Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel

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Milchbrüder, beide - Bernt Spiegel

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für deine Taten einstehen wie ein Mann! Jeder muss das!“

      „N e u n ! – Und du musst einstehen auch für die Taten anderer.

      Du hast die Verantwortung. Der Viktor hielt den Schlauch in der Hand – aber ihn kann ich nicht bestrafen.“

      „Z e h n ! – Du wirst dich herrlich frei fühlen hinterher. Denn Sühne macht frei!“

      Dann war nichts mehr zu hören, auch keiner dieser entsetzlichen Rechtfertigungskommentare mehr. Oh, wie grausam Ludwigs Vater doch sein konnte! Wie unbarmherzig und kalt! Dieser sonst so freundliche und hilfsbereite Mann, der seinen Vater jeden Morgen mit der Schirmmütze in der Hand und einer Verbeugung begrüßte; der ihm zum Einsteigen auf das Höflichste die Wagentür öffnete und sie wieder schloss, um sich dann im Eilschritt zur Fahrertür zu begeben; der Viktors Mutter, wenn sie einmal mitfuhr, beim Einladen und Einsteigen geradezu umschwänzelte.

      Uns gegenüber – Viktor schlug sich plötzlich ganz auf die Seite seines Vaters – uns gegenüber ist er immer der aufmerksame, dienstbereite Mann, der sich stets unterordnet – Vater ahnte ja nicht, was für ein Tyrann sein Chauffeur sein konnte!

      Nach einer Weile hörte Viktor, wie Herkommer seinen Sohn zu trösten begann. Er sprach jetzt in einem ungleich freundlicheren Ton, aber es war kein aufrichtiger Trost. Später ging dann, ohne ihn auch nur einen Augenblick anzusehen, Ludwig an ihm vorbei, mit einem Gesicht perfekter Verschlossenheit, in dem kein Bedauern oder gar Reue, kein Schmerz und erst recht keine Verzweiflung abzulesen war. Unnahbar kam er Viktor plötzlich vor, und als er sich beim Verlassen der Halle noch einmal zur Werkzeugkammer umwandte, war das nur noch ein kalter Blick voller Hass und Verachtung. Viktor erschrak vor diesem Blick, wie er schon manchmal vor Ludwig erschrocken war, und zugleich bewunderte er Ludwig fast. –

      Mit der Anmeldung zum Gymnasium wurde Ludwigs Bindung an seinen Vater endgültig zerstört. Sein Vater war anfangs ganz gegen das Gymnasium gewesen und sagte etwas von einem ordentlichen Beruf, den er erlernen sollte. Bei Viktor sei das etwas anderes, tat er Ludwigs Einwände ab. Dabei war Ludwig doch in allen Fächern so gut wie Viktor und im Turnen sogar besser. Der alte Herkommer aber war störrisch und ließ sich nur zögernd von seiner Frau überreden. Letzten Ausschlag gab dann ein Wort des Konsuls, der dabei freilich auch daran dachte, dass es ganz nützlich sein könnte, wenn Viktor im Gymnasium seinen Milchbruder mit dabeihätte.

      Also schnitt Herkommer schließlich dann doch von Ludwigs altem Schulranzen brummend die beiden Schultergurte ab und ließ vom Schuster oben einen Griff aus Kernleder drannähen, damit Ludwig eine Aktenmappe hätte.

      „Das reicht so bis zur Quinta oder Quarta. Wer weiß, ob du es bis dahin überhaupt schaffst!“

      Von mir aus bis zur Tertia, dachte Ludwig, der umgebaute Schulranzen machte ihm nichts aus. Hauptsache, man ließ ihn zusammen mit Viktor aufs Gymnasium gehen. Aber der verächtliche Zweifel seines Vaters und die geringen Aussichten, die er ihm gab, hatten ihn gekränkt und ihm seinen Vater mehr entfremdet als alle Prügel, die er bis dahin sich eingefangen hatte.

      Als nach den Ferien das Gymnasium dann begann, wurde er jeden Tag aufs Neue an diese Bemerkung seines Vaters erinnert. Denn jeden Morgen, wenn er das Klassenzimmer betrat, schlug ihm schon an der Tür der Duft des Leders der neuen Aktentaschen entgegen – so riechen nur die Klassenzimmer der Sextaner. Er blickte dann manchmal trotzig zu seinem abgescheuerten Schulranzen hinunter. ‚Dem Alten werde ich es erst noch zeigen. In spätestens zwei Jahren werde ich mich mit Viktor über Dinge unterhalten, von denen er keinen blassen Schimmer hat.‘ –

      Viktor zögerte einen Augenblick an der Tür zum Herrenzimmer, dann klopfte er vorsichtig an, denn er fürchtete zu stören. Aber sogleich hörte er die Rückfrage seines Vaters und ohne Pause dazwischen auch gleich seine Antwort darauf:

      „Ja? – Bitte!“

      Der Konsul faltete in seinem Lesesessel die Zeitung zusammen, lächelte Viktor aufmunternd zu und klopfte mit der Hand auf seine Knie und Oberschenkel, die Aufforderung für Viktor, sich da hinzusetzen. Da war er schon als kleines Kind bei den ersten Zwiegesprächen mit seinem Vater gesessen, und der Konsul wusste, wenn Viktor bei ihm im Herrenzimmer erschien, was nur noch gelegentlich geschah, dann beschäftigte ihn etwas Besonderes.

