Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel

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Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel

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erkennen. Licht kam nur von unten herein, von der Uferwiese, die jetzt viel heller zu sein schien als vorher, da sie darauf herumgelaufen waren, und dieses Licht genau von unten, das war ungewohnt und ergab ganz fremdartige Bilder. Er solle nicht dauernd so direkt nach unten schauen, rief Ludwig von hinten, und dann sah er, weiter vorne, wie sich in der Wasserfläche, die sie gleich erreichen würden, die Unterseite der Brücke spiegelte, fast schwarz im hellen Himmel. Aber vielleicht sollte er gar nicht so sehr auf das Licht von drunten achten, sagte sich Viktor, denn dann fällt einem erst so richtig auf, wie tief die Uferwiese unter einem lag – Ludwig hatte recht, man musste schon gut schwindelfrei sein. Und passieren könnte ja nichts, hatte er noch hinzugefügt.

      Sie kamen gut voran, und nach einer Weile war ein fernes Sirren zu vernehmen, das sich allmählich in ein leichtes Vibrieren verwandelte und nur sanft zunahm. Aber dann setzte mit der Plötzlichkeit eines Kanonenschlags, aber eines Kanonenschlags, der nicht enden wollte, ein donnerndes Dröhnen ein, übertönt noch durch ein tausendfaches Poltern aus allen Richtungen, und als Viktor die Arme mit höchster Kraft zur Seite gestemmt hatte, um sich festzuklemmen, und glaubte, dass nun das Tosen und Dröhnen nicht mehr stärker werden könnte, nahm es mit einem Sprung noch einmal zu, und Viktor spürte, wie die Brücke rüttelte und schwankte, und er fürchtete, aus ihr herausgeschüttelt zu werden. Mit weit aufgerissenen Augen sah er sich entsetzt zu Ludwig um – jetzt nur nicht den Körper zur Seite drehen, sonst falle ich durch! –, und Ludwig hatte ein so zusammengekniffenes Gesicht, wie er es noch nie bei ihm gesehen hatte, und versuchte zu lächeln, als er merkte, dass Viktor hersah.

      Ebenso unvermittelt trat dann wieder Ruhe ein, nur das schwächer werdende leise Vibrieren spürte man noch eine Weile, und das sich entfernende Sirren war noch zu hören.

      Ludwig sagte gepresst in die plötzliche Stille hinein: „Das war der Express nach Paris.“

      Viktor zitterte und konnte nicht mehr weitergehen und überlegte, wie er sich am sichersten umdrehen könnte, wenn sie jetzt hoffentlich wieder zurückgehen würden.

      „Wenn ich allein gewesen wäre“, sagte Ludwig auf dem Heimweg, „wäre ich bis ans andere Ufer gegangen.“

      Das war keine Angeberei, und Viktor war froh darüber, dass Ludwig nicht weitergegangen war und ihn nicht im Stich gelassen hatte. Er wusste, so etwas würde Ludwig niemals tun, so eklig er manchmal zu ihm auch war. Neulich, beim Klassenausflug, als er gar nicht wissen konnte, dass Viktor zuhörte, hatte er sich bei der Aufgabenverteilung für das Geländespiel lautstark für ihn eingesetzt und wie ein Löwe für ihn gekämpft. Ludwig hielt zu ihm, und es stimmte schon, Ludwig war der Mutigere von beiden, unerschrocken und ungerührt, sobald es darauf ankam. Er dagegen dachte zu viel nach, und der Lehrer hatte gesagt, er überlege überhaupt bei allem viel zu lange.

      Als sie noch kleine Buben waren, hatte Viktors Kindermädchen gelegentlich auch Ludwig zum Spaziergang in den Schlossgarten mitgenommen, und schon damals war zu sehen gewesen, dass Ludwig der Mutigere von den beiden war. „Viktor, du bist ein Hasenfuß“, so lautete der Ausruf des enttäuschten Kindermädchens stets, wenn der Draufgänger Ludwig ihren zögernden Viktor wieder einmal mit seiner wilden Entschlossenheit übertroffen hatte.

      Der Spazierweg führte damals gewöhnlich über das Viadukt in der Nähe des Bahnhofs, was für die Kinder ein Hauptspaß war, weil die Rangierlokomotiven, die darunter durchfuhren, dichte Dampfwolken ausstießen, die den darüberliegenden Teil des Viadukts für ein paar Augenblicke in undurchdringlichen Nebel hüllten, in dem man nicht einen Meter weit sehen konnte. Schon bald stellte sich Ludwig, wenn er eine Lokomotive kommen sah, gegen alle Warnungen des Kindermädchens genau über das Gleis, auf dem die Lokomotive nahte, hielt sich am Geländer fest, schaute nach unten und wartete verzückt, bis ihn die Lokomotive einhüllte. Oder er rannte in vollem Lauf in eine Dampfwolke hinein, die wie eine feste Wand vor ihm stand, mit den Armen wild rudernd, als ob er die weiße Watte vor sich teilen müsse.

