Quantumdrift. Tilo Linthe
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"Das fragen wir uns auch." Sie knipste den Kupferdraht mit einer Zange von der Rolle und vollendete die Wicklung. "Es gab Experimente dazu. Man hat einem Menschen einen Sender umgeschnallt und ihn von Batox' Jewel nach Arrival und wieder zurück geschickt. Man kannte ja die Entfernung dazwischen. Das Funksignal breitete sich mit Lichtgeschwindigkeit aus, und schon konnte man ausrechnen, wie lang die Reise von Portal zu Portal gedauert hat."
"Und?"
"Es ist keine Illusion. Bei einer Portalreise vergeht keine Zeit, denn die Lichtgeschwindigkeit wird außer Kraft gesetzt. Aber wir haben keine Ahnung, wie." Ein letztes Mal prüfte sie die Qualität ihrer Arbeit. "So. Dann wollen wir die Spule mal wieder einsetzen."
Ganz langsam setzten den umwickelten Eisenkern wieder an seinen Platz. Nachdem die Verkleidung wieder angeschraubt war, legte Theresa einen Schalter um und ein Brummen ertönte.
"Na also, wer sagts denn. Wieder wie neu."
In diesem Moment kam Reiniger um die Ecke. Zufall? Entweder hatte er wirklich die ganze Zeit hinter der nächsten Ecke gelauscht oder er hatte einen Siebten Sinn.
"Gut gemacht", sagte er, nachdem er ihre Arbeit kontrolliert hatte.
Sam war klar, dass dieses Lob allein Theresa galt.
"Jetzt fehlt nur noch die Energiekupplung und dann kannst du Pause machen, Theresa." Sam ignorierte er völlig, was dieser als Kompliment auffasste, da Reiniger nichts fand, um ihn, den Zivilisten, zu kritisieren.
Zum Glück war bei der Energiekupplung nur eine Kleinigkeit zu reparieren. Nur ein Steuergerät war dem EMP zum Opfer gefallen, und das war schnell ausgetauscht.
Nach getaner Arbeit verließen die beiden den Maschinenraum und Sam stand ratlos da. Er wusste nicht, wohin er nun gehen sollte. Hatte er eine Kabine? Gab es eine Gemeinschaftsunterkunft? Wo musste er langgehen?
"Wir haben Gästeunterkünfte, da bist du während dieser Reise untergebracht. Ich bring dich hin. Und unterwegs kann ich dir auch gleich noch erklären, wo die Kantine ist und wie du dich auf dem Schiff am besten zurechtfinden kannst." Sie hakte sich bei ihm ein und zusammen schlenderten sie los. Überall auf dem Schiff zeugten Brandflecken von elektronischen Geräten, die in Flammen aufgegangen waren. Kabel hingen von der Decke, ganze Paneele waren aus der Wand gerissen worden. Überall arbeiteten Besatzungsmitglieder fieberhaft daran, die Elektronik zu tauschen.
Sam bekam sofort ein schlechtes Gewissen, weil er hier wie auf einer Strandpromenade mit Theresa am Arm entlang flanierte, während die anderen arbeiteten.
"Sollten wir ihnen nicht helfen?"
"Nein. Im Moment besteht keine unmittelbare Gefahr und wir müssen zwischendurch Pausen machen. Wir sind schließlich keine Maschinen. Also mach dir keine Sorgen."
Nach einer Tour durch das Schiff blieben sie schließlich vor einer der Türen auf einem langen Gang stehen. Theresa schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das selbst die Eiseskälte des Weltraums auf Zimmertemperatur gebracht hätte. Sam stutzte, als er sie ansah. Sie betätigte den Türöffner, und zum ersten Mal wirkte sie leicht verlegen. Sam trat ein und warf sich aufs Bett - zumindest so gut es mit der Schwerelosigkeit möglich war. Hinter sich hörte er das Zischen der sich automatisch schließenden Tür. Er war hundemüde. Doch als er sich auf den Rücken drehte, war er schlagartig wieder hellwach. Er war nicht allein im Raum.
"Es gibt eine Theorie", sagte Theresa. Selbst wenn sie verlegen war, blieb sie ihrem Naturell getreu offensiv. "Ich weiß nicht genau, ob sie wirklich stimmt, aber angeblich erhöht sich die Libido, wenn man in Lebensgefahr war. Psychologen behaupten, das sei die unbewusste Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit, die einen veranlasst, mit Nachwuchs dafür zu sorgen, dass das Leben weitergeht."
