomedien zu finden gewesen; später hatte Constantin als Herr des Westens, neben Licinius, Rom nur von Zeit zu