      Es hatte lange gedauert, bis auch Viktor das riskierte. Er fing ganz vorsichtig an, indem er sich nicht genau über das Gleis stellte, sondern ein wenig seitlich versetzt, und nahm anfangs schon bei den ersten Dampfschwaden, die ihn berührten, Reißaus. Erst allmählich wurde er mutiger, und man sah, wie er es genoss, das Gruselige und Furchteinflößende immer leichter zu überwinden. Anfangs hielt er die Luft noch an, später sog er den weißen Dampf vorsichtig ein, er war warm und roch nach Abenteuer, nach Öl und heißen Maschinenteilen, durchmischt mit dem Kohlenqualm des Kesselfeuers.

      Einmal allerdings, auf dem Heimweg, war Ludwig in vollem Lauf mit einem entgegenkommenden riesenhaften Hund zusammengeprallt, der von seinem Herrn an kurzer Leine gerade durch eine solche Wolke hindurchgezerrt wurde. Ludwig fiel durch den Aufprall zu Boden, spürte über sich das mächtige Tier mehr, als dass er es gesehen hätte, und er erschrak so entsetzlich, wie er noch nie in seinem Leben erschrocken war, und der Hund, mindestens ebenso erschrocken wie er, stieß seine Panik in einem anhaltenden, grauenhaften Schrei heraus, bevor dann sein Brüllen in ein wütendes Gebell überging, das noch lange anhielt. Viktor, obwohl selbst gar nicht betroffen, hatte vor sich hingeheult, bis sie zu Hause waren, Ludwig dagegen, obwohl nun viel ernster als sonst, war still geblieben.

      Wie er so an diese Szenen von früher dachte, kam Viktor ein Ausspruch von Pfarrer Liedel neulich in den Sinn, als Ludwig bei einer verwegenen Flanke über einen Zaun bei der Landung in knietiefen Morast geraten war; ein Ausspruch, bei dem es um Dummheit und Mut ging, das wusste er noch, der ihm aber, solange er auch mit den Worten herumprobierte, nicht mehr vollständig einfallen wollte, bis er ihn dann am Abend vor dem Einschlafen plötzlich ganz deutlich mit der Stimme des Pfarrers wieder im Ohr hatte: ‚Die Grenze zwischen Mut und Dummheit‘, so hatte es der Pfarrer formuliert, ‚ist nicht zu ziehen.‘

      3_Spielplatz Autogarage

      Ihr liebster Ort zum Spielen, obwohl das nicht gern gesehen wurde, war die Garage, jedenfalls bei Regenwetter. Das Gebäude war seinerzeit als noble Remise für die Kutschen und wohl auch für die Pferde errichtet worden, eine geräumige Halle mit großen Oberlichtern und drei weiten Flügeltoren zur Straßenseite hin. Der Boden war mit geriffelten beigen Steinzeugplatten gefliest, und jede Wagenbox war mit einem Wasseranschluss versehen, von dem aus flache Rinnen zum zentralen Bodenablauf führten.

      Es war ihnen strikt verboten, in der Garage Ball zu spielen oder gar in die Automobile einzusteigen. Das Ballspielverbot einzuhalten, fiel Viktor nicht weiter schwer, war er doch da ohnehin kein großer Held. Vor allem Fußball mochte er gar nicht, im Gegensatz zu Ludwig, dem die Namen der berühmten Spieler und auch die der wichtigsten Vereine geläufig waren. Viktor fielen da, wenn ihn Ludwig streng abhörte, höchstens zwei oder drei Namen ein, und auch bei denen war er sich nicht sicher. Die Automobile interessierten ihn da schon wesentlich mehr, und so hätte er gegen das Einsteigeverbot gewiss hin und wieder einmal verstoßen, wenn ihn nicht Ludwig immer wieder daran gehindert hätte. Es war eigenartig, sobald sie beim Spielen die Garage betraten, tat Ludwig so, als ob er der eigentlich Verantwortliche sei. Dabei waren das doch die Automobile seines Vaters, sagte sich Viktor, also war das auch die Garage seines Vaters. Doch Ludwigs Vater, der Chauffeur Herkommer, war eben der Chef der Garage, das war Viktor schon klar. Aber daraus schien Ludwig seine besondere Zuständigkeit abzuleiten und machte ihn auf das Einsteigeverbot auch dann vorsorglich aufmerksam, wenn er gar nicht vorhatte, in einen Wagen einzusteigen.

      Dabei verstand er ja von Autos viel mehr als Ludwig, nicht nur, weil er von seinem Vater häufig mitgenommen wurde, sondern weil sein Vater viel schöner und viel interessanter zu erklären wusste als Ludwigs Vater, der Chauffeur, der der Auffassung war, dass das alles viel zu schwierig und außerdem allein seine Sache sei und die Buben sowieso nichts anzugehen habe; war es doch schon lästig genug, dass sich der Konsul, besonders bei privaten Ausfahrten, immer wieder einmal als Herrenfahrer versuchte und seinen Chauffeur auf den Beifahrerplatz verwies oder ihn, fast schlimmer noch, ganz zu Hause ließ.

      Zu

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