Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel

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Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel

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diese Trommler von der SA, die da durch die Straßen zögen, um alle einzuschüchtern mit ihren dumpfen Landsknechtstrommeln und den rasselnden Marschtrommeln dazu, allerdings ohne die Pfeifer, die bei einer anständigen Militärmusik eigentlich mit dazugehörten, dann klinge das alles viel frischer und auch nicht so drohend – „aber die Nazis3 haben ja keine Ahnung!“ –

      Ordnung im Kopf fängt immer mit neuen Zusammenhängen an, die aufscheinen. Ludwigs Koppel gehörte also zur Hitlerbewegung, ging Viktor auf, und es war ein Teil der Hitleruniform, und von diesen Hakenkreuzlern war seine Schreckensnacht inszeniert worden. Diese Schreckensnacht war bis dahin für Viktor, so intensiv er sie erlebt hatte, abstrakt im Ungewissen geblieben, weil er noch nie auch nur das Geringste von ihren Urhebern gesehen, sondern nur ihren bedrohlichen Lärm gehört hatte. Doch mit Ludwigs elendem Koppel hatte diese grauenvolle Nacht mitsamt der ganzen Hitlerbewegung plötzlich einen Ankergrund gefunden.

      In den folgenden Tagen prahlte Ludwig immer wieder einmal mit seinem neuen Koppel auf dem Hof herum, vermied dabei aber, seinem Vater zu begegnen. Er übte den Hitlergruß im Gehen und im Stehen, schlug die Hacken zusammen und presste dabei die linke Hand an die Hosennaht. Mutter Herkommer sah ihm mit nachsichtigem Lächeln zu, ein wenig Stolz war auch dabei.

      Schon der Klang des Wortes ‚Koppel‘ imponierte Ludwig. Koppeln, Ankoppeln, da hörte man die beiden Teile präzis ineinander klacken. Koppel, nicht Gürtel – pah, was ist schon ‚Gürtel‘? – oder Gurt oder gar Riemen – Leibriemen womöglich? – nein, K-o-p-p-e-l, basta! Und nicht mit irgendeiner windigen Schnalle dran, sondern mit einem Schloss. Mit einem Koppelschloss!

      Als Ludwig Viktor in den Hof kommen sah, klopfte er mit der flachen Hand ein paar Mal lachend auf das Koppelschloss. Dann schlug er erneut die Hacken zusammen, riss den rechten Arm hoch und rief: „Unsere Fahne ist die neue Zeit4! Die neue Zeit, Viktor, verstehst du?“

      Das war bestimmt nicht auf seinem Mist gewachsen. Was Ludwig offenbar so begeisterte, das Koppel mit dem Koppelschloss und dem Zeichen darauf, das war für Viktor die zum Gegenstand verdichtete nächtliche Bedrohung, das Konzentrat des Bösen, das die Weite einer ganze Nacht hatte ausfüllen und vielleicht die ganze Welt hätte überfluten können.

      „Soll ich dir mein Koppel mal ausleihen?“, fragte Ludwig gutgelaunt. Viktor prallte fast zurück; nicht einmal anfassen hätte er es mögen nach dieser Nacht neulich. –

      4_Zur Sommerfrische auf dem Bauernhof

      Kein Zweifel, Viktor hatte Reisefieber. Er strich am frühen Morgen, während noch alles schlief, durch das Haus, obwohl er doch sonst, jedenfalls seit er zur Schule ging, morgens eher schwer aus dem Bett herauszubringen war. Auch drunten im Souterrain bei Herkommers schien noch alles ruhig zu sein. Ob Ludwig auch schon wach war? Onkel Xaver, der aber gar nicht sein richtiger Onkel war, sondern der Onkel von Ludwig, würde sie nach dem Frühstück abholen und sie in die Sommerfrische auf seinem Bauernhof fahren. Erst war bei Herkommers nur die Rede davon gewesen, dass Ludwig wahrscheinlich die Sommerferien auf dem Land verbringen würde, aber dann hieß es, dass auch Viktor mitreisen sollte. Das sei seiner Entwicklung förderlich, wie sein Vater, der Konsul, meinte, obwohl seine Eltern keinen allzu engen Kontakt zu Ludwig und zur Familie Herkommer wünschten – nicht nur, weil sie um die dauernden Rivalitäten und Spannungen zwischen den beiden Buben wussten.

      Auch Bienchen würde mitkommen, das freute Viktor besonders. Sie war von allen Mädchen, die er kannte, das klügste. Etwas älter als Viktor und Ludwig, war sie viel kleiner und zarter als die beiden, meistens still, ja fast schweigsam, oft ängstlich, nie aufgebracht oder zornig, aber immer hilfsbereit und zu allen überaus freundlich. Das Auffällige jedoch war, dass diese kleine Person deshalb nicht nur von allen, auch den Erwachsenen, geliebt wurde, sondern dass sie, die so gar kein Aufheben von sich machte, mit allem, was sie sagte, sofort Gehör fand. Gerade weil sie nur wenig sprach, aber das Wenige mit einer klaren, wenn auch eher leisen Stimme und stets in geordneten Sätzen hervorbrachte, wurde sie beachtet, ja respektiert wie kaum einmal ein Kind diesen Alters. ‚Eine echte Autorität!‘, hatte der Konsul neulich spöttisch, aber gleichwohl anerkennend gesagt, als sich Bienchen nach kurzem Spiel kritisch, aber durchaus besonnen über die Fähigkeiten des Klavierstimmers geäußert hatte. Bienchen war in der Tat ein merkwürdiges, oder besser gesagt, ein bemerkenswertes Kind.

