Der sanfte Wille. Georg Kühlewind

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Der sanfte Wille - Georg Kühlewind

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Wesen ist.8 Gerade deshalb erleben wir sie für gewöhnlich nicht, wir sind identisch mit ihr. Es wird uns nur bewusst, wo die Aufmerksamkeit zu einer Form wird, ihr jeweiliges Objekt. Wird die Aufmerksamkeit ungewöhnlich intensiv, so tritt die Identität mit dem Objekt bewusst auf. Ganz besonders, wenn das Objekt selbst schon aus der Aufmerksamkeit besteht, wie beim Bild oder Gedanken – «aktive Aufmerksamkeit» –, und von außen nichts gegeben ist.

       9. Übung

      Die Aufmerksamkeit kann an Intensität grenzenlos zunehmen. Wächst sie über das Identitätserlebnis hinaus, tritt wieder eine Veränderung im Erleben auf. Wir werden jetzt die Aufmerksamkeitsbewegung in das «Bild» hinein, erleben das aber noch vor dem «Bild» – wo es noch nicht «gebildet» ist –, das nun, wie oben beschrieben, das lebendige Zeichen einer lebendigen Bedeutung – Entstehungsidee genannt – ist, ein Zeichen, ungetrennt von seiner Bedeutung. Das kommt sonst nur beim Kleinkind während des Spracherwerbs und im archaischen Bewusstsein vor, wo Denken und Sprechen ungetrennt identisch sind. «Vor dem Bild» bedeutet weder räumliches noch zeitliches Vorangehen, der ganze Vorgang spielt sich in der Gegenwärtigkeit ab; trotzdem wird die sich zum Bild hin bewegende Aufmerksamkeit noch im formfreien Zustand erlebt; das heißt, sie erlebt sich selbst, wird dadurch zum Selbst, zum selbstbewussten Ich. Dieses Erlebnis kann auch «Ich-bin» genannt werden.

      Hier wird das Denken / Vorstellen in seinem reinsten, begriffslosen, bildlosen (vor dem Bild), begriffsbildenden, formbildenden Bewegen erlebt. Das war das Hauptziel der Übungsreihe. Zugleich und untrennbar davon gelangt der Übende zum Ich-bin-Erleben, zur ersten möglichen rein geistigen Erfahrung, wenigstens für einen Augenblick, die wie ein Verstehen aufblitzt. Nur durch die Erfahrung der eigenen Gegenwärtigkeit kann Gegenwart – das ewige Jetzt – und die Gegenwärtigkeit von allen anderen Wesen erfahren werden. Sonst wäre niemand da, der sie erfahren könnte. Unsere schematische Darstellung nimmt damit folgende Form an:

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      Diese Erfahrung ist gleichbedeutend mit dem Entstehen der «wahren Zeugenschaft» – so wird es im Neuen Testament genannt,9 der menschlichen Wesenheit, die nicht automatisch mit den Seelenfunktionen, mit dem Denken, mit Emotionen, Willensimpulsen vermischt ist, sondern auf diese – wenigstens auf das Denken – schauen, sie gebrauchen kann. Dieses Ich-bin oder Selbst ist die Erfahrung des eigenen geistigen Seins, deshalb auch unabhängig von Erfolg, Misserfolg, Anerkennung, Zurückweisung, der Meinung anderer Menschen, auch gefeit vor überflutenden Emotionen. Anstatt derer beginnt das erkennende Fühlen aufzuwachen und eine wachsende Rolle im Leben zu spielen. Das Aufblitzen dieser Wesenheit – die richtige Selbst-Erkenntnis – wird in der Anthroposophie Selbstbewusstseinsseele, wenn sie Dauer hat, Geistselbst genannt.

      Durch die Denk- und Vorstellungsübungen erreichen wir zwei Veränderungen. Die eine betrifft unser Innenleben: In der Erfahrung «es denkt» wird nicht nur ein Ich-bin oder Selbst erzogen, das nicht mehr mit dem Denken / Vorstellen vermischt ist, sondern das diese nicht ihm gehörende Denkkraft lenken kann. Der Zeuge nimmt sie in seine Verwaltung.

      Andererseits erhalten die Themen, sofern sie einfache menschengeschaffene Nützlichkeitsdinge sind, dadurch, dass sie nicht ihrem Zweck gemäß, sondern als Übungsthemen verwendet werden, Bedeutung und Sinn. Man kann sagen, es wird ihnen eine neue Würde zugesprochen, eine neue Sakralität, indem sie das Denken des Übenden durch die Bahnen ihrer Funktion, ihrer Erfindungsidee führen und dadurch in das sinnschaffende Tun der Übung selbst assimiliert werden.

