Milchbrüder, beide. Bernt Spiegel
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„– nicht gerade schön“, wie Sabine befand,
„– aber enorm ausdrucksstark“, ergänzte Viktor,
„– wo’s passt“, relativierte Sabine.
Natürlich probierte Viktor auch Knotenabstände aus, die sich veränderten, und verfertigte schließlich sogar ein Schweifhaar, in das gleich mehrere einzelne Haare hineingeflochten waren und das schließlich nur noch aus Knoten, einer an den anderen gereiht, bestand, mit dem sich gar fürchterliche Töne erzeugen ließen.
„Du hast aus meiner Violine ein schnarchendes Krokodil gemacht“, lachte Sabine.
Immerhin verlegte Viktor seine Knotenbahnen ganz an die Außenkante des Bogens, wo sie noch am wenigsten störten, aber bei Bedarf leicht einzusetzen waren.
Sabine und Viktor hatten jedenfalls ihren Spaß mit diesen Experimenten, und Viktor genoss die Wochen der Freiheit zwischen Internat und Studium. Aber wirklich unbeschwert waren sie nicht. Immer wieder einmal kam Viktor die drohende Ungewissheit in den Sinn, die Bienchen und ihren Vater bedrängte, und manchmal hatte Viktor das Gefühl, dass Bienchen im gleichen Augenblick wie er von diesen bleiernen Gedanken an die Zukunft befallen wurde, aber sie sprachen darüber nie miteinander.
Sie konnten nicht ahnen, dass diese Knoten im Schweifhaar, deren erster nur ganz beiläufig im Jux geknüpft worden war und die nur dem Schabernack gedient haben, sich in nicht allzu ferner Zeit als äußerst nützlich erweisen sollten; ja vielleicht waren sie es gewesen, die Sabine das Leben gerettet haben. –
5_Ludwig Herkommers Erkundungsauftrag in Berlin
Herkommer war nun schon seit über einem Jahr als hauptamtlicher Mitarbeiter bei der SA beschäftigt und vorwiegend im Gebäude der Kreisleitung tätig. Die Welt hatte sich in dieser Zeit verändert, und auch bei Herkommer war in vielem ein Wandel eingetreten.
Wie damals schon bei der Oberfränkischen Eisenbahngesellschaft war es Eugen gewesen, dem er diesen Posten zu verdanken hatte. Offiziell hatte Eugen Saller als ein Beamter des mittleren oder bestenfalls gehobenen Dienstes zwar nur begrenzten Einfluss auf Personalfragen, aber er kannte, vor allem bei der Polizei und in der Partei, auf allen Ebenen wichtige Leute, und offenbar hörte man auf ihn. Erst viel später fand Herkommer heraus, dass er eine ganz entscheidende, wenn auch durchaus nicht offizielle Rolle innehatte bei dem immer enger werdenden Zusammenspiel von Polizei und Partei, wie es am deutlichsten zunächst bei der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei, sichtbar geworden war. Schon gleich nach dem Umsturz war dieses verhängnisvolle Zusammenrücken zu beobachten gewesen, als bei der ersten Welle der Massenverhaftungen vor allem in Berlin die Polizei überfordert war und SA-Leute als Hilfspolizisten eingesetzt wurden, die sich freilich in keiner Weise ausreichend unter Kontrolle halten ließen und rasch wieder deaktiviert werden mussten. In der Tat gab es diese geheimnisvollen Verbindungsmänner zwischen Polizei und Partei in nahezu allen Großstädten. Auf dieser Schiene also war Ludwig Herkommer nach seinen Erfolgen als Polizeihundeführer bei der Oberfränkischen Eisenbahn gelandet und in der gleichen Weise war er von dort, nachdem er sich bei der Schirndinger Eisenbahnkatastrophe ausgezeichnet hatte, von der Partei als Führungsnachwuchs für die SA weggeholt worden.
Bei der SA allerdings war sein Start dann eher holprig gewesen, mindestens war er glanzlos verlaufen. Zwar war ihm der Ruf eines Wundermannes vorausgeeilt, der auch noch die schwierigsten und verfahrensten Situationen mit Bravour zu meistern vermag – ‚Das sieht man dem Bürschlein überhaupt nicht an‘, soll der Kreisleiter nach der ersten Begegnung geäußert haben –, aber Herkommer hatte in der ersten Zeit selbst gespürt, dass er zu solch selbstständigen Glanzleistungen, wie er sie als Polizeihundeführer oder dann als Eisenbahner vollbracht hatte, in der neuen Umgebung noch nicht wieder fähig gewesen wäre.
