Matrix-Liebe. Traian Suttles

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Matrix-Liebe - Traian Suttles

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Note zu verleihen. Ihn scheint weniger sein Körper (im Sinne des rein Äußerlichen) zu beschäftigen als vielmehr seine Existenz. Seeßlen (2003) breitet diese Sichtweise in beinahe obsessiver Manier aus: die des jungen Mannes, der noch nicht in der „Welt“ angekommen ist, weil er gute Gründe besitzt, das Ankommen zu verweigern.

      Der sechsundzwanzig Jahre alte Neo (zur Altersangabe siehe Kapitel »Verhör und Verwanzung«) arbeitet als Programmierer in einer Softwarefirma, bürgerlich heißt er Thomas A. Anderson. Seine eigentliche, in Nächten und an Feiertagen gelebte Berufung jedoch ist die eines Hackers – „Neo“ ist sein Hackername. Unter diesem Alias geht er den Fragen nach, die ihn beschäftigen, genauer gesagt seit langem schon bedrängen: seinem „Unbehagen in der Kultur“ des späten 20. Jahrhunderts. Er ist im Berufsleben unglücklich und spürt, dass nicht nur in seinem Dasein, sondern in der gesamten Umwelt, wie sie ihn bisher geprägt hat oder zu prägen versuchte, etwas nicht stimmt. Dass er auf einem meisterlichen Hackerlevel steht, kann man daran ersehen, dass er bereits einige hochinteressante Hinweise aufgespürt hat. Doch seine Attitüde ist alles andere als selbstverliebt; ganz im Gegenteil spürt er nagende Unzufriedenheit mit sich und seinem bisherigen Kenntnisstand, so dass er seine Wahrheitssuche mit unverminderter Intensität vorantreibt.

      Als Folge dieser Anstrengungen ist Neo, musikhörend vor seiner Bildschirmfront sitzend, eingeschlafen (und bemerkt jenen »Morpheus« auf den Nachrichtenseiten nicht, dessen Name passenderweise dem Ovidschen Gott des Schlafes und der Träume entspricht). Auf seinem Kopfhörer läuft »Dissolved Girl« von Massive Attack:9 wenn man so will, ein Verweis auf die im Cyberraum (wie auch in Neos Sehnsüchten?) verteilte Trinity, die sich soeben anschickt, auf Neos Rechner „auszukristallisieren“ – und ihm etwas später, beim Aufeinandertreffen im Underground-Club, erstmals von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen wird (sofern man dies bei virtuellen Körpern sagen darf).

      Neos Hauptbildschirm, über den die Nachrichtenseiten flimmerten, wird plötzlich schwarz. Sein Unterbewusstsein scheint auf diese Änderung in seinem Zimmer sofort zu reagieren, wie auf ein ungewohntes Geräusch – er blinzelt und erwacht. Passend dazu liest er die Worte »Wake up, Neo…« auf dem Monitor, gefolgt von »The Matrix has you…«. Wie sich später zeigen wird, ist Neo das Reizwort »Matrix« nicht unbekannt; es ist zu einem geheimnisumwitterten Schlüsselbegriff seiner nächtlichen Cyberraumreisen geworden.10 Wohl deshalb muss die ganze Szene etwas höchst Irreales für ihn haben, und der nächste Satz liest sich vollends kryptisch: »Follow the white rabbit…«. Instinktiv bedient der soeben Erwachte die Tastatur und versucht die Kontrolle über seinen Rechner zurückzuerlangen, doch dann koinzidiert die vierte auf dem Schirm erscheinende Botschaft »Knock, knock, Neo« mit einem Klopfen an seiner Zimmertür. Ein kurzer Blick Neos in diese Richtung und seine Frage, wer da sei (es ist sein Freund Choi und dessen Clique), genügt – als er wieder auf den Bildschirm schaut, zeigt dieser völlige Schwärze. – War alles nur ein Traum, oder eine Folge von Aufwachbildern?11

      Der Begriff »Matrix« erscheint in dieser Szene zum ersten Mal – natürlich in grüner Schrift vor schwarzem Hintergrund –; er ist vielfach aufgeladen und für Neo bisher unentschlüsselbar. Eine der Auslegungen, wie die Interpreten des Filmes sie später dem Publikum präsentierten, dürfte aber recht nahe an den Bedeutungskomplex heranreichen, dem Neo bei seinen Elukubrationen auf der Spur ist (Faller 2004, S.1):

      »(…) the idea of the Matrix closely parallels our internet, a worldwide network of computers. This network we call the World Wide Web depends on the interconnectivity of each computer to create the fabric of the virtual community. On one level the Matrix is a symbol for the internet and its intersection with pop culture. (…) Maybe the Matrix is first and foremost a cyber-symbol – a symbol of the way computers are changing our culture, and of what we hope and fear our culture might become.«

      Als Neo die Zimmertür öffnet, erkennt der Zuschauer auf dieser die Nummer 101. Seeßlen (2003, S.70) verweist auf das entsprechende Zimmer der Ängste in Orwells 1984; dem obigen Zitat Fallers entsprechend scheint das Internet Neo in einen wahren Abgrund hineingezogen zu haben. Wie bald deutlich wird, haben diese Einblicke mit Morpheus zu tun; er ist derjenige, der Neo auf eine alptraumhafte Wirklichkeit vorbereitet – einen Alptraum, der über alles hinausgeht, was der junge Hacker sich vorstellen kann.

