Das Medaillon. Gina Mayer

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Das Medaillon - Gina Mayer

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dem eine graugrüne Wiese vorbeiglitt, dahinter Bäume, die ihre kahlen Äste fröstelnd in die leuchtend blaue Winterluft streckten. Dann ging das Grün plötzlich in Braun über und dann war auch das Feld zu Ende und sie fuhren durch den Wald.

      »Wo haben Sie gewohnt, bevor Sie nach Elberfeld gekommen sind?«, fragte sie Minter, ohne den Blick von den Bäumen zu wenden.

      »Ich komme aus Kleve. Das liegt auch im Bergischen, aber mehr den Niederlanden zu.«

      »Und? Hat es Ihnen dort nicht gefallen oder warum sind Sie hierher gezogen?«

      Er zuckte mit den Schultern. »Hier war die Apotheke zu haben und da habe ich zugegriffen.«

      »Und jetzt gefällt es Ihnen hier?«

      Er schwieg und sie bekam plötzlich Angst, dass er sagen könnte, es gefiele ihm nicht, und dass er plante, wieder wegzugehen. Sie löste ihren Blick vom Fenster und begegnete seinem Blick und fragte sich, ob er sie die ganze Zeit über angesehen hatte.

      »Ja oder nein?«, fragte sie, als er immer noch nichts sagte. Er lachte und schien gleichzeitig nach einer Antwort zu suchen, obwohl die Frage nicht gerade schwierig gewesen war.

      »Ja«, sagte er schließlich.

      Als sie vor dem Tor des Steinbruchs aus der Droschke stiegen, stand die Wintersonne genau über den Felsen. Sie tauchte die Landschaft in ein grelles Licht und ließ alles, was im Schatten lag, noch dunkler, noch schroffer erscheinen. Dazwischen wand sich die Düssel wie ein glitzerndes Armband. Die Sprengarbeiten hatten große Teile der Klamm weggerissen, an diesen Stellen zogen sich die Steinwände halbkreisförmig zurück, aber obwohl die ursprüngliche Landschaft zerstört war, lag ihre frühere Schönheit noch in der Luft, eine wundersame Erinnerung.

      Rosalie sah zu, wie Minter den Kutscher bezahlte und wie er dabei seine Augen zusammenkniff, weil ihn die Sonne blendete. Es war ein anderer Minter, er erinnerte sie nur vage an den Apotheker, der ihr tagsüber Pillen und Salben verkaufte und Hustenpastillen in Tüten füllte und abends mit ihrem Vater und Fuhlrott diskutierte.

      »Wir möchten zu Herrn Pieper«, teilte er einem der Arbeiter mit, der sich hinter dem Tor auf seine Schaufel stützte und eine Zigarette rauchte.

      »Pieper nix da«, gab der Mann in gebrochenem Deutsch zurück, während seine Augen dem Zigarettenrauch folgten, der sich in der kalten Winterluft rasch verflüchtigte.

      »Und Herr Beckershoff?«

      Der Arbeiter wies mit dem Kopf zu dem kleinen Gebäude, das sich in einiger Entfernung vor der Felswand zusammenduckte.

      Minter nickte Rosalie zu und dann ging er vor ihr her zum Haus. Die Sonnenstrahlen legten einen harten Glanz auf sein schwarzes Haar.

      Der Steinbruchbesitzer empfing sie in einem dunklen, engen Büro, er hatte einen mächtigen Kinnbart und kleine, schmale Augen, aus denen er sie misstrauisch musterte. Als Minter die Knochen erwähnte, wurde sein Gesichtsausdruck von einer Sekunde zur anderen freundlicher. »Die Skelettteile, selbstverständlich erinnere ich mich an sie«, sagte er. »Hat ja in allen Zeitungen gestanden, dass wir da unter Umständen auf ein ganz tolles Ding gestoßen sind.«

      Er ging zum Fenster und schaute hinaus in den Steinbruch, der immer noch von dem übernatürlichen Winterlicht angestrahlt wurde. »Dachte schon, dass Sie zu diesen Künstlergestalten gehören, diesen Verrückten aus Düsseldorf. Tauchen hier auf und lamentieren, dass wir Gottes schöne Natur zerstören und ihre pittoresken Bildmotive. Früher, ja, da war die Welt in Ordnung, als sie die Schlucht für sich hatten und in den Höhlen ihre Feste gefeiert haben und Gedichte aufsagten und Bilder malten. Aber die Zeiten haben sich geändert, die Industrie schreitet mit wackeren Schritten voran und fordert ihre Opfer von jedem. Und die Künstlerleute haben leicht reden, die tragen ja keine Verantwortung, die haben weder Familien noch Angestellte.«

