Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel

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Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel

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nach einer solchen abendlichen Fahrt am nächsten Tag das abgezogene graubraune Hasenfell zeigte. Hatte er doch immer geglaubt, dass Hasen weiß seien, denn im gleißenden Licht der Scheinwerfer waren sie immer hell weiß aufgeschienen.

      Viktor mochte von diesen Hasenbraten, die von allen im Hause gelobt wurden, nichts essen, er musste immer an die toten Hasen denken, wie sie blutig auf den Trittbrettern lagen; dem Ludwig dagegen, der meistens sogar beim Ausnehmen und Abziehen half, machte das nichts aus. Nur der Konsul, dem man stets anstandshalber ein schönes Stück nach oben brachte, gab zu bedenken, dass man da doch leicht einmal auf Knochensplitter beißen könnte, dem aber Herkommer stets entgegenhielt, dass man die gesplitterten Knochen und auch die kleineren Splitter gut aus den Beinen habe herauslösen können, was sich von den bleiernen Schrotkugeln der herkömmlichen Hasenjagd gewiss nicht sagen lasse, aber man habe jedenfalls für den Herrn Konsul ein Stück vom Rücken, der ohnehin das Beste am Hasen sei, ausgewählt.

      Eines Tages kamen sie in der Garage auf die Idee, in den Ablaufrinnen, die vom Wasserhahn in jeder Box bis zum Bodenrost des zentralen Abflusses verliefen, Papierschiffchen schwimmen zu lassen. Wenn man alle Hähne aufdrehte, entstand eine sanfte Strömung durch die ganze Halle bis hin zum zentralen Bodenablauf. Allerdings verschwanden die kleinen Schiffchen am Ende ihrer kurzen Reise allzu leicht zwischen den Stäben des Abflussgitters, und falteten sie sich größere, so blieben diese im doch recht flachen Wasser schon an den geringsten Untiefen hängen. Als auch das volle Öffnen der Wasserhähne zwar Besserung, aber noch nicht die entscheidende Abhilfe brachte, holte Viktor den Wasserschlauch, und stets, wenn irgendwo ein Schiffchen aufzulaufen drohte oder gar schon festsaß, erhöhte er mit einem wohlgezielten Wasserstrahl in einem großen Bogen quer durch die Wagenhalle den örtlichen Wasserstand hinter dem Schiffchen, das so in wenigen Sekunden wieder freikam.

      Plötzlich aber stürzte Vater Herkommer, der das Rauschen der weit geöffneten Wasserhähne gehört haben musste, in die Halle.

      „Seid ihr verrückt geworden?“, brüllte er noch unter der Tür, riss Viktor den Schlauch aus der Hand und drehte fluchend einen Wasserhahn nach dem anderen zu.

      „Die frisch gewaschenen Wagen total eingesaut!“, schimpfte er, „stundenlang poliert und alles für die Katz! Habt ihr denn überhaupt keinen Verstand? Der Teufel soll euch holen!“

      Dann verstummte er plötzlich und jeglicher Zorn verschwand aus seinem Gesicht. Er zitierte Ludwig mit einer Handbewegung an seine Seite und ging mit ihm gemessenen Schritts und in einem fast schon feierlichen Ernst zur Werkzeugkammer. An der Tür angekommen, ließ er Ludwig, der mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern, folgsam und stumm wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank, neben seinem Vater hergegangen war, vorangehen.

      Viktor horchte beklommen zur Werkzeugkammer hinüber. Es geschah nichts. Er trat langsam näher und lauschte. Nichts, kein Wort. Ab und zu ein paar unregelmäßige Schritte von Herkommer, hin und her, als ob er irgendwelche Vorbereitungen träfe.

      Viktors Verhältnis zum Chauffeur Herkommer war schon immer merkwürdig gespalten. Gewiss, Herkommer, der ja mit Ludwig einen Sohn gleichen Alters hatte, bemühte sich meistens recht freundlich und mit hilfsbereiter Zuwendung um Viktor, gewiss wohl auch deshalb, weil er damit seinem Ansehen bei Viktors Vater, dem Konsul, aufzuhelfen hoffte; und Viktor erwiderte diese Freundlichkeiten durchaus, aber er blieb dennoch immer ein wenig auf Distanz, weil er Herkommer, ob er wollte oder nicht, stets mit einem Hauch von Misstrauen begegnete. Er wusste selbst nicht recht warum.

