Baupläne der Schöpfung. Johannes Huber
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Im Jahr 1944 war sie die dritte Frau, die in die National Academy of Sciences gewählt wurde, und die erste Frau, die in den Vorstand der Genetics Society aufstieg. Kurz darauf entdeckte sie, dass bestimmte genetische Regionen in Mais springen können und dass dies Einfluss auf die Farbe der gesprenkelten Maiskolben hat, von Goldgelb bis hin zu Dunkelviolett. Sie nannte es »Controlling-Einheiten«, die später eben als Transposons bezeichnet wurden.
Mitte der 1950er-Jahre spürte McClintock, dass der wissenschaftliche Mainstream nicht bereit war, ihre Idee zu akzeptieren, und sie hörte auf, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, um eine Entfremdung von der wissenschaftlichen Welt zu vermeiden. Denn man konnte sich nicht vorstellen, dass das Genom eine derartige Plastizität hat, um die Umwelt zu registrieren und sich ihr anzupassen.
Allerdings saß auch hier die Wahrheit am längeren Ast. Bald sah die geneigte Kollegenschaft, dass die smarte Barbara sehr wohl recht hatte: Unser Genom ist wie eine Drehtür, es kommen und gehen neue Erbgutabschnitte. Vorteil ist, dass dieser genetische Durchzug zur Evolution beiträgt. Nachteil ist, dass dabei auch Krankheiten entstehen. So werden manche Formen der Hämophilie von solchen mobilen Elementen ausgelöst, die bei der Geburt (oder sogar schon bei der Konzeption) bewirken, dass sich die Blutgerinnungskontrolle verändert.
Heute kennt man verschiedene Klassen von transponierbaren Elementen in den Genomen unterschiedlichster Arten, von der Fruchtfliege über den Eisbären bis hin zum Menschen. Ungefähr drei Prozent des menschlichen Genoms besteht aus Transposons der DNA – so wie sie McClintock im Mais studiert hat.
Eine weitere Art sind die Retrotransposons, häufiger in unserem Genom anzutreffen als Partygäste bei Charlie Sheen. Sie beinhalten transponierbare Elemente, die ihren Ursprung in Viren haben und rund 10 Prozent unseres Genoms ausmachen. Diese Elemente kann man Jahrtausende zurückverfolgen. Sie entstanden, als Viren sich in das Genom von Spermien oder Eizellen integrierten, und so von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurden.
Bestimmte Retroposons sind auch in der Lage, sich selbst von einem Bereich des Genoms auf einen anderen zu kopieren und können dabei angrenzende genetische Sequenzen im Huckepack-Verfahren mitnehmen. Denn der Stopp-Befehl solcher Retrotransposons ist meist so schwach, dass die Enzyme der Transkription an diesem Signal nicht halten und weiter in das benachbarte Genstück hineinwirken.
Die Interaktion zwischen Genom und Epigenom – ein weiterer Berührungspunkt zwischen Erbgut und Umwelt.
Andere Mechanismen, die eine Korrespondenz zwischen Umwelt möglich machen, hat ein Forscherteam unter der Leitung des Molekularbiologen John Rinn von Harvard möglicherweise gefunden, als er die unnützen Chromosomenabschnitte, den genetischen Müll, durchsucht und dabei Codes für etwa 1.600 Ribonukleinsäuren fand, die linc-RNA genannt werden. Sie dienen nicht als Grundlage für die Proteinsynthese, sondern greifen regulierend in den Zellstoffwechsel ein. Wenn sich differenzierte Zellen teilen, müssen sie Informationen in sich tragen, die ihnen den Befehl geben, ähnlich wie oder anders als die Mutterzelle zu werden. Das Genom alleine kann das nicht übernehmen, da jede Zelle alle Gene mit sich schleppt. Man vermutet, dass es – neben der epigenetischen Information – diese linc-RNA sind, die das Schicksal der Zellen nach jeder Teilung determiniert und die bis zu einem bestimmten Grad von außen und auch epigenetisch geprägt werden können. Damit steht der Evolution ein wirksames spiegelhaftes Anpassungsinstrument zur Verfügung.