      Sollte Ludwig in den Ferien allzu ausgelassen werden oder allzu verwegene Streiche aushecken, dachte Viktor, so würde sie sicherlich auf meiner Seite sein. Sie war für ihn in allem das Gegenstück zu Ludwig. Aber auch dann, wenn sie einmal in einem Streit Ludwig recht gäbe, so nahm er sich vor, würde er sich fügen. –

      Für einen Augenblick war Viktor überrascht, als Onkel Xaver mit einer Kutsche ankam, aber eigentlich hätte er sich das denken können. Es war eine sehr elegante Kutsche, deren Verdeck Onkel Xaver in der Morgensonne zurückgeklappt hatte, sodass sie noch leichter und eleganter wirkte. Sie war dunkelbraun lackiert und mit feinen goldenen Zierlinien versehen. Auch die schlanken Speichen der Räder trugen solche Zierlinien, kein Vergleich mit den wuchtigen gelben Eichenholzspeichen bei ihrem Buick, die kraftvoll, aber plump dagegen waren. ‚Chaisenbau Wilhelm Wimpff & Sohn, Stuttgart‘ entdeckte Viktor auf einem gegossenen Bronzeschildchen.

      Die Kutsche sei sehr alt, und sie sei wertvoller als manches Auto, sagte Onkel Xaver mit bedeutungsvollem Nicken, heute könne man so etwas gar nicht mehr machen und erst recht nicht bezahlen, und die zarten goldenen Zierlinien, genauso wie die winzigen Blumenbukette an den Ecken und den Enden der Linien, seien alle per Hand mit einem feinen Pinsel gezogen. Rechne man die beiden Pferde noch dazu, dann bekäme man sicher für das gleiche Geld sogar zwei Autos. Etwas kleinere vielleicht. Es waren sehr schöne Pferde, fand Viktor, schlank und mit einem ganz ebenmäßigen, glänzenden Fell, aber so groß hatte er sich die Pferde, die er ja aus seinen Bilderbüchern kannte, doch nicht vorgestellt. Trotzdem wollte Ludwig, anstatt gefälligst neben Onkel Xaver Platz zu nehmen, unbedingt während der Fahrt auf einem der Pferde sitzen, was aber viel zu gefährlich sei, wie Onkel Xaver, sonst ein gutmütiger Kinderfreund, fast barsch erklärte.

      Zur Abfahrt waren dann alle, das Kindermädchen und Ludwigs Eltern, aber auch das Zimmermädchen und sogar die Köchin, an den Wagen gekommen. Der Konsul war nicht erschienen, aber Viktor sah oben seine Mutter hinter einem Fenster stehen. Als die Pferde anzogen, ging ein großes Winken los, und nur Bienchen, die wie eine kleine Prinzessin hinten in den Polstern versunken war, grämte sich, weil man da viel tiefer saß als vorne auf dem Bock und sie wegen des hohen zurückgeklappten Verdecks nicht nach hinten hinauswinken konnte.

      „Die stinken aber!“, raunte Ludwig mit dem Blick auf die Pferde Viktor ins Ohr, und dieser, obwohl er noch nichts wusste vom vielfältigen Duft des Abenteuers und der Ferne, sog mit erhobener Nase die Luft ein, schüttelte den Kopf und sagte nur streng: „Sie duften.“

      Er war verzaubert von der Leichtigkeit dieses Fahrens, vom Dahingleiten des kommod gefederten Wagens, den die Pferde gar nicht zu spüren schienen, und er lauschte auf das Klackern der Hufe und das Geräusch der Räder, die ihm jede Veränderung im Straßenbelag mitteilten. So mächtig hatte er sich die Pferde wirklich nicht vorgestellt! Umso erstaunlicher, wie sie, fast schwerelos, über der Straße schwebten – es sah aus, als hingen ihre schlanken Beine nur locker vom Rumpf herab und als verwendeten sie ihre Hufe nur dazu, den Takt ihres Trabs klack-klack, klack-klack, klack-klack auf das Pflaster zu wirbeln.

      Im munteren Trab, der auch den Pferden am meisten Freude zu machen schien, war Viktor am glücklichsten. Er spürte, dass der Takt der Hufe ein ganz bestimmtes Tempo haben musste, wenn es wirklich mühelos und flüssig vorangehen sollte, nicht schneller, aber auch keinesfalls langsamer, und es erstaunte ihn, dass es den Pferden gelang, auch über eine weite Strecke hinweg diesen Takt unverändert einzuhalten. Ob das wirklicher Gleichschritt war? Viktor versuchte, diesen schnellen Hufschlag mit den Fingern auf dem Polster mitzutrommeln, vergeblich,

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