      Der Grund war eine lächerliche Geschichte, die schon Jahre zurücklag und an die sich Viktor nur noch dunkel erinnern konnte. Herkommer war damals im Grünen Baum bei der Versammlung irgendeiner dieser Proletenparteien, wie Viktors Mutter das nannte, als Redner aufgetreten, nicht als der Hauptredner zwar, aber gesprochen hätte er eben doch länger, vielleicht hatte er sich auch nur zu Wort gemeldet, jedenfalls sei das alles ziemlich aufrührerisch gewesen und war seiner Mutter über die Hausschneiderin, die selbst empört schien, überbracht worden. Frau Zabener war beunruhigt gewesen und hatte ihrem Mann, dem Konsul, bei Tisch davon berichtet.

      „Ach, dieser Herkommer, mach’ dir da mal keine Sorgen, das ist ein ordentlicher Kerl! Er war im Krieg einer meiner zuverlässigsten Unteroffiziere.“

      „Aber wenn er auf die schiefe Bahn gekommen ist, ich meine politisch, und da aufwieglerische Reden führt? Das ist gefährlich, auch für uns!“

      „Ach, auf den hört doch niemand“, hatte der Konsul abgewinkt, „der Herkommer, das ist doch ein ganz Kleiner!“

      Das war der einzige Satz, den Viktor verstanden und noch lange behalten hatte. Was mochte das wohl bedeuten, ein ganz Kleiner zu sein? Herkommer war doch ein großer, kräftiger Mann, den sein Vater aber, der eher etwas zierlicher war, als einen ‚ganz Kleinen‘ bezeichnet hatte. Das musste etwas anderes bedeuten. Was ist das, ein Kleiner?

      Der rätselhafte Satz war in einer Zeit gefallen, in der Viktor gerade zu lesen begonnen hatte; Schilder, Zeitungsüberschriften, noch keine ganzen Sätze; vor allem Großbuchstaben hatten es ihm angetan. Da war ihm auf der Rückseite der Zeitung, in der sein Vater gerade gelesen hatte, eine ganze Seite mit lauter Inseraten aufgefallen, und über die ganze Seitenbreite stand darüber in großen Versalien und so für ihn leicht zu entziffern:

      K L E I N EA N Z E I G E N !

      Nun, dass Leute, die Unrechtes getan haben, also Diebe, Räuber und Einbrecher, angezeigt gehören, das hatte er während der Spaziergänge vom Kindermädchen und auch auf Autofahrten von seinem Vater schon oft gehört. Aber nicht nur diese sollte man anzeigen, sondern eben auch die Kleinen, das hatte er von nun an gewusst. Auch von den Kleinen konnte also eine Gefahr ausgehen.

      So hatte der Metteur, der diese Zeitungsseite eingerichtet hatte, durch seinen sorglosen Umgang mit dem Ausrufezeichen, das Viktor von gelegentlichen Fahrten mit der Eisenbahn (‚Nicht hinauslehnen!‘) ja auch schon kannte, dafür gesorgt, dass Viktor in dieser Überschrift eine Aufforderung sah, einen öffentlichen Befehl gewissermaßen, und so hatte der Metteur damit ungewollt den Chauffeur Herkommer auf Jahre hinaus bei Viktor ins Zwielicht gerückt und Viktors Verhältnis zu ihm auf lange Zeit getrübt. Eine solche Trübung, die man fast schon eine verborgene Vergiftung nennen kann, ist desto beständiger, je weniger sich der Betroffene an Ursprung und Herkunft erinnern kann.

      Offenbar war es eben aus irgendeinem Grunde verwerflich, hatte Viktor damals gedacht, ein Kleiner zu sein, und wahrscheinlich war es sogar gänzlich verboten, sich als Kleiner zu betätigen. So musste es wohl sein. Seinen Vater, der doch mindestens ein Mitwisser gewesen zu sein schien, hatte er damals nicht fragen mögen und diese Geschichte inzwischen so gut wie vergessen.

      Dann endlich hörte Viktor aus der Werkzeugkammer die klatschenden Schläge eines Lederriemens auf Ludwig niedersausen. Doch es waren nicht Schläge in dichter Folge, sondern lauter einzelne, wenn auch mächtige Peitschenhiebe, zwischen denen immer wieder Pausen lagen, weil Herkommer zu jedem Schlag einen langsam gesprochenen und fast feierlichen Kommentar abgab, den Viktor draußen gut verstehen konnte.

      Das war nicht heißer Zorn, das war kalte Grausamkeit. Viktor spürte sofort, schon nach dem zweiten oder dritten Schlag: Diese Pausen, das war die eigentliche Qual. Von Ludwig dagegen war nichts, nicht einmal ein Stöhnen oder auch nur ein Schnaufen zu hören. Herkommer zählte laut mit:

      „V i e r ! – Bei dir ist es schade um jeden Schlag, der danebengeht!“

      „F ü n f ! – Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie!“

      „S e c h s ! – Mir tun diese Schläge mehr weh als dir! Aber ich werde jedes Opfer bringen, um aus dir einen anständigen Menschen zu machen.“

      „S i e b e n

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