Die Welt im Viertel. Cord Buch

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Die Welt im Viertel - Cord Buch Krimi

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einem Urinbeutel. Dazu gibt es einen Trichter, damit nichts danebengeht.«

      Nach etlichen Jahren Polizeidienst erfährt Wiebke Maurer etwas, von dem sie nie vorher gehört hat. Wie gut, dass sie sich für die Kriminalpolizei entschieden hat. Der Kollege neben ihr stupst sie an und reißt sie aus ihren Gedanken. Er zeigt auf Conny Schrader, deren Körper in sich zusammensinkt.

      »Siehst du, deine Kollegin hat nicht genug getrunken.«

      Wiebke Maurer schaut in die angegebene Richtung und sieht, wie ihre Kollegin zu Boden geht und in gekrümmter Haltung auf dem warmen Asphalt zum Liegen kommt.

      Ein rotes Rinnsal breitet sich von Conny Schraders schlankem Körper ausgehend auf dem Straßenpflaster aus.

      Hastig dreht Nele sich eine Zigarette aus ihrem schwarzen Tabak und einem aus Hanffasern bestehenden Papierblättchen. Sie ist genervt. Die Stadtbahn hat ihren Verkehr von Altona Richtung Hauptbahnhof auf der oberirdischen Strecke durch das Viertel eingestellt. Nur durch den Tunnel fahren noch Züge. Soll sie deswegen bis zu den Landungsbrücken laufen oder besser den Umweg mit der U-Bahn machen?

      Die Autofahrer sind genauso genervt wie Nele als Bahnfahrerin. Seit Tagen hat die Polizei unangekündigt Verkehrsadern gesperrt, um das Schleusen gepanzerter Limousinen der Staatenlenker und ihrer Begleitpersonen vom Flughafen durch die Stadt zu den Hotels zu üben. Heute ist es ernst, eine Delegation nach der anderen landet auf dem Flughafen in Fuhlsbüttel. Das Chaos auf den Straßen und im Nahverkehr nimmt stündlich zu.

      Nele will nicht zwanzig Minuten spazieren gehen müssen, sie will pünktlich am Hauptbahnhof sein. Sie hat einen Termin im KIDS. Das Hilfezentrum für Jugendliche am Hauptbahnhof musste vor Wochen aus dem Bieberhaus ausziehen. Seitdem versucht die Einrichtung, in von der Stadt als Notbehelf zur Verfügung gestellten Containern ihre Arbeit notdürftig weiterzuführen.

      Neles beste Freundin Birte ist mit Jan liiert, der im Hilfezentrum arbeitet und der bereit ist, sich von ihr interviewen zu lassen.

      Mit zwanzig Minuten Verspätung kommt Nele auf dem Bahnhofsvorplatz an. Mobile Polizeieinheiten ziehen aufmerksam über den Platz, die Eingänge zum Bahnhof werden scharf kontrolliert.

      Das Gedränge ist schlimmer als an normalen Nachmittagen, an denen bereits das Gewühl an einen Stadioneingang der Bundesliga am Wochenende erinnert.

      Nele empfindet die Menschenmassen als bedrückend und einengend.

      Sie schlägt sich durch zu den Containern des KIDS. Halbwüchsige stehen und lagern um diese herum, rauchen, reden, lachen, träumen. Ein Sozialarbeiter lehnt in der Tür des Bürocontainers.

      »Moin, ich bin mit Jan verabredet.«

      »Der wollte vor einer halben Stunde hier aufschlagen. Aber ist er nicht. Er ist wohl aufgehalten worden. Du hast ja am Bahnhof gesehen, was los ist.«

      Nele ärgert sich. Statt mitten im Geschehen zu sein, sich an Blockadeaktionen oder kreativem Protest zu beteiligen, muss sie an einem solchen Tag nicht nur Jan interviewen, sondern sogar noch auf ihn warten.

      Aber es nützt nichts, die Stadtrundschau muss auch nach dem Gipfel mit interessanten Themen aufwarten. Sie stellt sich in die Sonne – vielleicht bekommt ihr blasses Gesicht ein bisschen sommerliche Bräune.

