Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
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Die Studien aber, um derentwillen Sophisten und Schüler in Athen sich sammelten, trugen das Gepräge der Zeit nur allzudeutlich. Wie Philostratus und Gellius für die athenische Schule in der frühern Kaiserzeit, so sind Libanius914 und Eunapius915 ergiebige Quellen für deren Zustand im vierten Jahrhundert, und man kann nicht sagen, dass sie sich in der Zwischenzeit gebessert hätte. Das einseitige Überwiegen der rhetorischen Bildung und daneben die Überschwenglichkeit und Mystik der einzelnen Neuplatoniker, die Eitelkeit der Dozenten und das Faktionswesen ihrer Anhänger – dies alles füllte das stille Athen mit einer Unruhe, einem Hader von ganz eigener Art an. Schon der Empfang des Studenten war eine lebensgefährliche Sache; im Piraeus, wenn nicht schon am Vorgebirge von Sunium, standen Leute bereit, welche ihm aufpassten, um ihn für dieses oder jenes Auditorium (Didaskaleion) in Pflicht zu nehmen und ihn sogar durch Drohungen von dem schon zu Hause gefassten Beschluss abwendig zu machen; einzelne Dozenten erschienen plötzlich im Hafen, um sich ihrer Beute zu versichern. War man dann, etwa unter dem Schutz des Schiffskapitäns, glücklich nach Athen gelangt, so fand man sich in den gewaltsamsten Zustand hineinversetzt; nicht selten gab es Mord und Totschlag nebst den dazu gehörenden Kriminaluntersuchungen, alles wegen der Lehrerkonkurrenz. Zunächst redete die Landsmannschaft ein grosses Wort in diese Dinge; als Eunapius in Athen studierte, hielten die Orientalen vorzugsweise an Epiphanius, die Araber an Diophantus, die vom Pontus an ihren göttergleichen Landsmann Proaeresius, welchem auch viele Kleinasiaten, Ägypter und Libyer anhingen. Allein man war daran nicht gebunden, und überdies hielt das unaufhörliche Überlaufen von Schule zu Schule die Feindschaften beständig in Flammen. Die Studentenschaft war in bewaffnete »Chöre« geteilt, mit »Prostaten« an der Spitze; ihre blutigen Händel schienen ihnen »ebensoviel wert als der Kampf fürs Vaterland«. Hatte man es endlich so weit gebracht, dass zwei Parteien, Dozenten und Auditoren, zur Verantwortung vor dem Prokonsul von Achaia nach Korinth reisen mussten, so wurde in dessen Gegenwart ein wahrhaft feierlicher rhetorischer Wettkampf aufgeführt, zumal wenn es sich der Mühe lohnte, wenn der Beamte »für einen blossen Römer ziemlich gebildet« war916. Von irgend einer Art von Kollegialität war nicht die Rede. Schon längst wagte man es nicht mehr, öffentlich in Theatern und Hallen aufzutreten, um nicht sofortigen, blutigen Tumult zu erregen; die wohlhabendem Sophisten bauten sich eigene kleine Haustheater. Eunapius schildert uns die dazu eingerichtete Wohnung des Iulianus: »ein kleines, bescheidenes Haus, aber es atmete Hermes und die Musen, so sehr sah es einem Heiligtum ähnlich, mit den Bildnissen der Freunde des Besitzers; das Theater war von Quadern, eine Nachahmung der öffentlichen Theater im Kleinen«. Wer dagegen so arm war als Proaeresius, der anfangs mit seinem Freunde Hephaestion zusammen nur ein Kleid und einen Mantel nebst ein paar Teppichen besass, musste sich helfen, wie er konnte.
In den »Chören« der Studenten herrschten starke eingewurzelte Missbräuche. Schon bei der Ankunft wurden die Neulinge auf einen glänzenden Einstand und auf dauernde Verbindlichkeiten vereidigt, welche nicht selten zur Bekanntschaft mit Wucherern hinführten. Am Tage wurde viel Ball gespielt; bei Nacht zog man herum und gab »den süßsingenden Sirenen« Gehör; gemeine Subjekte machten auch wohl raubähnliche Angriffe auf schutzlose Häuser917. Als Libanius sich nicht ohne Mühe von diesen Verbindungen losgemacht hatte, vergnügte er sich mit friedlichen Ausflügen, namentlich nach Korinth. Wahrscheinlich zogen viele, wie einst zur Zeit des Philostratus, den noch immer in hohem Wert gehaltenen olympischen, isthmischen und andern Nationalfesten nach. Das Höchste aber, was ein eifriger Heide von Athen mitnehmen konnte, waren die eleusinischen Weihen.
