Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman. Marisa Frank
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Josef Buchner war unverheiratet und liebte alle Blumen, als wären sie seine Kinder, wie seine Untergebenen halb spöttisch, halb anerkennend bemerkten. Er sprach auch mit ihnen, weil er der festen Überzeugung war, sie würden schöner blühen, wenn man sie bat oder lobte oder ihre Schönheit bewunderte. Und wenn man die blühende Pracht im Schloßpark betrachtete, so glaubte man gerne daran, daß dies zutraf.
Aber wenn die Blumen, die Tulpen und Narzissen, die Maiglöckchen und Margeriten, die Dahlien und Astern, Rittersporn und Eisenhut, Ranunkeln und Glyzinien, Kapuzinerkresse und Stiefmütterchen und wie sie alle heißen mochten, die von Frühling bis Herbst in den Rabatten des Parks blühten und dufteten, seine Kinder waren – die Rosen liebte er über alles, sie waren seine Geliebten! Die Strauchrosen und Polyantha und vor allem die herrlichen, duftenden Edelrosen.
Die Menschen teilte Buchner in zwei Kategorien: Solche, die Blumen liebten und solche, die kein aufrichtiges Verhältnis zu ihnen hatten. Letztere mochte er nicht.
Zu letzteren gehörte Gräfin Roswitha Sternheim, seit einigen Wochen Baronin Herrenberg. Sie legte zwar immer größten Wert darauf, daß in sämtlichen Zimmern prächtige, dekorative Sträuße standen, aber keineswegs, weil sie Blumen liebte, sondern nur, weil es eben sich so gehörte. Am liebsten hätte Buchner ihr lauter künstliche Blumen verpaßt. Aber sogar im Winter gab es in den Glashäusern der gräflichen Gärtnerei die schönsten exotischen Blüten.
Tja, diese Hochzeit! Buchner schüttelte den Kopf, wenn er nur daran dachte. Man konnte nur hoffen, daß der verstorbene Herr Graf auch drüben in der anderen Welt nichts davon mitbekommen hatte. Obgleich man dort wohl nichts mehr so tragisch nahm, was alles hier auf der Welt passierte.
Die arme Komteß! Und wie eklig alle zu ihr waren – dabei war sie das liebenswürdigste Geschöpf, das ihm je begegnet war und dazu so schön wie – wie eine Rose. Eine Edelrose! Er nickte und lächelte. Dann furchte sich seine Stirn. Ob das der Grund war? Oder einer der Gründe? Schön war die Frau Gräfin, die jetzige Baronin, auch, aber von einer harten, kalten Schönheit. Nein, wenn jemand so kalt aussah, konnte man ihn – so war zumindest Buchners Ansicht – keinesfalls als wirklich schön bezeichnen.
Alles, was Rang und Namen hatte, war zu der Hochzeit erschienen, es war das gewesen, was man so einen ›großen Auftrieb‹ nennt.
Nur die Tochter des Hauses, Komteß Angelina, hatte man nicht dabei haben wollen. Ihre Mutter hatte ihr erlaubt, an diesem Tag einen Besuch in ihrer ehemaligen Schule zu machen. Das erste und einzige Mal war das gewesen. So eine Hexe!
Und seit der Hochzeit redeten alle davon, daß die Komteß nicht nur ein zu kurzes Bein habe, daß auch ihr Verstand zu kurz gekommen sei. So ein Unsinn! Jeder, der sie nur flüchtig kannte, mußte sehen, daß sie sogar besonders klug war. Wenn er nur daran dachte, wie sie sich für seine Blumen interessierte, besonders für seine Lieblinge – die Rosen! Wie geschickt sie war und mit wieviel Geschmack sie es verstand, die Sträuße und Tischdekorationen zu binden und zu stecken. Beinahe besser noch als er. Natürlich durfte ihre Mutter nichts davon erfahren, daß er sie in Blumenbinden und Floristik im Allgemeinen unterwies. Ihr lag offensichtlich daran, sie als geistig behindert hinzustellen – genau wie diesem widerlichen Kerl, der sich nicht geschämt hat, seine eigenen, mißratenen Kinder zur Hochzeit einzuladen und Angelina wegzuschicken. Bestimmt ging es um Geld.
Wahrscheinlich war etwas im Testament des verstorbenen Grafen, das ihnen nicht behagte. Arme Komteß! So, wie man sie vor aller Welt absonderte und ausrichtete, würde ihr niemand zur Seite stehen.