Sam richtete sich auf, als sie ihren Technikeroverall langsam aufknöpfte. Wieder stieg die Hitze in seinen Lenden auf, heißer als zuvor.
Er erwiderte mit belegter Stimme: "Da könnte was dran sein …"
Der Overall glitt an ihr herab und sie bewegte sich langsam auf Sam zu, begann ihn vorsichtig aus seiner Kleidung zu schälen - bei Schwerelosigkeit kein leichtes Unterfangen. Daher dauerte es eine Weile, bis sie wirklich zueinanderfanden. Doch nachdem sie es einmal raushatten, war es eine interessante Erfahrung für Sam.
Batox' Jewel
In den nächsten Tagen stellte sich für Sam eine Routine ein, die ihm guttat. Sie gestattete ihm, die überwältigenden Eindrücke zu verarbeiten und sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen. So erschrak er beispielsweise nicht mehr, wenn er zufällig auf seine goldgelben Hände blickte, und er kam schon fast so gut mit den Magnetstiefeln und der Schwerelosigkeit klar wie Reiniger, der durch Gänge und Maschinenraum pflügte, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. McQuire beobachtete ihn, so schien es Sam. So gut es ging versuchte er das ungute Gefühl und dessen sezierenden Blick zu ignorieren. Captain Connor bekam Sam gar nicht mehr zu Gesicht, und mit Theresa reparierte er Schaltkästen, tauschte Leiterplatten und andere Komponenten. Jeden Abend brachte sie ihn zu seiner Kabine und am nächsten Morgen verließen sie den Raum zusammen wieder.
Eines Tages ertönte ein tiefes Brummen, das man eher in den Eingeweiden spürte als es zu hören. Die Maschinen liefen wieder - endlich. Man konnte die Erleichterung der Besatzung fast schon mit Händen greifen.
Durch die Beschleunigung wurde wieder Schwerkraft erzeugt, die alles Schwebende scheppernd zu Boden fallen ließ.
Doch die Routine veränderte sich trotz der Schwerkraft kaum. Die Wochen vergingen wie im Flug. Es war das gleiche Phänomen wie im Urlaub: Die ersten Tage erschienen einem besonders lang, weil das Gehirn die neuen Eindrücke, Andersartigkeiten und ungewohnten Tätigkeiten verarbeiten musste. Aber schon nach ein paar Tagen war einem vieles vertraut und neue Routinen stellten sich ein. Die grauen Zellen schalten in den Automatikmodus um, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, und die Zeit scheint viel schneller zu vergehen.
Und schließlich war es so weit: Ihr Ziel, der Planet Batox, kam in Sicht und wurde, während sie sich näherten, zusehends größer. Theresa führte Sam in einen kuppelartigen Raum, den sie bei ihrer ersten Tour durch das Schiff ausgelassen hatten. Er war übersät mit halbrunden, aus den Wänden ragenden Kugeln. Sie erinnerten Sam an Überwachungskameras auf Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Im nächsten Moment sog er überrascht die Luft ein, als seine Umgebung vor seinen Augen verschwamm und er mitten im Nichts zwischen den Sternen stand. Theresa drückte seine Hand, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Zusammen mit ihm stand sie in diesem Nichts und lächelte.
"Wir nennen das hier 'Tank'. Die Halbkugeln sind Hologrammprojektoren, die die Bilder der Außenkameras rund um das Schiff in diesen Raum projizieren."
Sam schaute nach unten und erblickte einen Planeten, der auf den ersten Blick wie die Erde aussah. Blau und Braun herrschten vor, doch die fremdartigen Umrisse des Festlands verrieten, dass es nicht die Erde war. Über dem Planeten drehte sich majestätisch eine Raumstation um ihre eigene Achse, die der in der Umlaufbahn Brokens zum Verwechseln glich.
In der Ferne sah man eine feurige, in Gelb- und Rottönen flackernde Sonne vor dem Hintergrund vieler Sterne, die hier viel dichter standen, als über der Erde.
Sam schaute wieder nach unten. Inzwischen füllte die Station das gesamte Blickfeld aus, was ihm ihre Ausmaße bewusst machte. Sie steuerten auf den größeren Ring zu, flogen durch dessen freien Innenraum und näherten sich dem inneren Rand, der als riesige, krumme Wand