Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
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Читать онлайн книгу Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt - Jacob Burckhardt страница 122
Einen flüchtigen Blick verdient endlich auch das Landleben dieser vornehmen Römer. Derselbe Mann, der seiner Tochter vor allem das emsige Wollespinnen, wenigstens die Aufsicht über die spinnenden Mägde zum Ruhme anrechnet901, besass Dutzende von Villen, deren ungeheuer ausgedehnte Bewirtschaftung allein schon an Aufsehern, Notarien, Zinseintreibern, Bauleuten, Fuhrleuten und Boten eine ganze Schar erforderte, der Tausende von landbauenden Sklaven und Kolonen zu geschweigen. Durch das Aussterben so vieler grosser Familien müssen die Latifundien, welche schon längst »Italien zugrundegerichtet«, sich in immer wenigem Händen konzentriert haben. Niemand leugnet, dass dies im ganzen ein Unheil war, und die Abhängigkeit Italiens von den afrikanischen Kornflotten beweist es zur Genüge. Auch die Besitzer selbst waren nicht immer glücklich; von der Regierung mit Verdacht angesehen, mit Ehrenpflichten überlastet, mit Einquartierungen heimgesucht902, vielleicht auch oft durch eine verwickelte Geldwirtschaft gedrückt, erfreuten sie sich doch nur in beschränktem Mass ihrer beinahe fürstlichen Stellung. Wer aber noch geniessen konnte, den musste die nach Jahreszeiten abwechselnde Residenz auf diesen Landhäusern beglücken, von welchen wenigstens die ältern noch an die Schönheit plinianischer Villen erinnern mochten. Symmachus besass, um in der Nähe von Rom zu beginnen, Landhäuser an der Via Appia und am Vatikan, bei Ostia, Praeneste, Lavinium und dem kühlen Tibur, dann einen Landsitz bei Formiae, ein Haus in Capua, sowie Güter in Samnium, Apulien und selbst in Mauretanien. In einer solchen Reihe durften auch Besitzungen an der paradiesischen Küste von Neapel nicht fehlen. Die Römer gaben hier von jeher dem Golf von Baiae einen für uns nicht wohl begreiflichen Vorzug vor dem neapolitanischen; vom Avernischen See auf buntbemalter Barke hinauszufahren in das Meer nach Puteoli, galt noch immer als wonnevolle Lustpartie; über die ruhige Flut tönte von allen Schiffen Gesang, aus den ins Meer gebauten Villen das Geräusch froher Gelage; und weit draussen das Plätschern mutwilliger Schwimmer903. Wenn nun hier Lucull mit seiner Üppigkeit das höchste Vorbild war, und die Einsamkeit904, die man zu suchen vorgab, in dieser mehrere Meilen langen Reihe von Villen und Palästen kaum gedeihen konnte, so wird das echte römische Landleben viel eher auf den zur eigentlichen Ökonomie bestimmten Gütern geblüht haben. Hier feierte der Römer vorzüglich gern seine Herbstfreude: »Der neue Wein ist gekeltert und den Fässern anvertraut; Leitern führen bis in die Wipfel der Fruchtbäume; jetzt wird die Olive gepresst; dazwischen zieht die Jagdlust den Wildstätten nach, und scharfriechende Hunde verfolgen die Spuren der Eber905.« Was die Jagd betrifft, welche nach aller Vermutung vortrefflich sein musste, so meint zwar Ammian, die Weichlichkeit vieler habe sich mit dem blossen Zusehen begnügt906, allein wer irgend kräftige Glieder hatte, für den war die Jagd im möglichst weiten Umfange des Wortes so gewiss eine Lebensfrage als für den jetzigen Italiener. Auch in diesem Fache verlangte man noch ein Gedicht statt eines Handbuches in Paragraphen; wie die Georgica das Landleben überhaupt künstlerisch darstellen sollten, so verherrlichten die Cynegetica und Halieutica, die zum Teil bis ins vierte Jahrhundert herabreichen mögen, das Weidwerk und den Fischfang. – Ein paar Verse des Rufus Festus Avienus907, vom Ende des vierten Jahrhunderts, geben zum letztenmal die Stimmung wieder, welche das Landleben des römischen Heiden beseelte. »Bei Tagesanbruch bete ich zu den Göttern, dann gehe ich bei den Knechten auf dem Gut herum und weise jedem seine gemessene Arbeit zu. Darauf lese ich und rufe Phoebus und die Musen an, bis es Zeit ist, mich zu salben und auf der sandbestreuten Palaestra mich zu üben. Heitern Mutes, den Geldgeschäften fern, esse, trinke, singe, spiele, bade ich und ruhe aus nach dem Abendessen. Während der kleine Leuchter sein bescheidenes Mass von Öl verzehrt, seien diese Zeilen den nächtlichen Camoenen geweiht.«
Wohl mochten es allmählich wenige sein, die noch ganz ungebrochen zu geniessen wussten, seitdem die Reichsnot, der Dämonenglaube und die Sorge um das Jenseits auch die Heiden so tief erschüttert hatten. Jene eigentümliche Weltanschauung, welche den edlern Epikureismus und den Stoizismus in sich vereinigt und das irdische Leben der Bessern zu einem so würdigen und liebenswürdigen Ganzen abgeschlossen hatte – sie war am Aussterben begriffen. Einen späten Nachklang davon, aus dem Zeitalter Constantins, gewährt unter anderm das kleine Gedicht des Pentadius908 »Vom glücklichen Leben«. Es sind aber blosse Erinnerungen aus Horaz, die hier schon deshalb nicht wiederholt werden dürfen, weil man nicht weiss, ob der Verfasser im Ernst dazu hätte stehen können.
Es gab noch eine Stadt in dem alten Weltreiche, die unter Constantin vielleicht nirgends genannt wird, nach deren Leben und Fortdauer wir aber doch mit voller Teilnahme fragen dürfen.
Athen, schon vom Peloponnesischen Kriege her in seinem Bestand erschüttert, war seit Sullas Eroberung mehr und mehr verödet909 und ins Kleine zusammengezogen. Allein der Lichtglanz des Ruhmes, welcher die Stadt umgab, das leichte, angenehme Leben, die herrlichen Denkmäler, die Ehrfurcht vor den attischen Mysterien und das Bewusstsein der ganzen hellenischen Welt von dem, was sie Athen verdankte – dies alles zog fortwährend eine Menge freier, gebildeter Menschen dorthin; Philosophen und Rhetoren traten auf und zahlreiche Schüler folgten nach. Seit Hadrian – dem neuen Gründer Athens, wie ihn die Dankbarkeit nannte – schwang sich das Studium zu einer Art von Universität empor, welche durch kaiserliche Dotation einigermassen gesichert und später die wichtigste Lebensquelle der verarmten Stadt wurde910.
Wer in diesen späten Zeiten noch antik gesinnt war, der musste vor allem die Athener lieben. Schön und ergreifend lässt Lucian911 seinen Nigrinus über dieses Volk reden, bei welchem Philosophie und Armut zusammengehören, und das sich der letztern nicht schämt, wohl aber sich reich und glücklich fühlt in seiner Freiheit, seinem mässigen Leben und in der goldenen Musse. »Es herrsche dort ein ganz philosophisches Klima, das schönste für schön denkende Menschen; freilich, wer Luxus, Macht, Schmeichelei, Lüge, Knechtschaft wolle, der müsse in Rom leben.« Aber nicht bloss der Syrer von Samosate, der es sich sonst mit so wenigen Dingen ernst sein lässt, auch ein Alciphron912, ein Maximus von Tyrus,