Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel
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Читать онлайн книгу Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel страница 12
Viktor war damals im Kloster sehr stolz gewesen, dass er, er als Mann, der er im Grunde genommen doch schon war, hatte mitkommen dürfen. Aber für seine Mutter hatte es ihm leidgetan, wohingegen man Schorschett, wäre sie dabei gewesen, eigentlich mit vollem Recht zurückgehalten hätte. Dann wäre zu seinem Stolz noch der Triumph gekommen.
Der Konsul hatte mit einer freundlichen Gebärde gespielter Hilflosigkeit seiner Frau eine tröstende Bemerkung zugerufen, sich verabschiedend zu ihr hin verbeugt und sich dann seinem Sohn zugewandt.
„So, Viktor, jetzt sind wir beide an der Reihe!“
Tatsächlich, so war Viktor aufgefallen, ‚wir beide‘ hatte sein Vater gesagt! Per ‚wir‘ hatte er bisher noch nie gesprochen. ‚Wir Männer‘ sollte das heißen. –
„Viktor, du kannst ja schon mal den Bulldog warmlaufen lassen“, sagte Onkel Xaver ganz beiläufig. Viktor war außer sich vor Freude und stürmte davon. Er sollte diesen gewaltigen Lanz-Bulldog warmlaufen lassen! Und das heißt doch wohl auch, dass er ihn anwerfen sollte! Das war die ganzen Tage schon, da sie Onkel Xaver beim Pflügen helfen durften, sein größter Wunsch gewesen, so unerfüllbar er ihm auch erschienen war.
Ich werde zuerst die Lötlampe holen müssen, um den Glühkopf anzuheizen, plante Viktor im Laufen, und ich muss schauen, dass ich zu Streichhölzern komme, ohne dass mich Tante Georgette erwischt. Aber da lief ihm schon Bodo, der Knecht, mit der fauchenden Lötlampe in den Weg und hängte sie am Bulldog vorne unter dem Zylinderkopf ein.
Jetzt würde man warten müssen, bis der Glühkopf rot glühte – oh, Viktor hatte genau aufgepasst! –, und inzwischen würde er das Lenkrad abnehmen, eine Klappe an der Schwungradverkleidung seitlich an der Kurbelwelle öffnen und dort zum Anwerfen die Lenkradachse hineinstecken.
Ludwig, der sich ärgerte, dass Viktor den Bulldog anwerfen sollte, wo er doch der viel Stärkere war, drehte dann nur einmal probeweise am eingesteckten Lenkrad, spürte dabei die unerbittlich anwachsende Kompression und schüttelte mit der Miene eines Sachverständigen den Kopf.
„Den kriegst du nie an“, sagte er finster, „wetten? Ich glaube, der Onkel Xaver will uns reinlegen!“
Aber Viktor sagte nur: „Wart’s ab!“, denn er war sich seiner Sache sicher. Besaß er doch, statt einer Spielzeugdampfmaschine, einen Zweitaktmotor, einen ‚echten‘ Motor, wie er stets betonte, den er allerdings nicht allein laufen lassen durfte, das sei bei einem Explosionsmotor, wie sein Vater sagte, viel zu gefährlich, wenn es auch nur ein kleiner DKW sei, was in diesem Fall die Abkürzung für ‚Des Knaben Wunsch‘ war. Durch eben diesen kleinen Motor und das Anleitungsheft mit der Lehrtafel, das dabei war, wusste er ziemlich genau, wie ein Zweitakter funktioniert, und der mächtige Bulldogmotor, zehnmal so groß und hundertmal so schwer, war ja auch ein Zweitakter.
Inzwischen waren, vom Fauchen der Lötlampe angelockt, andere Buben vom Hof dazugestoßen, auch Bienchen kam vorbei und nickte ihm freundlich zu, ging aber weiter. Es wäre ihm schon arg recht gewesen, wenn Bienchen bei ihnen stehen geblieben wäre bis nachher, wenn der Bulldog dann donnernd anspringen würde.
Wir hätten Bienchen beim Frühstück nicht so hänseln sollen, dachte Viktor, dann hätte sie jetzt gewiss bei ihnen Halt gemacht. Obwohl es ja hauptsächlich Ludwig gewesen war, der Bienchen aufgezogen hatte. Aber Ludwig hatte mein Bienenbuch für seine frechen Neckereien verwendet, und eigentlich, gestand sich Viktor ein, war es ja ich, der mit diesem Ulk angefangen hat.
„Bienchen“, hatte er zu ihr gesagt, „du musst noch schneller werden, ein richtiges Bienchen schafft einen Kilometer in zwei Minuten, steht hier, stell dir das vor!“
Da hatte auch das zarte Bienchen noch gekichert, aber dann hatte Ludwig Gefallen an Viktors Spiel gefunden, Bienchen mit richtigen Bienen zu vergleichen, doch bei ihm ist aus dem Necken schon bald ein Quälen geworden.