Damit hatte Buchner recht. Sogar jene, die an Roswitha, jetzige Baronin Herrenberg, eine Menge auszusetzen hatten, kamen nicht auf den Gedanken, daß sie ihr eigen Fleisch und Blut als geistig behindert hinstellen könnte, wenn es nicht wirklich zutraf.
»Ein Glück, daß der arme Robert das nicht mehr miterlebt hat, daß sein einziges Kind – hm – krank ist«, pflegten sie zu sagen und hatten vollstes Verständnis dafür, daß Roswitha den Betrieb aus Sorge um sein Weiterbestehen mit Hilfe des schlauen Rüdiger Herrenberg selbst verwalten wollte.
Es war noch etwas vorgefallen, was die sich so einigen Neuvermählten darin bestärkte, daß man Angelina auf keinen Fall in die Gesellschaft einführen sollte. Etwas, wovon Buchner nichts ahnte.
Zurück aus dem Internat hatte sie ihrer Mutter, in der Hoffnung, ihr damit eine Freude zu machen und vielleicht zu erreichen, daß sie es sich doch noch anders überlegte, ihr hervorragendes Zeugnis vorgelegt und das Buch gezeigt, das sie als Preis erhalten hatte.
Ihre Mutter hatte mit angewidertem Gesicht ihr beides aus der Hand genommen und an den neben ihr am Frühstückstisch sitzenden Baron weitergereicht – Angelina aß allein auf ihrem Zimmer –. Der Baron war etwas beherrschter und vielleicht auch klüger.
»Sehr schön«, sagte er, »wirklich sehr schön, dieses Zeugnis.«
»Danke«, sagte Angelina leise, und da nichts weiter kam, keine Aufforderung, sich zu ihnen zu setzen, nahm sie Zeugnis und Buch und verließ das Zimmer.
Eine Weile schwiegen die beiden, dann meinte Herrenberg:
»Du mußt dich ein wenig zusammennehmen, meine Schöne.« Roswitha verzog verärgert das Gesicht. »Doch, doch! Ich fürchte nämlich, daß wir in einem Gerichtsverfahren Angelina keineswegs als geistig behindert hinstellen können.« Und als sie auffahren wollte: »Nein, nein, meine Liebe, wir müssen es anders machen. Sozusagen mit ihr im Guten auseinandergehen.«
»Und wie soll das geschehen?« Roswitha konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß jemand freiwillig auf solche Reichtümer verzichtete.
»Inwieweit ist denn Angelina überhaupt eingeweiht, was die Höhe des Vermögens betrifft? Weiß sie überhaupt, daß außer dem Schloß und dem Gutsbetrieb noch anderer Besitz vorhanden ist?«
Roswithas Augen leuchteten auf.
»Ich glaube nicht. Aber das wäre herauszubringen. Oh, das ist eine großartige Sache. Dann erzählen wir ihr, wie schlecht die Landwirtschaft dasteht – davon hat sie sicher schon gehört –, und daß wir den Betrieb samt dem Schloß verkaufen müssen, wenn nicht alles in erfahrene Hände kommt. Worüber ihr Vater sehr unglücklich wäre.« Sie lachte, erleichtert, endlich d i e Lösung gefunden zu haben.
»Und wir können uns leisten, den Besitz zu erhalten, weil ich, wenn meine Kinder als Erben eingesetzt werden, großzügig mein Vermögen hineinstecke«, setzte Herrenberg noch drauf. Als er das mißtrauische Gesicht und Schweigen seiner Frau bemerkte, lachte er: »Keine Sorge, meine Schöne, du bleibst Eigentümerin. Nur als Nacherben.«
»Ich verstehe.« Roswitha atmete auf, war aber doch entschlossen, sich noch anderweitig beraten zu lassen, bevor sie irgend etwas unterschrieb.
Da Angelina, um verzichten zu können, erst volljährig sein mußte, bereitete Herrenberg zwar alles vor, sprach mit seiner Stieftochter allerdings nicht darüber. Er und Roswitha sorgten nur dafür, daß sie so gut wie mit niemandem zusammenkam. Nachdem man überall verbreitet hatte, daß die arme Tochter des armen Robert nicht normal sei, wurde sie auch nicht mehr zu den Festen eingeladen, die der Adel für seine Kinder zu geben pflegte.
Angelina vermutete, daß dies wegen ihres Gebrechens wäre, weil sie eben ein häßlicher Krüppel war. Und sie zog sich freiwillig noch mehr zurück und wurde immer schüchterner und unsicherer. Der einzige Mensch, bei dem sie ihre Hemmungen vergaß, war der alte Gärtner.
Buchner freute sich über ihre Besuche und forderte sie auf, so oft zu kommen, wie sie nur Zeit habe.