Matrix-Liebe. Traian Suttles

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Matrix-Liebe - Traian Suttles

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projection of your digital self«. Dieses Restbild – ein Hirnforscher würde vielleicht von einer Körperrepräsentation sprechen – wird offensichtlich in Code umgesetzt, da es ja von einem im Konstruktprogramm anwesenden Beobachter wie Morpheus wahrgenommen werden kann. Der tiefere Wert dieser Information dürfte sich Neo erst sehr viel später erschließen, sprich dann, wenn er wieder grübelnd in seiner Kabine sitzt. Ihm dürfte klar werden, dass er in der Matrix jederzeit in der Lage war, eigene Willenshandlungen zu begehen: also etwa einen Fernseher einzuschalten, sich das Programm anzuschauen, über dessen Inhalt nachzudenken und den Apparat wieder auszustellen – oder auch, das Gerät durch Hinausschleudern aus dem Fenster unbrauchbar zu machen. Über das Interface in seinem Gehirn werden diese seine Willensakte in die Matrixwelt geleitet; er kann mit den dort versammelten virtuellen Gegenständen interagieren und sie sogar zerstören, sofern es den bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten entspricht. Eine ganz zentrale Frage – und zwar genau die, die zur Thematik des Auserwählten führt! – ist dann aber, ob „unerwünschte“ Willenshandlungen oder Wünsche, deren Realisierung die Scheinphysik der Matrix aufdecken würden, von diesem Interface sicher abgefangen werden können. Das „Restbild“ im Konstrukt könnte man ja als Wunschbild aus den Tiefen der menschlichen Psyche interpretieren, etwa so, wie man sich auch in einen Traum hineinprojiziert (und Morpheus spricht wohl nicht umsonst wie ein Psychologe von einer »Projektion«). Im Konstruktprogramm werden solche wunschmäßigen Selbstbilder erstmals bewusst erfahrbar; Neo erscheint so, wie er „sein will“, wie er sich selbst gerne sieht. In der Matrix hingegen muss einem Großteil solcher Regungen vorprogrammierter Widerstand entgegengesetzt werden, was bereits ein Faktor dafür sein könnte, dass manche Matrizianer so etwas wie externe Unterdrückung verspüren und ihre Umgebung auch nach langer Gewöhnung nicht annehmen wollen. Der Auserwählte (von dem Neo hier natürlich noch nichts weiß) ist dann jemand, der einen Schritt weiter zu gehen vermag: er kann die Unterdrückung unerlaubter »mentaler Projektionen« gänzlich überwinden und der Matrix seinen Willen aufzwingen.

      In diesem Zusammenhang kann Clover (2004, S.64f.) so gelesen werden, dass der geheimnisvolle Effekt des residual self image, wie er im Konstruktprogramm „ungefiltert“ zur Wirkung kommt, zu einem gewissen Teil von allen Rebellen in die Matrix hineingetragen wird (also nicht nur vom späteren Auserwählten). Hat ein Redpiller erst einmal gelernt, wie die Matrix ihn einst manipulierte, und zudem den Effekt des persönlichen, stabilen Restbildes im Konstrukt erfahren, so kann er einen Teil dieser neu erlebten, aus seinem tiefsten Inneren gespeisten Autonomie aufrechterhalten, wenn er in die Matrix zurückkehrt. Der von Clover (ebd.) ausgemachte Indikator sind die mit fetischistisch anmutender Liebe (und als Herausforderungsgeste gegenüber den Agenten?) getragenen Sonnenbrillen der Rebellen – genauer gesagt, dass diese bei Kämpfen und anderen starken Krafteinwirkungen erstaunlich stabil sitzen (bestes Beispiel ist der »Burly Brawl« in Reloaded, in dem Neo trotz etlicher gegnerischer Treffer bis zum Ende stylish sonnenbebrillt bleibt). In den Sonnenbrillen, aber auch ihrer sonstigen Kleidung durchdringen sich Matrix-Code und Matrix-Bewusstsein der Redpiller. In diese oberste Schicht über ihrem virtuellen Körper setzt sich ihre „entkoppelte“ Körperlichkeit fort und zeigt eine dementsprechende Widerständigkeit gegen die Gesetze der Matrix. Der autonome Kern, den jeder Matrizianer tief in seinem Innersten besitzt und ihn zu Zweifel und Rebellion befähigt, ist nach dem Befreiungserlebnis also ausgeweitet, umfasst den ganzen Körper und auch jene „uneinheitliche“ oberflächennahe Zone, in der Körperliches mit Nicht-Körperlichem zusammentrifft respektive sich durchdringt (Bewusstseinsforscher sprechen von einem peripersonalen Raum). Die Sonnenbrillen sind hierbei natürlich als das Kleidungsstück mit dem stärksten Symbolgehalt zu verstehen (Clover 2004, S.65):

      »They’re certainly not optical devices; who would need such a thing in the Matrix, which is itself a huge optical device? Their very unnecessariness underscores the symbolic gesture: each set of lenses is a stylised version of the mediating screen that tints the world without itself appearing.«