Dieses ganze bunte Treiben bewegte sich zwischen den herrlichsten Denkmälern der Welt, in welchen die edelste Form und die grössten geschichtlichen Erinnerungen sich zu einer unaussprechlichen Wirkung vereinigten. Wir wissen nicht mehr, was diese Werke dem Sophisten des vierten Jahrhunderts und seinen Schülern sein mochten. Es war die Zeit, da dem griechischen Geist ein Lebensinteresse nach dem andern abstarb, bis auf die begriffspaltende Dialektik und das tote Sammeln. In alter, vielleicht fast unberührter Herrlichkeit schaute das Parthenon der Pallas Athene, schauten die Propyläen auf die Stadt hernieder; vielleicht war trotz dem Gotenüberfall unter Decius, trotz den Räubereien unter Constantin noch weit das meiste von dem erhalten, was im zweiten Jahrhundert Pausanias gesehen und geschildert hatte. Aber die reine Harmonie der Bauformen, die freie Grösse der Götterbilder redete nicht mehr vernehmlich genug zu dem Geiste dieser Zeit918.
Das Jahrhundert war ausgegangen, sich eine neue Heimat für seine Gedanken und Gefühle zu suchen. Für die eifrigen Christen war dieses irdisch-himmlische Vaterland gegeben: es hiess Palästina.
Wir wollen nicht wiederholen, was Euseb, Socrates, Sozomenus und andere über die offizielle Verherrlichung des Landes durch Constantin und Helena, über die prächtigen Kirchenbauten von Jerusalem919, Bethlehem, Mamre, auf dem Ölberg u. a. a. O. berichten. Bei Constantin war es ein ganz äusserliches Motiv, das ihn zu solchem Aufwand bewog; das Höchste, wozu er es in der Verehrung heiliger Gegenstände brachte, war eine Art von Amulettglauben, wie er denn die Nägel vom wahren Kreuz zu Pferdezügeln und zu einem Helm verarbeiten liess, deren er sich im Kriege bedienen wollte920.
In zahllosen Gläubigen aber erwachte unwiderstehlich der natürliche Drang, Orte, die dem Gemüte heilig waren, in Person zu besuchen. Es ist wohl wahr, dass der geistdurchdrungene Mensch solche Wallfahrten entbehren kann, dass sie das Heilige schon halb veräusserlichen, es gleichsam »an die Scholle binden« lehren. Und doch wird, wer nicht ganz roh ist, einmal wenigstens den Stätten nachgehen, die für ihn durch Erinnerungen der Liebe oder der Andacht geweiht sind. Im Verlauf der Zeit, wenn aus der Herzenssache eine Sitte geworden, wird das Gefühl des Pilgers wohl leicht in eine Art von abergläubischer Werkheiligkeit ausarten, allein dies beweist nichts gegen den reinen und schönen Ursprung.
Schon seit der apostolischen Zeit kann es nicht an frommen Besuchen derjenigen Stellen Palästinas gefehlt haben, welche mit den Erinnerungen des alten Bundes zwischen Gott und den Menschen die des neuen auf so erschütternde Weise verbanden. Vielleicht die erste weite Wallfahrt921 war die des kappadocischen Bischofs Alexander, welcher unter Caracalla Jerusalem – das damalige Aelia Capitolina – besuchte, »um des Gebetes und der Geschichte der Orte willen«. Auch Origenes kam, »um die Fußstapfen Christi, der Jünger und der Propheten aufzusuchen«. – Zur Zeit Constantins aber trifft die Sehnsucht nach Palästina schon sehr auffallend mit dem gesteigerten Kultus der Märtyrergräber und der Reliquien überhaupt zusammen922. Jerusalem ist gleichsam die grösste und heiligste aller Reliquien, an welche sich dann noch eine Reihe anderer Weihestätten ersten Ranges, viele Tagereisen lang, anschliessen. Aus dem Stationenbüchlein eines Pilgers von Bordeaux923, welcher im Jahre 333 das heilige Land bereiste, ersieht man, wie schon damals die fromme Sage,