Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel
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Читать онлайн книгу Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel страница 18
„Wir müssen die Sache unbedingt in der Hand behalten, Viktor! Wir gehen da mit hin! Wir gehen mit in die Werkstatt von diesem Koffermenschen!“
Anschließend fuhren auch die drei sportlichen jungen Herren einige Male, gar nicht schlecht für den Anfang, meinte Ludwig gönnerhaft, und schließlich zogen sie zusammen los, um gemeinsam Platten und Hölzer auszuwählen und vielleicht auch schon mit dem Zusammenbau zu beginnen.
Am nächsten Nachmittag trafen sie sich alle wieder, und dieser Koffermensch, wie Ludwig ihn nannte, hatte das neue Brett dabei, das absolut professionell hergestellt wirkte. „Wie aus der Fabrik“, befand Ludwig. Viktor aber machte sogleich auf einen kleinen Konstruktionsfehler aufmerksam, der allerdings nicht besonders schlimm sei, weil man ihn an Ort und Stelle beheben könne. Die V-förmige Zugleine vorn am Brett dürfe auf keinen Fall an der Oberseite des Bretts austreten, sondern nur der Zügel für den Fahrer. Die Zugleine müsse vorne an der Unterseite herauskommen.
„Wieso?“, fragte der Koffermensch, „das ist doch egal.“
„Nein, das ist nicht egal“, sagte Viktor in höflichem Ton, „wenn das Brett beim Start, bevor der Fahrer draufsteigt, auf dem Wasser liegt, und die V–Leine kommt vorn an der Unterseite aus dem Brett heraus, dann stellt es sich gegen die Strömung ganz leicht an und entwickelt Auftrieb.“
„Und?“
„Ist doch klar: Tritt die V-Leine vorn an der Oberseite heraus, ist es genau umgekehrt, und das kann gefährlich werden! Natürlich, solange der Fahrer beim Aufsteigen das Brett am Zügel vorne leicht anhebt, wie ja meistens, kann nichts passieren. Wenn aber nicht, dann genügt die kleinste Störung, und es fließt Wasser über die Vorderkante des Brettes und im nächsten Augenblicke ist es weg und in der Tiefe verschwunden. Ist auch noch nicht soo schlimm, aber schon ziemlich lästig, bis wir es dann wieder oben haben. Richtig gefährlich aber wird’s, wenn einer draußen stürzt und sich irgendwie in den Leinen verheddert – Ludwig zum Beispiel ist zu klein und hat sich vorhin den Zügel ein paar Mal ums Handgelenk gewickelt. Das sollten wir vielleicht verstellbar machen.“
„Na ja, wann kommt das schon vor – aber gut, wir werden das mit der Zugleine bis morgen ändern, das leuchtet mir ein, und auch den Zügel in der Länge verstellbar machen.“
Das Brett einfach umzuwenden, ging nicht, weil auf der Standfläche wundervoll geriffeltes Material eingearbeitet war, während die Unterseite hochglanzlackiert und spiegelglatt war.
Die Jungfernfahrt machte wie selbstverständlich der Koffermensch, wobei Viktor unklar war, wieso das Jungfernfahrt hieß, und Ludwig meinte, er könne sich das schon denken, was aber Viktor nicht weiter interessierte, denn eigentlich hätte die erste Fahrt ja ihm zugestanden. Aber er kam dann wenigstens als zweiter an die Reihe und machte keine schlechte Figur auf dem neuen Brett. Danach fuhren nur noch Erwachsene, alles Freunde und Bekannte vom Koffermenschen, irgendwann konnte sich Ludwig noch dazwischenschieben, aber sie sahen bald, dass an diesem Nachmittag nicht mehr viel zu holen war, und machten sich auf den Weg nach Hause. Richtig stolz waren sie darauf, dass alle Welt auf ihrem Glücksbrett fahren wollte und eigentlich die ganze Badeanstalt Kopf stand, aber etwas enttäuscht waren sie schon, dass sie bei der ganzen Sache nun nicht mehr viel zu melden hatten. –
Als am nächsten Morgen Viktor zum Frühstück die Treppen herunterkam und durch die Halle ging, hörte er, wie sein Vater etwas vorlas, offenbar aus der Zeitung, und bei seinem Eintreten glaubte er am Schluss gerade noch das Wort ‚Glücksbrett‘ verstanden zu haben, während der Vater die Zeitung vor sich ablegte und glattstrich. Und noch bevor er zu seinen Eltern ‚Guten Morgen!‘ sagte, rief er viel zu laut „Was?“ in das Frühstückszimmer hinein; und er rief es in einem Ton, der seinem Vater gegenüber gänzlich unüblich war; und noch einmal: „Was? Ein Glücksbrett?“
Der Vater blickte nur überrascht auf, unterließ aber jeglichen Ordnungsruf und erklärte ihm mit leiser Stimme: „Nichts mit ‚Glücksbrett‘, Viktor! Dr. Schleger – du kanntest ihn doch, der Chef der Rheinschifffahrtsgesellschaft, der schon öfter mal bei uns war, – ist gestern am Spätnachmittag im Rhein ertrunken.“ Er reichte ihm die aufgeschlagene Zeitung hinüber, und Viktors Blick fiel auf die Überschrift ‚Das Unglücksbrett im Rhein‘.