       Deep Image – Wahrheit via Monitor

      Der Effekt des residual self image ist sicherlich einer der rätselhaftesten, aber auch wichtigsten Aspekte, wenn es um die geistige Versklavung in der Matrix und deren Überwindung geht. So gesehen wirkt es wie ein gewollter Kommentar, wenn auf dem altertümlichen, im Konstrukt stehenden Fernsehgerät der Schriftzug Deep Image auszumachen ist. Doch es lassen sich noch mehr Bedeutungen ausmachen, da der gezeigte AWA Radiola Deep Image-Fernseher aus dem Jahr 1958 stammt. Damals wurden nicht nur integrierte Schaltkreise erfunden, welche gut zehn Jahre später eine Massenproduktion von Computern erlaubten, erstmals im Schrifttum nachweisbar ist auch die Begrifflichkeit einer technischen »Singularität«. John von Neumann (1903-1957), bekannt als genialer Mathematiker und „Vater der Informatik“, soll einen solchen Grenzpunkt der technischen Evolution, hinter dem alle Tätigkeiten des Menschen zurückbleiben (oder gar enden) müssten, vorausgesagt haben (Ulam 1958, S.5). Und auch ein cineastisches Zitat lässt sich vermuten: in They live (1988) versuchen Widerstandskämpfer, die „schlafende“ Menschheit mit Hilfe illegaler TV-Botschaften zu wecken; in einer von diesen ist von einer absichtsvollen Veränderung der Erdatmosphäre seit 1958 die Rede (letzteres entfiel in der deutschen Synchro).

      Es passt also sehr gut, dass Neo über diesen virtuellen Vintage-Gegenstand zur Erkenntnis neuer „Basiswahrheiten“ geführt werden soll.32 Morpheus schaltet das Gerät ein und erläutert, dass die Welt, wie es sie einst zum Ende des 20.Jahrhunderts gab, nur noch in Form einer neurointeraktiven Simulation existiert: als »die Matrix«. Das erste Fernsehbild zeigt die Skyline einer modernen Großstadt. Dann schaltet Morpheus auf Großstadtszenen um, die jedoch allesamt modifiziert sind: wir sehen eine Menschenmenge, die sich in Zeitlupe bewegt, sodann Autos, wie sie im Zeitraffer gefilmt über eine Schnellstraße hinwegschießen. Die letzte Einstellung schließlich ist eine Flugaufnahme über die Dächer von Wolkenkratzern, aufgenommen mit einer Fisheye-Optik. Ziemlich offensichtlich handelt es sich um eine Hommage an den zivilisationskritischen Experimentalfilm Kooyanisqatsi (1983), der mit entsprechenden Verfremdungstechniken arbeitete. Das titelgebende Wort aus der Hopi-Sprache kann als „aus dem Gleichgewicht geratenes Leben“ übersetzt werden. Wie Morpheus gleich darauf zeigt, ist die Zivilisation nicht nur aus dem Gleichgewicht geraten, sondern gestürzt: Die Realaufnahme der Metropole, wie sie jetzt, zu diesem Zeitpunkt aussehen soll, zeigt komplett verfallene, ausgebombt und verbrannt wirkende Skylinereste unter einem wolkenverhangenen, grauschwarzen Himmel (Hurka 2004 S.256 spricht herrlich von »Beckett-Grau und Beckett-Gewölk«). Das Konstruktprogramm übernimmt diese Realbilder aus dem Fernseher, um Morpheus und Neo darin einzubetten – scheinbar sitzen sie am Fuß eines Abhanges, inmitten einer finsteren Geröllwüste. Morpheus kommentiert den Effekt mit den Worten: »Willkommen in der Wüste Wirklichkeit« – Baudrillards Simulacra and Simulation paraphrasierend.33

      Neo erfährt, dass die Menschheit irgendwann zu Beginn des 21.Jahrhunderts in einen mörderischen Krieg mit den von ihr selbst geschaffenen Künstlichen Intelligenzen verwickelt wurde. Da man die KI-Systeme von Solarenergie abhängig glaubte, verdunkelte die Menschheit in einer letzten verzweifelten Anstrengung den Himmel, doch die Aktion verfehlte ihr Ziel. Die KIs übernahmen die Herrschaft auf der Erde, während die letzten Widerstand leistenden Menschen ins Erdinnere flüchteten. Der Großteil der besiegten Menschheit wurde von den KIs in einen komatösen Zustand versetzt, ihre Leiber dienen als bioelektrische Energiequelle, die – kombiniert mit einer fortschrittlichen Fusionstechnik34 – den Energiebedarf der Maschinen deckt. All diese in einem ständigen, technisch überwachten Schlaf existierenden Menschen kennen nur die virtuelle Matrixwelt, in der sie – soll heißen, ihre virtuellen Leiber, welche man Avatare nennen könnte – ein scheinbar autonomes Leben führen. Sie altern und sterben in ihren Kokons, und parallel auch in ihrem scheinrealen Matrixleben. Nach ihrem Tod werden sie zu Nährlösung für neue Generationen recycelt (was Seeßlen 2003, S.80 zu Recht an Soylent Green von 1973 erinnert): künstlich gezeugte Embryonen, deren Zentrale Nervensysteme von Anfang an mit den Datenströmen des Matrixprogrammes beschickt werden.

      Etwas verwundert muss

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