Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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meiner Landsleute, meiner toten oder ohne Landsleute sterbenden Landsleute, viel besser erklärt haben, als ich es je hoffen könnte (Schneidermann, er hatte immer die Kultivierung eines negativen Kanons empfohlen),

      und wie ich sehe, hören Sie jetzt zu! aber ich bin kein Jesaja, kein Jeremia, wir sind hier nicht bei Hesekiel 14,1–11 (die Verse, die Schneidermann am liebsten mit Musik unterlegte), das ist hier keine Apologia oder zumindest noch nicht,

      nicht Ihnen gegenüber und nicht gegenüber Schneidermann, der – und vor keinem Senatsausschuss nenne ich die Namen Lebender (wie Ihr Vater das getan hat, Mr. Rothstein, und im Frühling 1950 damit die Party platzen ließ),

      weil die alten Ägypter glaubten, die Benennung wäre eine Inbesitznahme, Eigentum laut Schneidermann, 10/10tel von allem göttlichen Recht und,

      egal, besser man hat jeden Namen, mit dem die Leute, das Medienkonsortium, die Ex- und weiterhin Frauen, die Kinder einen ansprechen können: Polyonymer Schmock, denn ich werd Ihnen sagen, was Sie tun können und lassen müssen,

      denn irgendwer muss das ja machen, aber zuerst wollen wir diesen neuen Polizeizustrom willkommen heißen, Sondereinsatzkommandos, diese Armee gesunder und munterer junger Männer auf Urlaub von privaten Wohnzimmerfehden: Überreaktionen, von mir aus, und ich begrüße den Polizeichef dieser feinen Urbis und den Vorsitzenden dieses schönen Konzertsaals, die da gerade den Mittelgang herabkommen, im Gleichschritt, als wollten sie sich verbindlich von mir segnen lassen – dabei soll ich gebunden werden, nicht wahr?

      Guten Abend, meine Herren, ich sage das ganz ohne Ironie, nein – von mir? Chef, kennen Sie zufällig das Werk des großen klassischen Philologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff? Nein? Sollten Sie aber.

      Die Orphik war nämlich keine Religion, Orphika waren nicht zu verehren, die Orphik war keine Theologie, sondern eine Kunst, verstehen Sie das? Denn im Grunde ist Religion Kunst ist Philosophie ist

      REINER GENUSS, vielleicht, wie der Slogan auf meinen Lieblingsschokoriegeln, der Schokoriegel, den ich gern esse, aber nicht essen sollte, der Schokoriegel, den ich mir im Kino mit Schneidermann teilte (Nougat war SPIELBERG vorbehalten, bei allen anderen gab es nur Nüsse und Karamell),

      REINER GENUSS der Slogan auf dem Schokoriegel, den ich uns bei den Matineefilmen kaufte, aber Schneidermann, er wickelte ihn immer schon vorher aus und verputzte ihn,

      und dann brachte ich JOHNNIE WALKER RED LABEL WHISKY mit für die COCA-COLA CLASSIC, die ich ihm immer kaufte, und Popcorn, das mit etwas überzogen war, das sich als Butter ausgab (Ejakulat, fürchtete Schneidermann immer),

      obendrauf lag das Buch, das Schneidermann beim Matineefilm durchlesen wollte, und bekam immer Fettflecke – Sie hören auch bestimmt zu, Mr. Rothstein? das muss doch ein Symbol unserer Zeit sein:

      ein Mann liest in einem Kino, ein Mann liest ein brennendes Buch bei einem Kinobrand – ein besseres Symbol wäre vielleicht der Mann, der auf der Straße eine Kreditkarte fand, sie benutzen wollte, aber sie war schon gesperrt, also brach er sie durch, halbierte sie so, dass er eine scharfe Kante bekam, und mit dieser primitiven Waffe schnitt er einer Verkäuferin die Kehle durch, metzelte sie, ermordete sie, um zu stehlen, was er wollte; ich glaube, das war in einem Schuhgeschäft in Queens, genau, der Mann, von dem ich in der Zeitung von gestern gelesen habe, wird herhalten als ein ausreichender Repräsentant unserer Welt, unseres Hier und Jetzt, oder vielleicht ein Aids-bewusster Rapper, wer weiß?

      oder die Schauspielerin, die ihren – hohen – Lebensunterhalt in dieser Spielzeit damit bestreitet, oben ohne, aber nur in künstlerisch wertvollen Schwarzweißfilmen aufzutreten?

      oder der schwarze Richter in allen Schlüsselszenen in Gerichtsdramen, weil Richter im Film heutzutage schwarz, Afroamerikaner oder Konga-Tonga-Franko-Brito-Latino-Amerikaner sein müssen, so wie ich ein amerikanisch-deutsch-ungarisch-ruthenisch-ukrainischer Jude bin, und wie weit wollen Sie in unserer Beziehung zurückgehen? zu den Philistern? Phöniziern? Paphlagoniern?