Es traf ihn wie ein Keulenschlag.
Der einzige, mit dem er jetzt reden konnte, war Ludwig, und er musste jetzt mit jemandem darüber reden. Er blieb nicht lange am Frühstückstisch sitzen und brach wie betäubt in die Schule auf.
Ludwig war noch nicht da. Viktor wartete am Eingang auf ihn. Es läutete gerade, als er ihren Chauffeur, Ludwigs Vater, mit dem großen Reisewagen heranfahren sah. „Da hätte ich ja mitfahren können, er fährt ja allein.“ Doch nein, im ausrollenden Wagen stand Ludwig im Fond schon auf und gestikulierte vergnügt. Viktor konnte sich keinen Vers darauf machen, sah aber, dass es prahlerische Grimassen und kraftmeierische Gebärden waren mit geballter Faust und angespanntem Bizeps. Ludwig hatte wohl noch nicht erfahren, was passiert war. Dann stieg er aus, und während der Wagen sofort weiterfuhr, rannte er auf Viktor zu.
„Haste schon gehört?“, rief Ludwig, „Tolles Unglück gestern Abend passiert! Das waren wir!“
Ludwig platzte schier vor Stolz. Sie mussten ins Klassenzimmer rennen und konnten kein Wort mehr wechseln. Der Lehrer stand schon im Flur. –
8_Ende der Kindheit
Zwei oder drei Tage, nachdem seine Mutter so plötzlich verschwunden war, sagte sein Vater beim Frühstück: „Viktor –“ und machte danach eine kleine Pause.
Das kam häufig vor, dass sein Vater einer Bemerkung, die an ihn gerichtet war, ein ‚Viktor‘ vorausschickte und danach eine kurze Pause machte. Aber Viktor wusste im gleichen Augenblick, dass diesmal etwas Besonderes, etwas überaus Wichtiges und Einschneidendes folgen würde, obwohl sein Vater so wie immer sprach und dem Wort ‚Viktor‘ kein besonderes Gewicht gegeben hatte. Jetzt wird er mir sagen, was mit Mama ist, hoffte Viktor.
„Ich habe Herrn Herkommer gebeten, dich morgen nach Stefansfeld in das dortige Internat zu bringen. Ich habe schon alles geregelt.
– Packe doch bitte heute Nachmittag deine gesamten Schulbücher und sonstiges Lernmaterial ein. Bei deinen persönlichen Sachen, Wäsche und so, kann dir Fräulein Lydia helfen.
– Sollte dir in Stefansfeld noch etwas fehlen, können wir es dir nachschicken. Im Übrigen kommen schon bald die Osterferien, da kommst du ja für ein paar Tage wieder.
– Bis dahin weißt du auch ganz genau, was im Einzelnen noch gebraucht wird oder was du gerne noch dabeihättest.
– An Ostern werde ich dir dann auch sagen können wegen Mama – bitte frage mich jetzt nicht danach.
– Ihr fahrt morgen früh um sieben Uhr hier ab. Herkommer wird den Buick nehmen. Es wäre nicht gut, wenn ihr dort mit dem großen Wagen vorfahren würdet.
– Schön, und wir sehen uns ja heute Abend noch einmal zum Essen. Und vergiss nicht, nachher in der Schule deinen Klassenkameraden Adieu zu sagen, der Klassenlehrer weiß schon Bescheid.“