      9 Witzig ist, dass die Wachowskis auch hier wieder (d.h. wie im Vorspann) ein Spiel mit den Zahlen 5 und 6 treiben: Bei einer kurzen – sicherlich nicht unabsichtlichen! – Kamerafahrt entlang Neos CD-Player sieht man, dass dieser gerade den Track Nr.5 spielt. Auf dem Mezzanine-Album von 1998, mit dem »Dissolved Girl« auf den Markt kam, ist dies aber Track Nr.6.

      10 Entlehnt aus der im Vorkapitel schon erwähnten Trashvorlage Neuromancer von William Gibson (1984). Der erste Satz, in dem das Wort auftaucht, lautet in deutscher Fassung (Gibson 1987, S.12): »Alles Speed, das er nahm, alle Streifzüge in die Gassen und Winkel von Night City halfen nichts; immer noch sah er im Schlaf die Matrix, helle Gitter der Logik, die sich über der farblosen Leere entfalteten…«

      11 Also eine Abfolge sogenannter hypnopomper Bilder, im Gegensatz zu hypnagogen Bildern (= Einschlafbilder).

       Follow the white rabbit: Neo und Trinity

      Aber auch seine bisherigen Realitäten außerhalb des www sind für Neo ein ziemliches Grauen. Im Job auf der untersten Stufe der Karriereleiter stehend verdient er so wenig Geld, dass er sich keine bessere Wohnung als seine winzige Mansardenbude leisten kann. Um über die Runden kommen beziehungsweise technisches Equipment kaufen zu können, vertickt er Hackerhilfen für Gleichgesinnte – wie eben für seinen Kumpel Choi, der gerade mit seinen ausgehbereiten Jungs und Mädels vor der Tür steht. Neo nimmt 2000 Dollar in bar entgegen; dann sucht er aus einem Versteck den gewünschten Datenträger heraus: dieser verbirgt sich in dem weiter oben schon erwähnten, zum Behältnis umfunktionierten Buch Simulacra and Simulation,12 das somit selbst nur ein Simulakrum ist.

      Die betreffende Szene wurde vielfach ausgedeutet, etwa, da der Buchumschlag von Neos Exemplar keinen Autorennamen zeigt, es deutlich voluminöser wirkt als die bekannten Auflagen – vielleicht eine Reverenz an die »green box« in Still of the Night (1982) – oder das Schlusskapitel »markant in die Mitte gerückt ist« (Watson 2003, S.131). Als Neo den Band öffnet, um den Datenträger (eine Minidisk) hervorzuholen, kann man auf den links befindlichen Seiten den Anfang des Schlussaufsatzes »On Nihilism« erkennen. Aus den Seiten rechts davon ist der Text in Form einer rechteckigen Aussparung sauber herausgeschnitten worden; der bis auf den Einband reichende Leerraum enthält mehrere versteckte Datenträger. Clover (2004, S.29, S.31f.) deutet dies anhand eines Slavoj Žižek-Zitats, demzufolge die Lügenwelt, in der Neo sich bewegt, nicht – wie er und viele Gleichgesinnte annehmen – sprachlich gesteuert ist: simpler Computercode, »passing and non-passing of the electrical signal«, hat die sprachlichen Manipulationen der Vergangenheit abgelöst (wobei – angesichts der ungeheuren Simulationsleistung der Matrix – wohl eher ein Quantencomputer anzunehmen ist, also kein klassischer binärer Code mehr). Nicht nur das Buch, sondern alle Gegenstände in Neos Welt sind täuschende Hüllen, in denen sich in Wirklichkeit Computercode verbirgt. Von dieser Wahrheit ist Neo trotz größter Anstrengungen jedoch sehr weit entfernt; das einzige, was er hat, ist der geheimnisvolle Begriff »Matrix« (also – da unausgedeutet – ebenfalls eine leere Hülle!). Neo fragt sich schon seit geraumer Zeit, was genau hiermit bezeichnet sein könnte, und ahnt nicht, dass er mit seinem Datenträger-Versteck regelmäßig ein perfektes Sinnbild in der Hand hält.

      Sein Kumpel Choi, der die Minidisk hoch erfreut annimmt, bemerkt, wie überanstrengt Neo aussieht. Im kurzen Dialog zwischen Neo und Choi steckt jede Menge hintergründiger Humor; Chois Bemerkungen »You are my saviour – my own personal jesus«, »This never happended. You don’t exist« sowie »Hey, it just sounds

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