      Minter warf Rosalie einen Blick zu, halb amüsiert, halb mitleidig. Sie dachte an ihren Vater, der die Zerstörung der Felslandschaft durch den rücksichtslosen Kalkabbau genauso beklagte wie die sorglosen Künstler, von denen Beckershoff gesprochen hatte.

      »Nun, aber deswegen sind Sie ja nicht gekommen, Sie interessieren sich ja für die Gebeine«, fuhr der Steinbruchbesitzer fort. Er wandte sich vom Fenster ab und Minter zu. »Da will ich mal schauen, ob ich die Männer auftreiben kann, die damals die kleine Höhle ausgeräumt haben.«

      Es waren drei Arbeiter, die er kurz darauf in sein Büro brachte, einer von ihnen war der Mann, den sie vorhin am Werkstor gesehen hatten, und Rosalie fragte sich unwillkürlich, ob Beckershoff nicht einfach die erstbesten Männer geholt hatte, auf die er getroffen war.

      »Zwei davon sind Italiener«, sagte Beckershoff, er klang dabei fast entschuldigend. »Sie werden Sie kaum verstehen können, aber zumindest Joseph kann Deutsch.« Er wies auf den größten der drei Arbeiter, einen stämmigen Kerl mit zerzaustem Vollbart.

      Minter räusperte sich. »Sie haben im August die Knochenfunde gemacht?«, begann er. Die beiden Italiener trugen schwarze Schnauzbärte, die in der warmen Ofenluft im Büro zu zittern schienen. Sie musterten Minter mit einer Mischung aus Ungeduld und Unsicherheit.

      »Ich möchte, dass Sie uns genau davon berichten.« Minter holte ein Notizbuch und einen Stift aus der Manteltasche und Rosalie sah, wie sich die Augen der Arbeiter weiteten. »Sagen Sie mir bitte, wie Sie heißen. Und dann erzählen Sie uns von der Entdeckung, alles, jede Einzelheit.«

      Der Vollbart nannte seinen Namen und die seiner Kollegen und wartete, bis Minter sie aufgeschrieben hatte, dann hakte er seine Daumen in die vorderen Hosentaschen und schwieg.

      »In welcher der Höhlen haben Sie die Skelettteile gefunden?«, fragte Minter.

      »In der kleinen Höhle.«

      »Der Feldhofer Grotte?«, fragte Minter.

      Der Bärtige nickte.

      »Berichten Sie also.«

      Er räusperte sich erneut. »Wir sollten den Lehm weghacken und aus der Höhle schaufeln, weil sonst der Kalk nicht abgebaut werden kann.«

      »Die Erde würde den Kalk verunreinigen«, erklärte Beckershoff, der ein wenig abseits stand, an seinen Schreibtisch gelehnt, und dem Mann zuhörte wie ein strenger Lehrer seinen Schülern.

      »Wir haben also den Lehm entfernt«, fuhr der Arbeiter fort.

      »Womit?«, fragte Minter.

      »Spitzhacken. Es war verdammt mühselig.« Erst als die beiden Italiener verlegen lachten, wurde ihm bewusst, dass er in Gegenwart einer Dame geflucht hatte. Sie verstehen jedes Wort, dachte Rosalie, während sich die Haut des ersten Arbeiters zwischen Bart und Augen dunkelrot verfärbte. »War steinhart, der Boden, aber dann war die oberste Schicht erst mal weg und dann wurde es leichter.«

      »Und dann?«

      »Und dann kamen die Gebeine.«

      »In welcher Tiefe?«

      »Ungefähr so«, sagte der Arbeiter und zog seine Hände auseinander, erst in eine Entfernung von vier, fünf Spannen, dann wurde der Abstand größer und dann gingen die Hände wieder aufeinander zu. Minter seufzte und schrieb ein paar Zahlen in sein Notizbuch.

      »Danach haben Sie die Skelettteile zur Seite geschafft?«

      »Wir

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