„Nimm nicht so viel Honig, Bienle! Das auf deinem Brötchen ist mindestens ein ganzer Kaffeelöffel voll! Dafür muss eine richtige Biene Hunderte und Tausende von Flügen machen. Und das ganze Honigglas hier – da schaffen gut und gerne tausend Bienen ihr ganzes Leben daran! Und du frisst es gerade so weg!“
Bienchen hatte ihn mit großen Augen angeschaut und dabei langsamer gekaut und aufgehört zu schlucken. Aber Ludwig hatte ungerührt weitergemacht.
„Zehn Bienen wiegen noch nicht einmal ein Gramm. Bienle – du bist zu fett!“
Und schließlich hatte er in einer Art strenger Gelehrsamkeit noch obendrauf gesetzt: „Eine Arbeitsbiene hat sich im Sommer nach höchstens vier Wochen zu Tode gerackert, steht da. Also hast du bei dieser Plackerei hier auf dem Hof – wie lange sind wir schon da, Viktor, acht Tage? – allerhöchstens noch drei Wochen!“
Bevor Bienchen hinten im Hof bei den Gänsen verschwand, sah sie noch einmal zu ihm her. Selbst der athletische Onkel Xaver hatte den Bulldog nie mit einem einzigen Ruck angeworfen, sondern drehte das eingesteckte Lenkrad immer wieder vor und zurück, vor und zurück. Das hatte Viktor, der beim Anwerfen stets gespannt zugeschaut hatte, genau beobachtet, und so würde er es jetzt auch machen. Er spürte, wie der Kolben im Zylinder gegen das Luftpolster lief, aber da durfte man nun, wenn der Schwung verbraucht war, nicht versuchen weiterzudrehen, sondern musste den Kolben abprallen lassen, sodass das Lenkrad rückwärts lief bis zur anderen Seite. Und dort ließ man den Kolben wieder abprallen, auf das erste Luftpolster zu. Man musste die Bewegung nur genügend unterstützen, das hat er bei Onkel Xaver gesehen, und wenn bei Onkel Xaver der Kolben vielleicht fünf oder sechs solcher immer schneller werdenden Bewegungen hin und her benötigte, so würden es bei ihm vielleicht zehn oder zwölf oder noch mehr sein. Aber das spielte keine Rolle, irgendwann würde der Kolben auch bei ihm genügend Schwung haben, um das Luftpolster so zusammenzupressen, dass er über den Totpunkt hinwegkam, und das bedeutete die erste Zündung!
Und so war es dann auch. Mit einer Serie rasch schneller werdender Donnerschläge sprang der Bulldog an, mit jedem Schlag aus seinem Schornstein eine präzis geformte Rauchwolke in den Himmel puffend, während Viktor schleunigst das Gas zurücknahm. Im gleichen Augenblick kam Onkel Xaver, der gewiss alles beobachtet hatte, vergnügt lachend aus der Werkstatt herausgelaufen, und sogar Ludwig strahlte. –
Am Morgen des Abreisetages wurde Viktor in aller Frühe von einem seltsamen Geräusch draußen geweckt, und es dauerte ein paar Augenblicke, bis ihm klar wurde, dass das nur Onkel Xaver mit seinem Jagdhorn sein konnte. Der blies alle möglichen aufmunternden Signale aus der Jägerei und auch selbsterfundene, die man daran erkennen konnte, dass sie sich wiederholten und sich dabei rasch weiter verbesserten. Es war beachtlich, welche Vielfalt an Melodien er mit den wenigen Tönen seines Instruments zustande brachte. Viktor schaute aus dem Fenster, aber da sah die Welt gleich nicht mehr so fröhlich aus. Alles war düster und grau, der Tag kam nur mühsam auf die Beine, es regnete und regnete, der Hof war voller großer Pfützen, und es roch völlig anders als all die Tage – der erste Regentag seit Wochen.
Als sie zum Frühstück runterkamen, blies Onkel Xaver noch immer, und Schorschett stöhnte: „Das Getute macht mich noch verrückt!“
Dann riss sie das Fenster auf und rief auf den Hof hinaus:
„Jetzt hör endlich mit deinem Gedudel auf, Xaver! Und komm zum Frühstück!“
Tante Georgette blickte streng drein wie immer, ihr Blick kam Viktor richtig vorwurfsvoll vor, so als ob die Drei ja selbst schuld daran seien, dass sie jetzt wieder nach Hause fahren mussten. Die strenge Miene bedrückte Viktor, und auch Bienchen, zu dem er hinübersah, schien ihm noch stiller als sonst; vielleicht aber war sie auch nur betrübt darüber, dass nun die Ferien zu Ende