      „Bald wirst du mir zu schwer sein, Viktor!“

      „Bitte um eine nur kurze Audienz!“, tat Viktor überkorrekt. „Stell dir vor, der Ludwig hat ein Koppel mit Schulterriemen!“

      Der Konsul zog aufmerksam die Augenbrauen hoch, und Viktor erzählte ihm, wie er vor zwei Tagen, zusammen mit Bienchen, unten im Souterrain bei Frau Herkommer gewesen sei, um für die Köchin den großen Einwecktopf heraufzuschaffen. Herkommers hätten ja keine richtige Garderobe, gleich hinter dem Abschluss aber gäbe es einige Kleiderhaken an der Wand, und da habe Bienchen überrascht auf das Koppel gedeutet, das dort hing, und ihn dabei fragend angesehen.

      Viktor hatte sofort gespürt, dass es sich bei diesem Koppel nicht um etwas Belangloses handelte und dass er das unbedingt aufklären musste. Bienchen mochte da schon etwas mehr geahnt haben. Ohne Bienchen wäre er ja achtlos daran vobeigegangen.

      „Ein Koppel?“, fragte sein Vater. „Noch aus dem Krieg? Schau, dieser Herkommer! – Aber wieso mit einem Schulterriemen?“

      „Nein, nein, das war nicht von seinem Vater. Es ist viel zu klein, das passt nur Ludwig.“

      Ludwig, überlegte der Konsul, ist der nicht noch zu jung für diese SA-Jugend? Hitlers Jugend oder Hitlerjugend nennen sie sich.2 Vielleicht haben die Eltern ihm das Koppel geschenkt? Und um sicherzugehen, fragte er: „Wie sah denn das Koppelschloss aus? Wenn da ‚Gott mit uns‘ draufstand, ist es noch aus dem Krieg.“

      „Nein, da war wie so ein dicker Blitz drauf.“

      „Hm“, meinte der Konsul nachdenklich, „das sind in der Hitlerbewegung diese merkwürdigen Runenzeichen.“

      „Die Hitler?“, horchte Viktor auf. „Sind das die mit den Trommeln nachts gewesen?“

      Viktor erinnerte sich mit Grauen. Das war neulich eine fürchterliche Nacht gewesen. Aus dem ersten Tiefschlaf hatte ihn ein ferner Lärm, der drohend aus der Innenstadt herübergedrungen war, aufgeschreckt. Dumpfe Geräusche, wie er sie noch nie gehört hatte, die ihn aber doch nicht ganz aus dem Schlaf gerissen, sondern nur zur Hälfte wach gemacht hatten – wach genug, um das Unheil mit tödlicher Angst zu spüren, doch nicht wach genug, den Spuk abzuschütteln, ans Fenster zu treten und mit klarem Kopf nachzuforschen, was das sein könnte.

      Das hatte er noch nie erlebt: nur Angst, nichts anderes als Angst. Sie hatte alles überflutet und durchtränkt, jeden Gedanken, jede Hoffnung. Nur noch aus Angst hatte er bestanden. Ob da ein riesiges unterirdisches Ungeheuer emporgebrochen ist und jetzt die Stadt erobert? Ob so der Weltuntergang beginnt? Nach dem machtvollen rhythmischen Dröhnen und Hallen dann immer wieder minutenlang dieses hundertstimmige zischende Rasseln. Dass die sich wandelnden Geräusche allmählich näher kamen, spürte er mehr, als dass er es hörte. So lag er erstarrt, aber doch zitternd im Bett, regungslos festgehalten von seiner eigenen Angst.

      Es hatte lange gedauert, bis er sich endlich, ohne Licht zu machen und barfuß schleichend, mit flachem Atem ins Schlafzimmer seiner Eltern hinüberretten konnte, wo er dann – obwohl viel zu groß schon, um wie ein Kind zu weinen – hilflos in ein lautes Heulen der Verzweiflung ausgebrochen war.

      Auch die Eltern waren längst wach geworden, seine Mutter war aufrecht im Bett gesessen, etwas verstört, oder nur vom Licht geblendet? Sein Vater dagegen hatte ihn damals mit

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