Dass es der Ablesemodus von einzelnen Genen ist, der die Entwicklung der Arten bestimmt, und dass dadurch ein weit besserer Mechanismus als die mutation per random, willkürlich, für die Anpassung und Adaption zur Verfügung stünde, haben vor kurzem US-amerikanische Forscher in Nature berichtet. Unmittelbar vor der Aufspaltung zwischen Homo sapiens und den übrigen Primaten gab es offensichtlich einen richtigen Tsunami im Erbgut des zukünftigen Menschen. Zahlreiche Genabschnitte wurden verdoppelt – allerdings ausschließlich solche, die als »dunkle Materie« zwischen den einzelnen Genen lokalisiert sind und die von früheren Forschergenerationen als junk DNA, als wertlose Pausenfüller, eingestuft wurden. Ihre Aufgabe besteht aber offensichtlich darin, die Formbarkeit einzelner Genabschnitte zu modulieren und mitzuentscheiden, ob manche Gene länger oder kürzer abgelesen werden. Sie sind Relais-Stationen zwischen »außen« und »innen« und scheinen für die Entwicklung der Arten von hoher Bedeutung gewesen zu sein.
Im Hinblick auf die junk DNA nimmt das Genom aller Säugetiere ohnedies eine Sonderstellung ein. Wie Axel Meier im Journal of Molecular Evolution (Hoegg et al., 1990) zeigte, ist die Verteilung dieser bedeutungslosen »Genhülsen« im Erbgut der Plazentatiere häufiger vorgekommen als bei Mikroben, Insekten und Pilzen. Sie bleiben in der weiteren Evolution hoch konserviert, ein Indiz für ihre wirkliche Bedeutung in der Evolution.
Die hohe Adaptionskraft von Lebewesen und der Dialog mit der Umwelt könnte durch viele weitere Beispiele illustriert werden: So informiert der als »Sigmafaktor« bezeichnete Transmitter die RNA-Polymerase darüber, dass bei ansteigender Wärme Schutzmaßnahmen notwendig sind. Die Frage war, woher der Bote die Nachricht erhielt, dass plötzlich eine gefährliche Temperatur eintritt. Die Information kommt, wie neueste Erkenntnisse zeigen, von der DNA.
Die Werkzeugkästen der Evolution sind voll mit genialen Instrumenten, um sich der Umwelt anpassen zu können.
Feuerbachs Religionskritik hatte noch eine Theologie vor sich, in der man davon ausging, dass der Weltenbaumeister in die Naturvorgänge eingreift. Dass dem nicht so ist, haben in der Zwischenzeit manche Theologen gelernt. Lernen musste aber auch die Naturwissenschaft, dass der Mensch zum großen Teil ein Spiegel von außen ist. Auch seine Gedanken und »Erfindungen«. Was bedeutet, dass jeder von uns, Sie und ich, möglicherweise geprimt, also beeinflusst wurde, bevor er einen Gedanken hervorbringt.
Die zündende Idee wäre dann nur das Ergebnis eines Wisperns aus der Unendlichkeit. Als würde jemand ganz leise flüsternd einsagen.
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Der epigenetische Code
Dolly hat alles über den Haufen geworfen.
Lange waren sich die Philosophen einig gewesen: Objekt und Subjekt sind getrennte Wirklichkeiten. Die Entdeckung der Epigenetik, die zur philosophischen Hilfswissenschaft aufstieg, zeigte das Gegenteil.
In Form eines Experiments, das Määäh sagen konnte und die Medien auf der ganzen Welt abgraste: Schaf Dolly, das erste geklonte Säugetier. 1996 gelang der Durchbruch. Die Forschungen hatten ein pharmazeutisches Ziel: Man wollte mit Schaf-DNA eine Zellkultur anlegen. So manipulierte Euterzellen gewinnen, in denen sich über Milch Gerinnungsfaktoren bilden, um Medikamente herzustellen. Deshalb transplantierte man den Zellkern, das Genom einer Euterzelle, in das Zytoplasma einer Eizelle ohne Zellkern. In der Hoffnung, dass dadurch lang lebende Zellkulturen entstehen. Allerdings kam etwas völlig anderes heraus. Ein neues Schaf. Die Wissenschaftler stutzten: Wie konnten die Gene einer Milch produzierenden Zelle einen neuen Embryo erschaffen, anstatt, wie erwartet, eine weitere Euterzelle?
Antwort gab die Epigenetik: Die Gene der milchherstellenden Zelle wurden sozusagen von außen durch das Zytoplasma der Eizelle unerwartet so neu geordnet, dass nicht mehr Brustdrüsenzellen, sondern ein richtiger Embryo daraus wurde.
Das ist das Fantastische an der Wissenschaft. Forschung geht so weit, dass sie irgendwann Regeln, die bislang als unumstößlich galten, von der Platte fegt. Forschen heißt Thesen aufstellen und Bestätigungen suchen. Über den Tellerrand schauen und das Unmögliche nicht ausschließen. Dann passieren Wunder. Denkschulen ändern sich, neues Wissen erweitert den