Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel
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Читать онлайн книгу Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel страница 17
Auf Ludwigs Einwand, dass der Brettfahrer doch dauernd an der Badeanstalt streife: „Nein, der kann weit in den Fluss hinausfahren!“
„Wie soll denn das gehen?“
„Der muss einfach seinen rechten Fuß etwas mehr belasten, und schon geht’s los, weit hinaus in den Strom – und wie!“
„Das weiß ich ganz genau“, fügte Viktor noch hinzu, als er das Unverständnis in Ludwigs ungläubigem Gesicht sah. Der hatte immer noch nicht ganz verstanden und fragte:
„Wieso ausgerechnet mit dem rechten Fuß und nicht mit dem linken?“
„Menschenskind, weil er doch weg will von der Badeanstalt, hinaus in den Strom. Und weil er ja stromaufwärts blickt, also in Richtung Strandbad, ist der rechte Fuß der Fuß zur Flussmitte hin; mit ihm drückt er das Brett rechts etwas tiefer runter, sodass ihn die Strömung zur Seite schiebt, verstehst du? – Mit dem rechten Fuß geht’s in Richtung Ludwigshafen, mit dem linken Fuß wieder zurück, Richtung Mannheim, begriffen jetzt? – Obacht wird man geben müssen auf dem Weg zurück, sonst haut es einen gegen die Reling. Da muss man vorsichtig anlanden, wie ein richtiges Schiff.“
Ludwig staunte über Viktor, wie der alles schon vor sich sah, aber Viktor kannte sich eben mit der Macht der Strömung aus, seit sie vor Jahren als Lausbuben schwimmend in die Badeanstalt eingedrungen waren.
Im Kino war Viktor auf das Ergebnis richtig gespannt, viel mehr als Ludwig. Die Wochenschau flog ziemlich unbeachtet an ihm vorbei. Dann kam der Wannsee mit dem Motorboot und dazu ein aufgeregter Sprecher. Viktor schätzte, dass der Fahrer, der hoch aufgerichtet im Motorboot stand, von den Knien bis zum Scheitel mindestens 120 Zentimeter maß, und diese Einmeterzwanzig passten, wenn das Boot vorbeifuhr und man es genau von der Seite sah, schätzungsweise vier bis fünf Mal in die Länge des Bootes. Das Boot musste also zwischen fünf und sechs Meter lang gewesen sein. Peilte man nun, wenn man das Motorboot gerade genügend von der Seite sah, knapp vor dem Boot eine Marke am dahinterliegenden Ufer an und zählte die Sekunden, die das Boot brauchte, um vom Bug bis zum Heck daran vorbeizufahren … Aber da war die Wannsee-Szene schon wieder vorbei und sie mussten noch ein drittes Mal ins Kino gehen, und da stoppten sie dann, diesmal mit einer richtigen Stoppuhr, ein paar Zeiten so um die zwei Sekunden herum. Das Motorboot war also mindestens neun und höchstens elf Kilometer schnell gefahren, rechnete Viktor aus. „Das könnte klappen“, murmelte er.
Die Strömungsgeschwindigkeit an der Badeanstalt hatten sie schnell herausgefunden. „Wir messen jetzt nicht die ganze Länge ab, das fällt auf, und die fragen dann wieder blöd, was wir da wollen. Wir messen nur den Abstand von zwei Pfosten des Geländers, das geht schnell und fällt nicht auf – so, das ist ein Meter sechzig.“
Ludwig zählte die Pfosten ab und sagte: „Einssechzig mal fünfundzwanzig.“
„Falsch, Ludwig, pass auf! 25 Pfosten haben wir, aber zwischen den Pfosten nur 24 Zwischenräume, also einssechzig mal vierundzwanzig! Das macht, Moment –“
Er rechnete.
„38,4 Meter.“
Der Viktor denkt an alles, ging es Ludwig durch den Kopf, obwohl er immer noch nicht ganz verstand, wie das werden sollte.
„Du gehst jetzt vor an den ersten Pfosten“, sagte Viktor, „und wirfst genau dort, ohne großen Schwung, dieses Papierknäuel ins Wasser, einfach fallen lassen, aber so, dass ich es genau sehen kann! Ich stelle mich an den letzten Pfosten hinten und stoppe die Zeit, die das Papier braucht. Das machen wir ein paar Mal.“
Sie kamen ziemlich konstant auf 16 Sekunden – die Zahl machte Viktor glücklich. 16 Sekunden entsprachen einer Strömungsgeschwindigkeit von zweieinhalb Metern in der Sekunde und das reichte an die Motorbootgeschwindigkeit von neun Kilometer heran!