      Schneidermann und ich hatten auch etwas von Connaisseuren, aber das Connaisseurhafte war nicht das einzig Europäische an uns (Schneidermann, er war auch mal Korrepetitor an der Ungarischen Staatsoper in Budapest gewesen, aber das ist ein anderes Leben und eine ganze Oper wert, um die wertlose Beschäftigung damit aufzuzeigen),

      ich habe ja schon versucht, unsere Connaisseurschaft glaubhaft darzulegen, unsere Kino-Connaisseurschaft, Ihnen haarklein zu erzählen, was Schneidermann und ich alles wussten, alle Einzelheiten, die Tricks und Handlungsmanöver, Beziehungsklischees, die Schliche und die Sprüche, all die Zugeständnisse an unsere Konzentrationsschwäche, und Schneidermann und ich kannten diese Schwächen so gut, dass sie zu unserer Stärke MORPHTEN, so nennt man das heute, glaube ich,

      wir verdarben uns und allen anderen die Auflösungen und überraschenden Wendungen, die Krimis und die Matineefilme mit multiplen Persönlichkeiten, in denen sich erst ganz am Ende herausstellt, dass der Gute und der Böse ein und derselbe sind,

      dann kommt der ABSPANN,

      und Schneidermann und ich, wir kannten mit heiliger, wenn auch frevelhafter Ironie alle Dialoge, konnten wirklich ganze Gespräche mitsprechen – und machten das oft auch, voller Sarkasmus, wenn es extrem krampfig wurde – nutzten nur noch Filmdialoge, aus demselben Film, aus ganz verschiedenen Filmen:

      Schneidermann und ich, wir sangen uns auch an (in Blechstimmen), als wären wir in Musicals, spazierten, posierten und redeten, spazierten, posierten und redeten dabei wie in den DeMille-Bibelepen oder wie in den Opern, die sie immer in Bayreuth aufführen, Schneidermann und ich, wir kannten alle Auftakte und Abtänze,

      alle Unterhaltungsdialoge aller verregneten oder wegen Regen abgesagten Sonntagabende, die als Leben firmieren,

      kannten alle Bonmots aus einem Leben im Publikum und wofür? den Tod? kannten alles, was Genies wie Schneidermann und ich nie proben mussten,

      Szenen, die sich nur änderten, wenn unsere Leinwanderinnerungen verblassten

      oder wenn unser Versagen erinnert wurde,

      wenn alte Dialoge neu wurden, aus immer neuen und jüngeren Mündern kamen oder wenn neueste Dialoge die alten Worte wegnahmen, und Worte wofür? Liebe, Lust, Leid, ja, Schneidermann und ich kannten sie alle, und wir wussten, welches Kleid sie getragen hatte, was er zu ihr gesagt hatte, als sie es trug oder auszog und so weiter und so fort – Schneidermann und ich kannten auch alle Kinos in- und auswendig, kannten die Kartenabreißer und Platzanweiserinnen, die einen anzüglichen Blick oder ein Kneifen lohnten (ich jedenfalls), und Schneidermann und ich kannten auch alle Leinwände in allen Kinos: Schneidermann, er sagte oft, er würde das Knarren jedes einzelnen Sitzes in jedem einzelnen Kino so gut kennen – wenn da jemand Platz nähme (aber wer außer uns?, fragte Schneidermann und lud mich in seine Truggebilde ein) und es quietsche, könne er, Schneidermann, so Schneidermann, auf Anhieb Reihe und Sitznummer nennen,

      möglicherweise unbewusst konnte Schneidermann, behauptete er jedenfalls, noch den genauen Moment sagen, oder zumindest während welcher Vorführung die letzte Person das letzte Mal auf dem Platz in der Reihe gesessen hatte (obwohl Schneidermann, er wusste, dass er die Person nie kennenlernen würde, was aber auch keine Rolle spielte) – und Schneidermann und ich kannten all die Filme so gut, als hätten wir sie gelebt, denn daraus bestand ein Gutteil unseres Lebens neben der Musik.

      Da wir uns manchmal jeden Tag einen Matineefilm ansahen, um uns zu zerstreuen, was in fast fünfzig Jahren zum Ritual für uns wurde, wenn ich in der Stadt war, und wir nicht mal ein Telefon brauchten, um die Zeit festzulegen, als ob die Zeit sich festlegen ließe, ja wie denn?, aber um 15.00 oder gegen 15.00 oder sogar vor 15.00:

      der

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