      Auch das Weltbild verändert sich dramatisch mit dieser Erfahrung: Alles in der Welt wird als ein Werden, als Vorgang oder Geschehen erlebt, nichts mehr als ein statisches «ist». Das ist die Welt des Kleinkindes in einem schwer bestimmbaren Alter und auch die der archaischen Kulturen, in denen die Menschen auch alles als Geschehen erfahren haben, sei es ein Fels oder ein Berg.

      Erst jetzt weiß der Mensch aus Erfahrung, was das heißt, «es denkt in mir», was ja auch das Geheimnis des guten gewöhnlichen Denkens ist, wir lassen es geschehen und beschränken uns auf die richtunggebenden, sanften Lenk-Gebärden, wie ein Schäfer, der die rechts und links abschweifenden Schafe in Richtung der Herde zurücklenkt. Wenn ich erfahre, «es denkt», bin ich ein gegenwärtiger Zeuge, nicht vermischt mit der Seelenfunktion des Denkens, ein geistiges Wesen.

      Eigentlich geschieht durch die geschilderte Übungsfolge eine Ausweitung des Reflektierens: Das gegebene Reflektieren kann sich lediglich auf die Vergangenheit des Denkens / Vorstellens richten, nun gewinnt man das Erfahren der Gegenwärtigkeit auch dazu.

      Durch diese Grunderfahrung nähert sich das Bewusstsein der sonst überbewussten, das Denken orientierenden, es im Rahmen der Logizität haltenden Kraft an, die ein Fühlen kognitiver Art ist, das Fühlen der Logizität, der Evidenz, des Verstehens oder Nichtverstehens – der Weg zum erkennenden Fühlen hat hier seinen Anfang. Es kann dem Übenden auch ahnungsweise aufdämmern, dass hinter dem Denken-Lassen ein überbewusster Denkwille, ein Wille, der nicht im Voraus weiß, was er will, ein improvisierender Wille verborgen ist.

      Besinnung/Meditation 14: Der wahre Zeuge zeugt nicht im Nachhinein.

      Zweiter Auftakt

      Wir wissen nicht, wie wir denken, weil wir gewöhnlich das Fühlen, welches das Denken lenkt, nicht erfahren.

      Wir fühlen dieses Fühlen nur in seiner Wirkung, nicht von innen her, nur seine Außenseite. Das Fühlen, welches das Denken leitet und im Wahrnehmen verborgen wirkt, bleibt hinter den Wolken des inneren Himmels.

      Wird das erkennende Fühlen nicht gebraucht, nicht bewusst verwendet, gerät es größtenteils in nicht erkennende Formen ohne Bedeutung. Die erste dieser Formen ist das Mich-Fühlen. Auf diesem lagern sich weitere Gewohnheitsformen an, die zunächst irreversibel sind und unterbewusst, weil das wahre Ich sich nicht in sie hineinbegibt.

      Geformte Gefühle, das heißt Emotionen, verhindern das Erkennen, auch im Fühlen. Diese Formen haben keine Bedeutung, sie teilen nichts mit, sind keine Botschaften. Sie können im Laufe der Übungen oder – selten – im Laufe des Lebens aufgelöst, zur formfreien Fähigkeit des Fühlens werden. So beginnen wir das Fühlen von innen her, im fühlenden Verstehen zu erleben. Ein Gefühl – keine Emotion – ist ebenso verständlich für das Fühlen wie ein Gedanke für das Denken. Nur ist das Verstehen im Fühlen eine Erfahrung, während einen Gedanken zu verstehen nur dann zur Erfahrung wird, wenn man die Worte auflöst, durch sie hindurchdringt und auf diese Weise erlebt, was sie verdecken, indem sie auf die Erfahrung nur hinweisen. Man müsste durch sie hindurch, sie auflösen können. Sie lösen sich im Fühlen auf.

      II.

      Vom Denken zum Fühlen

       Gedanken und Gefühle, Denken und Fühlen

      Die Denkübungen sind möglich, weil das Denken / Vorstellen autonom ist. Wir können denken, was wir denken / vorstellen wollen, wenigstens eine Zeit lang, solange Assoziationen diese Autonomie nicht beeinträchtigen und das Bewusstsein von seinem Vorsatz abschweifen lassen. Was als Reinigung des Denkens oder seine Konzentrierung beschrieben worden ist, kann durchaus als ein Streben zur Kontinuität aufgefasst werden. Die Kontinuität des Denkens wird durch auftauchende Elemente unterbrochen, die keine Denkelemente, sondern Assoziationen sind, dann auch durch Wahrnehmungselemente, die für das Denken nicht «lesbar», nicht durchsichtig sind, dann durch Wörter und Begriffe als Haltestellen des

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