Viktor und Ludwig arbeiteten bis weit in die Nacht an ihrem Brett, das sie aus Kistenbrettern zusammennagelten. Sie durften keine Zeit mehr verlieren, immer noch war spätsommerliches Badewetter, aber ein oder zwei kühle Tage, und die Badeanstalt würde schließen für dieses Jahr. Als letzte Arbeit, meinte Ludwig, sollte Viktor noch einen Namen aufbringen, schräg und ziemlich weit vorne, er könne doch so wunderbare Schriften malen. Aber es fiel ihnen so spät nichts Rechtes mehr ein.
Als sie am nächsten Tag außen am Geländer der Badeanstalt ihre Leine festbanden, war Viktor beklommen und sprach kaum ein Wort. Mit Herzklopfen ließ er das Brett, mit dem Heck voraus, vorsichtig zu Wasser, und er war froh, dass kaum jemand Notiz davon nahm. Mit dem Zügel hob er das Brett vorne leicht an, dann stieg er, erst mit einem Fuß, vorsichtig etwas unterhalb der Mitte darauf, er spürte sein Herz klopfen bis in den Hals – und das Brett hielt! Es trug ihn! Er schwebte! Über sich hörte er Ludwig jauchzen und „Hurra, hurra!“ rufen, und auch ihm war in seinem plötzlichen Glück zum Jubeln zu Mute, ‚das Wunderbrett, nein, das Glücksbrett!‘, rief er und wusste sogleich, das war der Name.
Für einen Augenblick fuhr er noch etwas unsicher gebeugt und mit rundem Rücken, spürte aber bald, wie man sich aufrichten und strecken konnte, und begann, erst nur ein Stück, dann immer weiter hinaus in den Fluss zu fahren, hin und her, gesteuert nur durch mehr Last auf dem einen oder auf dem anderen Fuß. Das Wasser war rau und von den Raddampfern aufgewühlt, und so stand er hoch aufgerichtet zwar, aber in den Knien federnd, um die Stöße der Wellen abzufangen.
Viktor spürte den gewaltigen Druck des Wassers – das war unvorstellbar! –, aber er hatte schnell heraus, dass man das Brett auch etwas flacher nehmen konnte – einfach weniger Rücklage –, dann war der Wasserwiderstand geringer, und es trug immer noch. Am schönsten war es, wenn er ganz weit draußen fuhr und sich so weit hinaushing, dass die Gischt unter dem schrägliegenden Brett nur noch an der Innenseite, zur Badeanstalt hin, vorbeischoss und er dann, wenn er sich wieder gerade stellte oder gar die Last auf den anderen Fuß legte, mit immer größerer Geschwindigkeit auf die Badeanstalt zuraste, sodass er am Ende die Bewegung mit einem kräftigen Gegenschwung abfangen musste.
Inzwischen war die Reling voll mit Badegästen und immer noch kamen weitere dazu. Auch der Bademeister mit seiner weißen Schirmmütze war aufgetaucht, und obwohl jeglicher Aufenthalt außerhalb der Reling streng untersagt war, schritt er nicht ein, war er doch selbst viel zu neugierig.
Als nächster war dann Ludwig an der Reihe. Der stellte sich gar nicht ungeschickt an, wie Viktor konstatierte, nahm aber das Brett viel zu steil, wahrscheinlich weil ihm das tosende Rauschen und die aufschäumende Gischt dabei imponierten. Prompt riss schon bald die Leine und Ludwig, der sich schwimmend am Brett festhielt, wurde abgetrieben, und es dauerte fast eine halbe Stunde bis er, das Brett über dem Kopf, wieder in der Badeanstalt erschien.
Viktor waren die vielen Zuschauer lästig. Sie fuhren beide noch einige Male im Wechsel, Viktor konnte interessante Beobachtungen machen und dachte schon über gewisse Verbesserungen nach. Vor allem Ludwig machte von Mal zu Mal Fortschritte und stand souverän auf dem Brett, manchmal sogar nur mit einer Hand den Zügel halten und mit der anderen Hand winkend. Aber er war nicht behutsam genug und so riss noch mehrmals die Leine, sie war eindeutig zu schwach. Viktor sah missvergnügt, dass Ludwig, der doch eigentlich keine Ahnung von der Sache hatte, bereits besser fuhr als er, und ärgerte sich darüber, dass Ludwig das große Publikum, das ihm zusah, so unverhohlen genoss.
Später lösten sich drei junge Herren