      »Moin, Nele.«

      Nach zwanzig Minuten Sonnenbad taucht Jan auf der Bildfläche auf und umarmt Nele vorsichtig. Seine dunklen Dreadlocks kitzeln ihr Gesicht.

      »Tut mir leid wegen der Verspätung.«

      »Jetzt hast du es ja geschafft.«

      Nele gibt nicht zu, dass sie ärgerlich ist. Sie folgt Jan in den Bürocontainer und stellt seine Gastfreundschaft auf die Probe.

      »Sag mal, hast du einen Tee für mich?«

      »Klar doch. Ein paar Beutel habe ich immer herumliegen. Den Jugendlichen brauche ich damit nicht zu kommen, die lieben Kaffee, schwarz wie die Nacht. Earl Grey, okay?«

      Nele stimmt zu und Jan nimmt einen altertümlichen Wasserkocher in Betrieb. In einer Ecke des Containers steht ein Laptop auf einem behelfsmäßigen Schreibtisch. Sein Lüfter gibt seufzende Geräusche von sich. Jan zeigt auf die beiden Stühle, die neben dem Schreibtisch drapiert sind.

      »Such dir einen aus.«

      »Gute Idee. Interviews im Stehen finde ich blöd.«

      Jan grinst gewinnend und Nele versteht ein wenig mehr, warum ihre Freundin Birte sich in ihn verliebt hat. Vielleicht hält sie ja länger mit ihm aus als mit ihren letzten Liebhabern. Bei diesem Gedanken grinst auch Nele.

      »Lass uns anfangen. Es ist schon spät und mir läuft die Zeit davon.«

      Nele lässt Jan erzählen. Sie weiß viel über die Menschen, die die Großstadt ausgespuckt hat, die am Rande der Gesellschaft leben, die irgendwie überleben, unter Bedingungen, die sie sich kaum vorstellen kann. Doch worüber Jan berichtet, ist ihr unbekannt: von 14-jährigen und noch jüngeren Kindern, die auf der Straße leben, von Jungen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, von Mädchen, die eine Zuflucht suchen, um einer Zwangsverheiratung zu entgehen.

      Nele braucht keine Fragen zu stellen, Jan steigert sich in seine Erzählung hinein, in eine unendlich lange Geschichte unvorstellbarer Schicksale. Unvermittelt wechselt er mit wütender Stimme zur aktuellen Lage.

      »Dreiundzwanzig Jahre lang hat das Hilfezentrum erfolgreich am Hauptbahnhof gearbeitet, und dann kam letztes Jahr wie aus dem Nichts die Kündigung.«

      »Hat die Stadt euch keinen Ersatz angeboten?«

      Nele unterbricht Jan jetzt doch.

      »Es wurden uns alternative Räumlichkeiten angeboten, aber weit entfernt vom Hauptbahnhof. Was sollen wir dort? Die Jugendlichen schätzen die zentrale Lage von Bahnhöfen in Innenstädten, hier müssen wir ansprechbar sein. Wir müssen da sein, wo die Kids sind.«

      »Um wie viele Jugendliche geht es denn?«

      »Bis zu 500 Kinder und Jugendliche nehmen jedes Jahr unsere Hilfe in Anspruch. Was soll mit denen passieren, wenn wir nicht mehr vor Ort sind?«

      Jan klingt resigniert, und dieser Ausdruck verschwindet auch nicht aus seinem Gesicht, als Nele ihm vorschlägt, statt eines Artikels über das KIDS eine Serie über die Jugendlichen zu schreiben, die das KIDS betreut.

      »Jan, das war ganz schön viel. Ich muss das erst mal aufbereiten. Wollen wir meinen Text vor Erscheinen gemeinsam besprechen? Ob ich alles richtig verstanden habe? Zusammen bei einem Rotwein?«

      »Wenn es dich nicht stört, dass ich einen Yogi-Tee trinke. Oder ein Bier.«

      »Bestimmt nicht.«

      »Dann melde dich, wenn es so weit ist.«

      »Mache ich.«

      Nele verabschiedet sich von Jan. Vom Bahnhofsvorplatz schrillen Polizeisirenen zu ihnen herüber.

      Jensens

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