Es galt als durchaus ungewöhnlich, dass ein Nicht-Parteimitglied sogleich als ‚Hauptamtlicher‘ von der SA eingestellt wurde, aber an seinem ersten Arbeitstag war von irgendeiner besonderen Stellung nichts zu spüren gewesen. Ein mürrischer SA-Scharführer hatte ihn in Empfang genommen und ihm mitgeteilt, dass von der Partei außer ein paar Hilfskräften von der Kreisleitung im Augenblick niemand und von der SA nur er anwesend sei, und hatte ihm den Auftrag erteilt, fürs Erste einen tischhohen Stapel alter Zeitungen mit dem Messer in Klosettpapier zu verwandeln, wozu er die Doppelseite insgesamt viermal zu halbieren habe, was dann jeweils 16 Blatt in einer ausreichenden Größe ergebe. Herkommer erinnerte sich noch genau, wie enttäuscht er gewesen war. Das war ein allzu großer Gegensatz zum vorangegangenen Einstellungsgespräch – mit welchen Erwartungen war er doch hierhergekommen! Aber, er hatte es ja schon immer verstanden, seine Gefühle ganz im Hintergrund zu halten, und so war es ihm leicht gefallen, seine Enttäuschung zurückzudrängen und sie schließlich, als ihm die stumpfsinnige Arbeit dank konsequenter Schematisierung der einzelnen Handgriffe sogar Spaß zu machen begann, ganz auszuschalten.
Am Nachmittag waren dann unter großem Gepolter fünf oder sechs SA-Männer von irgendeinem Einsatz zurückgekehrt, die ihn, auf dessen Eintreffen sie offenbar vorbereitet waren, herzlich-derb begrüßt hatten. Er konnte sich deshalb noch so genau daran erinnern, weil das für ihn der Beginn einer tiefen und gänzlich neuartigen Erfahrung war, nämlich immer mehr einzutauchen in eine festgefügte Gruppe, von ihr aufgenommen zu werden und in ihr aufzugehen, aber dabei auch immer mehr von sich selbst zu Gunsten der Gruppe aufzugeben.
Herkommer hatte sich schon bald wohlgefühlt unter diesen Hauptamtlichen, ja er liebte die Gruppe, obwohl er eigentlich keinen dieser Leute als Einzelnen besonders mochte oder gar zum Freund hätte haben wollen – waren es doch im Grunde ziemlich trübe Gestalten, Versager, die sich von der schiefen Bahn in die SA hatten hinüberretten können, kleine Gauner auch ohne Aussichten, die sich nun neue Chancen mit neuem Rang und Ansehen ausrechneten. Solange sie Uniform trugen, schien es Herkommer damals, war ihre Vergangenheit neutralisiert und sie waren nichts als Teile einer tüchtigen Gruppe gewesen; sah man sie in Zivil, war man mindestens enttäuscht, wenn nicht gar bestürzt.
Einer von ihnen war erst am nächsten Tag nachgekommen, in Zivil, ein unscheinbares, schmächtiges Kerlchen, blass, lahm und nichtssagend in jeder Hinsicht, aber als er wieder in seine SA-Uniform geschlüpft war, weiß Gott kein besonders eindrucksvoller Aufzug, da war er plötzlich wer, da hatte er auf Herkommer, obwohl noch genau derselbe wie vorher, plötzlich vif gewirkt, fix, beweglich, pfiffig. – Oder ob er sich vielleich in Uniform dann doch etwas anders verhalten hatte?
Bei seiner eigenen Einkleidung am Tag darauf hatte Herkommer an sich selbst erlebt, wie sehr auch er diesem Uniformeffekt unterlag. Das war eigenartig gewesen: Im gleichen Augenblick, da er das Koppelschloss eingehakt hatte – mit diesem ‚Klick‘ war für ihn das Ankleiden beendet –, da gehörte er endgültig dazu – er war uniformiert. Und zugleich spürte er, er war jetzt nicht nur ein Teil dieser Gruppe, sondern – auch dieses viel verborgenere Gefühl stellte sich allmählich ein – auch die Gruppe ein Teil von ihm.
Das war anfangs ein äußerst angenehmer und behaglicher Zustand gewesen. Man fühlte sich wundervoll geborgen, wenn man sich nur genügend einordnete und sich bedingungslos den verschiedenen Führern fügte, nicht nur den niederrangigen, die die unmittelbaren waren, sondern auch den höheren und den hochrangigen gar, die immer wieder mit irgendwelchen Sonderaufgaben erschienen, weil diese Hauptamtlichen eine Stabseinheit bildeten, über die man rasch verfügen konnte.
Irgendwann war dann gar der Standartenführer dagewesen, hatte sie antreten lassen und ihnen am Ende einer längeren Ansprache in einem fast feierlichen Ton erklärt:
„Männer! Ihr seid die Keimzelle einer kasernierten SA!